Herr von Hirschhausen, Sie haben eine Dokumentation zum Thema Alkohol gedreht. Wie halten Sie es persönlich mit Wein, Bier, Champagner und Spirituosen?
Eckart von Hirschhausen: Lange habe ich wie viele geglaubt, ach so ein bisschen Wein schützt vor Herzinfarkt. Aber wie so oft, wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es eben oft nicht wahr. Die Recherche, die persönlichen Schicksale, die Forschung haben mich schon berührt und verändert. Ich trinke seit diesem Film viel weniger, mache unter der Woche Pause und im Januar den ganzen Monat. Und wer das für sich mal ausprobieren möchte, hat dafür ja elf weitere Monate im Jahr zur Auswahl, muss ja nicht gleich zu Karneval sein oder für die Menschen in Bayern der Oktober.
Die Sendung heißt „Hirschhausen und die Macht des Alkohols“. Sie haben recherchiert, was die Volksdroge Nummer 1 in unserem Körper, in unseren Beziehungen und in unserer Gesellschaft bewirkt. Warum haben Sie sich gerade jetzt diesem Thema gewidmet?
Von Hirschhausen: Vor wenigen Monaten erschienen die neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Es gibt keinen risikofreien Alkoholgenuss. Jeder Schluck schadet. Nicht nur der Leber, auch dem Herz, dem Kopf. Und Alkohol verursacht und befördert Krebs. Deshalb mache ich mich auf den Weg durch ganz Deutschland. Weil ich nicht den Eindruck habe, dass sich das schon überall rumgesprochen hat.
Nirgendwo auf der Welt wird so viel Alkohol getrunken wie in Europa. Millionen Tote pro Jahr sind die Folge. Warum ist gerade Europa so alkoholaffin?
Von Hirschhausen: Es gibt keine besseren „Kunden“ als Abhängige. Wer sind dementsprechend die lukrativen Werbetreibenden? Alle, die mit Suchmitteln ihr Geld verdienen. Vor jeder Fußball-Übertragung gibt es Bierwerbung und Wettanbieter. Die Alkohol-Lobby darf mit 200 Mal so viel Geld Werbung machen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Da ist es nicht so überraschend, dass wir alle Bilder in unserem kollektiven Gedächtnis haben, wie angeblich Rum und Bier uns Zugang verschafft zu Freiheit, großen Segelschiffen und erotisierenden Partys auf tropischen Inseln. Schaut man aber in die leeren Gesichter hinter den leeren Flaschen, ist da wenig von Freiheit zu spüren und noch weniger von Erotik. Alkohol macht maßgeblich einsam, depressiv und krank.
Sie sagen in dem Film, Ihnen sei klar geworden: „Alkohol zerstört so viel mehr als die Leber. Diese Gefahren zu belächeln und zu verharmlosen, kostet Menschenleben.“ Warum wird dann nicht mehr dagegen gemacht?
Von Hirschhausen: Wir haben bei fünf Ministerien angefragt. Die Antworten möchte ich noch nicht verraten. Jeder, der zuschaut, kann sich seine eigene Meinung bilden. Das ist uns bei ADHS, bei der Abnehmspritze und Long Covid gelungen. Und ich glaube, „Hirschhausen und die Macht des Alkohols“ hat wieder das Zeug dazu, Millionen Menschen zu erreichen. Darauf wette ich einen Kasten Bier. Alkoholfreies natürlich!
Alkoholkonsum verursacht in Deutschland auch einen wirtschaftlichen Schaden von jährlich rund 60 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen durch Branntweinsteuer kompensieren das nicht annähernd. Warum lassen die Politikerinnen und Politiker dann das zu – und wie ernst nehmen sie den Kampf gegen die Alkohol-Lobby?
Von Hirschhausen: Warum gibt es trotz einer Mehrheit in der Bevölkerung kein Tempolimit? Warum bekommen Menschen mit Long Covid keine Therapien? Warum werden Lebensmittel, die Menschen, Tiere und Erde krank machen, mit Milliarden subventioniert? Ich hätte aus dieser Kategorie noch eine Menge weiterer Fragen. Viele gemeinschaftlich und gesundheitlich sinnvolle Dinge werden gezielt verhindert von Interessengruppen, die Geld verdienen, während die Gesellschaft auf den Kosten hängen bleibt. Das klingt sehr verschwörerisch, ist aber leider so. Unser Gesundheitswesen hat bis heute keine ernsthafte Prävention oder „Public health“-Perspektive. Und deshalb gehen mir auch so schnell die Themen nicht aus.
Wie gefährlich ist Alkohol eigentlich im Vergleich zu Cannabis, das von manchen Politikern ja gerne verteufelt wird?
Von Hirschhausen: Gerade im Wahlkampf sehen wir ja viele Politiker, die mit einer großen Maß Bier in der Hand über die schlimmen Drogengesetze schimpfen. Bei 1,4 Millionen schwer alkoholabhängigen Menschen und acht Millionen mit problematischem Konsum ist das die Volksdroge Nummer eins. Ich hatte in meiner Zeit in der Kinderheilkunde mit schwer alkoholgeschädigten Kindern zu tun. Das vergesse ich nie. Egal, wie viel man an Diagnostik, Behandlung, Zuwendung und auch oft Fremdbetreuung dort versucht, was einmal im Hirn ganz früh kaputtging, bekommt man nie wieder zurück. Ich spreche im Film mit Jenny. Sie hat erst mit 30 Jahren die richtige Diagnose bekommen und wir treffen gemeinsam einen der wenigen Experten für ein Gutachten. Bis zu 4000 Neugeborene kommen jedes Jahr wie Jenny mit fetalem Alkoholsyndrom auf die Welt, 10.000 haben leichtere, aber auch lebenslange Schäden – viel zu viele bleiben unerkannt! Neben all dem oft unsichtbaren Leid ist es auch noch unfassbar teuer. Rechnet man alle Kosten im Gesundheitssystem, für die Pflegeeltern, die schwierige Beschulung, das Justizsystem inklusive der Gefängnisaufenthalte, Arbeitsausfälle und und und hoch, kommt man auf etwa 17 Milliarden allein für das fetale Alkoholsyndrom im Jahr.
Ab wann wird Alkoholkonsum gefährlich?
Von Hirschhausen: Jeder Schluck schadet. Aber der Übergang ist schleichend. Und wir reden uns ja gerne heraus, indem wir auf jemanden zeigen, der mehr trinkt als wir. Gesoffen wird in allen Gesellschaftsschichten. Und dem Suchtgedächtnis ist es auch völlig egal, ob die Promille aus einem Korn für zwei Euro oder aus einem Bordeaux für 200 Euro kommen. Gerade frühe Rauscherfahrungen prägen sich ein. Deshalb ist das „begleitete Trinken ab 14 Jahren“ auch so ein gefährliches Signal. Gerade in der labilen Phase von Pubertät und Identitätssuche tut man so, als wäre der Vollrausch das entscheidende Kennzeichen fürs Erwachsenwerden.
Warum lässt uns unser Gehirn immer wieder in die Alkohol-Falle tappen?
Von Hirschhausen: 80 Prozent der Alkoholabhängigen in Deutschland haben keine Entzugserscheinungen, merken teilweise nicht mal, dass sie abhängig sind. An jeder Tankstelle bekommt man Bier, Wein und Hochprozentiges. Andere Länder regeln den Zugang, das Alter, die Preise – wir nicht. Und dafür zahlen viele Menschen einen sehr hohen Preis!
Hängt damit auch zusammen, dass es für suchtkranke Menschen so schwer ist, wieder aus den Fängen des Alkohols zu kommen?
Von Hirschhausen: Im Film zeigen wir, dass es in der Suchtklinik eine Bar gibt. Wie bitte? Ja, nach Entzug und Therapie in der Klinik lauern die großen Versuchungen zu Hause, wenn man wieder in sein gewohntes Umfeld kommt. Und genau dafür werden realistische Situationen geprobt und trainiert: Wie halte ich dem Verlangen nach meinem Lieblingsdrink stand? Dazu gibt es neue Apps, die einem im Alltag helfen, nicht rückfällig zu werden. Das Handy hat man ja immer dabei, auch wenn kein Therapeut oder Freund in der Nähe ist. In unserem Film spreche ich auch mit Nathalie Stüben, die als Journalistin über Jahre süchtig war und jetzt mit Büchern, Online-Formaten und Apps hilft, Menschen im Alltag zu erreichen.
Ist man ein Außenseiter, wenn man in Gesellschaften sagt: Ich trinke keinen Alkohol?
Von Hirschhausen: Alkohol ist die einzige Droge, bei der man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht konsumieren will. Deutschland ist beim problematischen Trinken weltweit unter den Top 10. Gleichzeitig ist Alkohol nirgendwo so billig, so leicht und ständig verfügbar wie bei uns. Unser Blick in Deutschland ist verklärt. Wir reden gerne von „Genuss“, von „Kulturgut“, von „freier Entscheidung“. Aber wehe, wenn jemand abhängig wird, dann heißt es: „Selbst schuld“.
Udo Jürgens hat gesungen „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“. Alkohol hat so viele Menschen und Familien zerstört. Was muss passieren, damit die Menschen auch „trocken“ leben können?
Von Hirschhausen: Preise rauf, limitierte Verkaufsstellen, Alter kontrollieren, Aufklärung statt Werbung. Also genau das, was wissenschaftlich erwiesen am besten wirkt und was andere Länder längst erfolgreich tun. Freiheit ist ein wichtiges Gut. Aber Suchtmittel sind das Gegenteil von Freiheit. Wer abhängig ist, ist nicht frei. Und wer systematisch abhängig gemacht wird, auch nicht. Ich mag den Grundsatz der Weltgesundheitsorganisation: „Make the healthy choice the easier choice“. Die lebensförderliche Entscheidung sollte die leichtere sein.
Warum lässt es der angeblich aufgeklärte Mensch dann immer noch so im Fasching oder auf dem Oktoberfest krachen?
Von Hirschhausen: Gegenfrage: Wie viele Menschen kennen Sie, die durch Alkohol interessanter werden? Ich kenne viele Leute, die das von sich glauben. Aber erlebt habe ich es nie. Ich feiere gern, ich trinke dann auch Bier, Wein oder stoße mit Sekt an. Singen, Musik machen, Tanzen, Ekstase gibt es in allen Kulturen der Welt, zu allen Zeiten. Es tut gut, ab und an „die Sau rauszulassen“, gerade in belastenden Zeiten wie diesen – als Gegenstück zum Alltag. Aber wenn Alkohol den Alltag bestimmt, ist das kein Grund zu feiern, sondern sich Hilfe zu holen.
Zur Person
Eckart von Hirschhausen, 1967 in Frankfurt am Main geboren, ist Arzt, Kabarettist und Moderator. Sein Film „Hirschhausen und die Macht des Alkohols“ läuft am Montag, 27.1., um 20.15 Uhr im Ersten.
Auf alle Fälle gibt es mehr alte Säufer als alte Ärzte.
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