Amoklauf an der Uni Heidelberg: Ermittler suchen weiter nach dem Motiv
Auch am Tag nach dem Amoklauf von Heidelberg ist das Motiv unklar. Warum schießt ein junger Student mit einem Gewehr auf Kommilitonen? Die Polizei ermittelt.
Um 12.24 Uhr am Montag gehen in Heidelberg sieben Notrufe bei der Polizei ein. Sechs Minuten später fahren drei Streifenwagen auf dem Campus vor. Um 12.33 Uhr haben die Beamten bereits ihre Schutzausrüstung angelegt und beginnen, das Universitätsgebäude zu durchkämmen, Raum für Raum. Um 12.43 Uhr stehen sie in dem Hörsaal, in dem die Schüsse gefallen sind, die nicht nur Heidelberg in Schockstarre versetzen: Ein 18-jähriger Student läuft Amok, schießt einer 23-jährigen Frau in den Kopf, sie stirbt am Montagnachmittag an den Folgen. Drei weitere Studenten werden verletzt. Um 12.51 finden die Polizisten den Täter außerhalb des Gebäudes auf - tot, er hat sich wohl selbst erschossen.
Was den jungen Mann dazu brachte, im Hörsaal um sich zu schießen, ist auch zwei Tage nach der Tat rätselhaft. Um 12.32 Uhr, also nur wenige Minuten nach den Notrufen, meldete sich der Vater des Täters bei der Polizei, teilte den Beamten mit, sein Sohn habe ihm die Tat per WhatsApp angekündigt. Der Student schrieb dabei nach Polizeiangaben, "dass Leute jetzt bestraft werden müssen". Wann die Nachricht des Sohnes genau beim Vater eintraf, konnte Strobl am Dienstag nicht sagen. Die Eltern des jungen Mannes würden inzwischen von der Berliner Polizei betreut, sagte Knapp. Auch sie litten enorm unter der schrecklichen Tat ihres Sohnes.
Ein SEK durchsuchte die Wohnung des Amokläufers
Nun sei die Stunde der Ermittler, betont der Minister immer wieder. "Die Wissenschaft weltweit schaut mit Erschrecken und fragend nach Heidelberg." Er sei sich sicher, dass es gelingen werde, rasch Licht ins Dunkel zu bringen. Eine Ermittlungsgruppe mit 32 Beamten und dem Namen "Botanik" hat die Arbeit aufgenommen. Der Name ist darauf zurückzuführen, dass das betroffene Uni-Gebäude an den botanischen Garten grenzt.
Die Ermittler konzentrieren sich vor allem auf das Motiv des Attentäters, durchleuchten das Umfeld des Studenten. Die Polizei wertet zudem digitale Geräte aus, die das Spezialeinsatzkommando (SEK) bei der Durchsuchung seiner Wohnung und den von ihm genutzten Räumen bei seinen Eltern in Berlin sichergestellt hat. Er sei zuversichtlich, dass die Auswertung Hinweise auf die Motivlage geben könnte, sagt Strobl.
Zudem werden die beiden Leichen am Universitätsklinikum Heidelberg rechtsmedizinisch untersucht. Die Ermittler hoffen, dass sie aus der Obduktion der Leiche des Täters und der der von ihm erschossenen 23-Jährigen weitere Hinweise zum Hintergrund der Tat ableiten können. Die Obduktion könne etwa zeigen, wie nah der Amokschütze der Frau kam und ob sie ein Zufallsopfer oder gezielt ins Visier genommen war. Knapp: "Wir wollen die Tat so genau wie möglich rekonstruieren." Darauf, dass die beiden dasselbe Fach studierenden jungen Leute sich kannten, gebe es aber keinen Hinweis.
Außerdem sollen Zeugenvernehmungen der anwesenden Studierenden zu einem genaueren Bild der Tat beitragen. "Die rund 30 in einem Hörsaal vom Täter überraschten Biologie-Studenten sind größtenteils befragt worden", sagte Polizeisprecher Patrick Knapp am Mittwoch in Mannheim. Sicherlich gebe es auch eine zweite Fragerunde. "Je tiefer wir die Dinge untersuchen, desto mehr neue Fragen tun sich auf."
Die Täter seien nicht immer schwer psychisch krank
Klar ist: Der Schütze war erst 18 Jahre alt und Deutscher, er lebte in Mannheim, studierte Biologie und war der Polizei bislang nie aufgefallen. Es gebe keinerlei Hinweise auf eine politisch oder religiös motivierte Tat, sagt Strobl. Er habe gehört, dass der Täter in psychischer Behandlung gewesen sein soll, aber das sei Gegenstand laufender Ermittlungen. Der Innenminister vermag auch nicht zu sagen, ob sich der Täter und das Todesopfer kannten.
Generell könne ein Mensch zum Amokläufer werden, "weil er die vorhandenen oder die subjektiv wahrgenommenen Kränkungen von der Kindheit übers Jugendalter zum jungen Erwachsenenalter als besonders schlimm erlebt", sagt der Polizeipsychologe Adolf Gallwitz dem Radiosender SWR Aktuell. Amokläufer haben bei tödlichen Angriffen wie dem in Heidelberg ein gemeinsames Denkmuster. "Er hat eine grandiose Art des Untergehens gesucht", so Gallwitz. "Ein Suizid war ihm letztlich einfach zu banal." Die Täter seien keine Einzelgänger und "auch nicht immer nur Leute, die schwer psychisch krank sind".
Auch die Frage, wie der Biologie-Student an die beiden Langwaffen kam, von denen er eine für den Amoklauf nutzte, ist noch unbeantwortet. Der 18-Jährige soll die Gewehre vor wenigen Tagen im Ausland gekauft haben. In seinem Rucksack hatte er noch 100 Schuss Munition. Zudem bleibt bisher unklar, wie der bewaffnete Mann unbemerkt auf das Gelände des Campus kommen konnte.
"Die Universität soll ein angstfreier Raum bleiben"
Gleichzeitig richtet sich der Blick der Politik auf die Opfer, die Angehörigen und die, die den Anschlag miterleben mussten. 30 Studenten waren im Hörsaal, als die Schüsse fielen.
Das baden-württembergische Landeskabinett gedenkt am Dienstag der Opfer in einer Schweigeminute. "Diese schreckliche Gewalttat hat uns wirklich tief getroffen und erschüttert", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er und Strobl rufen die Betroffenen auf, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man sei auf 26 Studentinnen und Studenten und auf zwei Angehörige bereits zugegangen, berichtet Strobl. "Die Universität soll und wird ein angstfreier Raum bleiben für junge Menschen."
Das Erlebte könne zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen, wenn die Betroffenen nicht behandelt würden, warnt der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. "Das werden sie ihr Leben lang nicht vergessen."
Die drei Verletzten werden derweil am Dienstag nach ihren ambulanten Behandlungen in einer Klinik wieder entlassen. Sie befinden sich laut Polizei auf dem Weg der körperlichen Besserung. (dpa)
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