Der Amokläufer von Graz hat zehn Menschen und sich selbst erschossen. Mittlerweile weiß die Polizei mehr über den 21-Jährigen: Er sei ein sehr introvertierter Mensch gewesen, der sehr zurückgezogen gelebt habe, sagte nach dem Attentat der Leiter des Landeskriminalamts Steiermark, Michael Lohnegger. Und er sei ein leidenschaftlicher Spieler von Ego-Shooter-Spielen gewesen. Damit passt er in mehreren Punkten in ein Schema aus Risikomerkmalen, das Kriminalforscherinnen und -forscher nach Analyse einer Vielzahl von Verbrechen aufgestellt haben.
Christian Matzdorf, Professor für Kriminalistik mit Schwerpunkt Kriminaltechnik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin, ist ein solcher Experte. Er führt es unter anderem auf den gesellschaftlichen Wandel zurück, dass Amoktaten auch hierzulande zu einer Option für potenzielle Gewalttäter wurden; waren sie doch über Jahrzehnte ein vor allem auf Nordamerika beschränktes Phänomen gewesen.

„Es gibt einen Wandel der medialen Aufmerksamkeit“, sagt Matzdorf. „Dass man mit Taten dieser Art eine hohe Aufmerksamkeit erreichen kann, steht für Amoktäter im Vordergrund.“ Etwas besonders Verwerfliches zu tun, sehen sie ihm zufolge als Chance auf möglichst großen Ruhm. „So wird es reizvoll, solche Taten gerade an Schulen durchzuführen.“ Matzdorf verweist auf die Debatte, inwieweit sogenannte Ballerspiele, die eben auch der Grazer Täter spielte, zu Amokläufen verleiten – Spiele, bei denen Töten und Schießen quasi als Erfolgskonzept gefeiert werden. Der Berliner Experte geht davon aus, „dass die Hemmschwelle durchaus sinken kann, wenn man im Internet gefahr-, schmerz- und auch folgenlos Menschen umbringen kann“.
Der Täter von Graz schoss eine verriegelte Tür auf
Wie gut aber kann man Schulen vor Gewalttaten wie der in Graz schützen? Am betroffenen Bundesoberstufenrealgymnasium existierte offenbar ein Notfallplan. Die Schule habe „sehr gut“ auf den Angriff reagiert, hieß es von der Polizei. Klassenzimmer seien zugeschlossen worden und Schüler und Lehrer hätten versucht, Türen zu verbarrikadieren. Das richtige Verhalten in solchen Szenarien werde immer wieder besprochen, teilte die Schulleitung mit. Dennoch: Der Täter schoss eine verriegelte Tür auf und feuerte um sich.
In Bayern müssen alle staatlichen Schulen ein Sicherheitskonzept vorhalten. Sie erarbeiten es gemeinsam mit ihrem Sachaufwandsträger und der Polizei. Wie das bayerische Innenministerium auf Anfrage betont, müsse das Konzept „sicherheitstechnische Maßnahmen und Verhaltenshinweise für Gefahrenlagen beinhalten und regelmäßig aktualisiert werden“. Bei den Polizeidienststellen gebe es dafür sogenannte Schulverbindungsbeamte. Amoklagen sind laut Ministerium zudem ein zentraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung der Polizei und werden regelmäßig in Übungen und verpflichtenden Trainings behandelt. Seit 2013 sind die Schulen im Freistaat außerdem verpflichtet, ein Krisenteam unter Federführung des jeweiligen Schulpsychologen einzurichten.
Christian Matzdorf, der auch Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik ist, sagt zu diesen Sicherheitsmaßnahmen: „Ein Notfallplan nutzt nichts, wenn die Leute nicht geschult sind. Gleichzeitig bringen technische Schutzvorrichtungen wenig, wenn man nicht genug Menschen hat, die sich um Kinder und Jugendliche mit Schwierigkeiten kümmern.“ Zentral ist aus seiner Sicht die Vorbeugung – und da sieht er nicht nur die Schulen in der Pflicht. „Man kann viel bewegen, wenn man frühzeitig interveniert. Wenn man qualifizierte Menschen hat, die auf die ersten Signale achten, dass bei einem Kind etwas schiefläuft.“
Das sind die ersten Signale für eine Gefährdung
Zu diesen „ersten Signalen“ zählt dem Experten zufolge ein Rückzug aus dem sozialen Leben. „Eine Tat wie in Graz wird selten aus einer stabilen Gruppe heraus passieren, sondern eher durch Personen, die sich ohnehin schon zurückgezogen haben.“ Hinzu komme die Beschäftigung mit bestimmten Themen, ausschließlich Ballerspielen etwa oder chemischen Substanzen.
„Die meisten Täter laufen lange mit einem Plan herum.“ Man müsse das Gespür schärfen für verdächtige Äußerungen, „auch in der Wahrnehmung von Eltern, Erziehern und dem sozialen Umfeld insgesamt“. Matzdorf ist sich sicher: „Jede Investition in Kinder- und Jugendarbeit amortisiert sich sofort. Damit kann man nicht nur Amokläufe verhindern. Man kann eine stabile Struktur aufbauen, in der Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen können und nicht in einen Strudel geraten, der am Ende dann in Einzelfällen in solche Taten mündet.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden