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Glorias Kampf gegen Landminen in Kolumbiens Dschungel

Kolumbien

Minensucherin in Kolumbien: Der Tod lauert hier überall

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    Wie eine Ritterin sieht Gloria aus, die seit ein paar Monaten mitten im Dschungel Kolumbiens als Minensucherin für die Hilfsorganisation Handicap International arbeitet. Sie sagt: „Bis jetzt bin ich noch auf keinen Sprengsatz gestoßen. Ich habe Angst davor“.
    Wie eine Ritterin sieht Gloria aus, die seit ein paar Monaten mitten im Dschungel Kolumbiens als Minensucherin für die Hilfsorganisation Handicap International arbeitet. Sie sagt: „Bis jetzt bin ich noch auf keinen Sprengsatz gestoßen. Ich habe Angst davor“. Foto: Till Mayer

    Schon bald nach den ersten Schritten im Wald nimmt das Leuchten des satten Grüns ab. Im Schatten der hohen Bäume wirken alle Blätter wie mit dunkler Farbe bemalt. Sonnenstrahlen kommen hier im Dschungel nur an wenigen Stellen bis zum Boden durch. Ein schmaler Weg zieht sich durch die Vegetation, er führt am Rücken einer Anhöhe entlang. So unscheinbar er wirkt, er ist eine wichtige Verbindung. Strategisch wichtig. Guerilleros hielten ihn bereits, aber auch die kolumbianische Armee. Seit 2017 sind die Kämpfer zwar weitgehend aus dem Wald verschwunden. Doch zurückgeblieben sind Sprengsätze, selbstgebaute tödliche Fallen. Zum Beispiel Mörsergranaten, die mit einem Zünder versehen sind, der wiederum mit einem zwischen Ästen gespannten Draht verbunden ist. Wird er angerissen, kommt es zur Explosion.

    UN-Generalsekretär António Guterres fordert eine „unverzügliche Einstellung von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung“

    „Vier Kühen haben Sprengsätze hier das Leben gekostet. Zum Glück kamen keine Menschen zu Schaden“, erklärt Gloria. Hinter dem kugelsicheren Plexiglas ihres Helms zeichnet sich ein freundliches Gesicht ab. Die 41-Jährige trägt blaue Jeans, blaues Shirt, eine blaue Schutzweste. In den Händen hält sie einen Metalldetektor. Wie eine Ritterin steht sie da, mitten im Dschungel Kolumbiens. Sie arbeitet als Minensucherin der Hilfsorganisation Handicap International. Ein gefährlicher Job, ein wichtiger Job. Ihre Ausbildung dazu hat sie erst vor wenigen Monaten abgeschlossen. Sechs Minensucher, ein Sanitäter, ein Supervisor und ein Teamleiter sind in ihrem Team im Einsatz. Sie sollen ein Gebiet von 10.680 Quadratmetern Fläche absuchen und sichern.

    Seit mehr als einem halben Jahrhundert kommt Kolumbien nicht zur Ruhe. 2016 trat schließlich ein Friedensabkommen zwischen den Rebellen der Farc, also den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens – Volksarmee“, und der damaligen Regierung in Kraft. Mitte 2017 war die Farc entwaffnet. Sie löste sich auf. Doch Teile der früheren Guerillaorganisation kündigten 2019 ihre Wiederbewaffnung an. Die Guerilleros der ELN – der marxistischen „Nationalen Befreiungsarmee“ – hatten das Abkommen erst gar nicht unterzeichnet. Nach einer Phase der Hoffnung auf ein Ende der bürgerkriegsähnlichen Konflikte, verschlechtert sich die Lage in Kolumbien nun dramatisch. Neue und alte Gruppen ringen um die Vormacht: ELN, rechte Paramilitärs, Verbrechersyndikate, die mit mexikanischen Drogenkartellen kooperieren, ehemalige Farc-Kämpfer. Es geht um viel Geld. Es geht um die Kontrolle von Drogenplantagen und um Routen im Drogenhandel.

    Nach blutigen Angriffen im Nordosten des südamerikanischen Staates hat jetzt Gustavo Petro, der erste linke Präsident Kolumbiens, der ELN am Montag den „Krieg“ erklärt und den Notstand ausgerufen. Die Regierung setzt Spezialtruppen ein. Medien hatten zuvor über die tagelangen Attacken der ELN auf eine Farc-Splittergruppe und auf Zivilisten in der Region Catatumbo, nahe der Grenze zu Venezuela, berichtet. Die Gewalt sei eskaliert, da ELN-Rebellen Zivilisten beschuldigten, diese würden mit ihren Rivalen von der ehemaligen Farc gemeinsame Sache machen. Es folgten Exekutionen von Dorfbewohnern. Die Zahl der Toten soll inzwischen bei insgesamt mehr als hundert liegen, denn auch im Süden Kolumbiens kam es zu Kämpfen. Zehntausende Menschen, es kursiert die Zahl 20.000, seien vertrieben worden. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich „zutiefst besorgt“ und forderte eine „unverzügliche Einstellung von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung“. Die Vereinten Nationen schätzen, dass mehr als tausend Kolumbianer in Venezuela Schutz suchen. Präsident Gustavo Petro spricht von „Kriegsverbrechen“.

    „Meine Heimat muss frei von Landminen und Sprengsätzen werden“, sagt Gloria

    Die Konkurrenz unter den bewaffneten Gruppen ist groß. Allein im Großraum von Glorias Heimatstadt Remedios, ebenfalls im Norden Kolumbiens, gibt es fünf von ihnen. Ein Ort wie Tibú, in dem am Dienstag Regierungssoldaten patrouillierten und versuchten, die Ordnung wiederherzustellen, liegt etwa 600 Kilometer nördlicher. Nur 600 Kilometer, kann man sagen, in diesem riesigen Land. Auch die bewaffneten Gruppen in Glorias Heimat kämpfen um alles, was sich zu Geld machen lässt: um Kokain etwa oder um die Ausbeutung illegaler Goldminen. Sie legen nach wie vor Sprengsätze. Gloria sagt zu Beginn ihrer Schicht, sie gehe von mindestens 25 versteckten Sprengsätzen aus. „Bis wir hier nicht alles abgesucht haben, ist es für die Menschen der umliegenden Bauernhöfe nicht sicher.“

    Dann beginnt sie ihr Tagwerk, gleich am Wegesrand. Es ist eine mühsame Arbeit, Millimeter um Millimeter nur kommt sie voran mit ihrem Detektor. Äste, die ihre Suche behindern, kappt sie vorsichtig, behutsam räumt sie Laub und Geäst vom Boden. Der Tod lauert überall. „Bis jetzt bin ich noch auf keinen Sprengsatz gestoßen. Ich habe Angst davor und wäre doch so stolz, wenn ich einen finden würde“, erzählt die 41-Jährige. Unter ihrer Schutzweste und dem Helm gerät sie schnell ins Schwitzen. Doch das ist auch eine Reaktion ihres Körpers, sie leidet an einer chronischen Hauterkrankung, die zu Problemen bei der Regulierung der Körpertemperatur führt. Die Suche nach Sprengsätzen zehrt an ihr, psychisch wie physisch.

    Am Ende ihres Arbeitstages geht es im Fußmarsch zurück zu einem Camp. Es ist ein beschwerlicher Weg durch den Wald und über steile Wiesen. Eine Handvoll weißer Zelte reiht sich dicht an dicht am Rand des Dschungels, inklusive eines Küchen- und eines Speisezeltes. Glorias Zelt ist spartanisch eingerichtet. Ein Regal für ihre persönlichen Sachen, ein Platz in einem der beiden Hochbetten. Das ist alles. „Aber ich fühle mich wohl hier, und ich habe eine wichtige Aufgabe übernommen. Meine Heimat muss frei von Landminen und Sprengsätzen werden“, sagt sie. „Zu viele wurden schon getötet, verletzt oder verstümmelt.“

    Regierungssoldaten versuchen im kolumbianischen Catatumbo-Gebiet die Kontrolle zurückzugewinnen.
    Regierungssoldaten versuchen im kolumbianischen Catatumbo-Gebiet die Kontrolle zurückzugewinnen. Foto: Fernando Vergara, AP/dpa

    Mehr als 12.000 Menschen wurden seit 1990 auf diese Weise zu Opfern. Um dem etwas entgegenzusetzen, hilft das Auswärtige Amt mit Geldern für die Minensucherinnen und Entschärfer der gemeinnützigen Organisation Handicap International. Insgesamt gibt die Bundesrepublik von 2024 bis 2026 2,7 Millionen Euro. Für Handicap International sind derzeit 30 Entschärfer tätig, seit 2016 haben sie eine Fläche von mehr als 378.000 Quadratmetern von Landminen, Blindgängern und Sprengsätzen befreit.

    „Ich bin bereit, für meine Aufgabe viel zu riskieren“

    Gloria wünscht sich einen echten Frieden für ihr Land, echte Chancen für die Menschen. Sie wünscht sich, nicht mehr ständig kämpfen zu müssen. Das habe sie genug in ihrem Leben gehabt, sagt die Agrartechnikerin. „Ich habe immer hart gearbeitet.“ Für einen Lohn, der kaum für das Allernötigste reichte. Sie beklagt sich nicht darüber, sie erzählt. Davon etwa, wie sie auf einer Baustelle eine Art Ampelersatz war, Fähnchen schwenkend, und von einem Autofahrer in der Warteschlange beschimpft worden sei. „,Deine Mutter ist wohl ein Radiergummi‘, hat er mich wegen meiner Haut verspottet.“ Wegen ihrer Erkrankung schuppt sich diese. Der Spott habe sie schwer getroffen. Seitdem Gloria nach Sprengsätzen suche, stellt sie fest, wird sie nicht mehr verspottet. „Ich bin bereit, für meine Aufgabe viel zu riskieren. Das bringt mir auch Respekt bei meinen Mitmenschen ein.“

    Dann geht sie zur Küche des Camps. Es gibt Reis mit Huhn, Ei und schwarzen Bohnen. Drei Wochen dauert eine Schicht. Die Rückfahrt in die Kleinstadt Remedios, gut 200 Kilometer von Medellín entfernt, dauert zwei Stunden. Im Geländewagen. Durch Bachfurten, holprige Bergstraßen, oft schlammige Pisten. Wieder zu Hause schließt sie ihre Mutter in die Arme. Gloria nimmt auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz. Das Haus ist klein, drei schmale Zimmer und eine Küche. Ihr jüngerer Bruder lebt auch noch hier. Glorias Zimmer, darin das Bild eines luxuriösen Hauses mit üppigem Garten, erzählt einiges über ihre Träume. Sie selbst tut es nicht. Den Blick auf das Bild hat sie bemerkt, sie lacht kurz auf. Gloria sagt: „Ja, das wird wohl immer ein Traum bleiben. Aber immerhin: Viel Natur habe ich jetzt ja beruflich.“ In der Ecke ihres Zimmers befindet sich eine Lautsprecher-Box. Die 41-Jährige koppelt sie mit ihrem Smartphone. „Ein wenig Salsa“, sagt sie. Und tanzt. Es ist ein Tanz an Abgründen.

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