Hände desinfizieren ist nicht immer sinnvoll
Seit der Corona-Pandemie finden sich entsprechende Spender überall im öffentlichen Leben. Dabei schützen sie vor der Viruserkrankung kaum, erklärt ein Experte.
Einkaufen ohne Masken, Gedränge in der Fußgängerzone, dampfig-volle Konzertsäle: Mehr als zwei Jahre nach dem ersten Lockdown ist in Deutschland weitgehend Normalität eingekehrt. Viele Corona-Regeln wurden gelockert oder komplett aufgegeben. Hartnäckig hält sich aber der Boom der Desinfektionsmittel: Kaum ein Geschäft, Café oder Museum, in dem nicht ein entsprechender Spender zur Händedesinfektion hängt – manchmal verbunden mit der ausdrücklichen Bitte, diesen zu nutzen. Auch wer in privater Runde feiert, stellt vorsorglich gern eine Flasche Desinfektionsmittel bereit. Eine erfreuliche Entwicklung?
Was das Coronavirus anbetrifft, ist die Sache ziemlich klar: Ob man sich bei Betreten eines Supermarkts die Hände desinfiziert oder nicht, beeinflusst das Infektionsrisiko nicht wirklich, wie der Hygieneexperte Prof. Günter Kampf aus Hamburg erklärt. „Inzwischen ist längst klar, dass unbelebte Flächen bei der Übertragung praktisch keine Rolle spielen.“ Zu Beginn der Pandemie gab es noch Unsicherheiten, da sich in Studien zeigte, dass Sars-CoV-2 unter Laborbedingungen tagelang auf Gegenständen nachweisbar war. Deshalb gab es sogar Befürchtungen, man könnte sich über Pakete aus China anstecken. Bald stellte sich heraus, dass sie unbegründet waren. Laut Robert-Koch-Institut gibt es keine Belege dafür, dass das Virus außerhalb des Gesundheitswesens jemals über kontaminierte Oberflächen übertragen wurde. Komplett ausschließen lässt sich ein solcher Infektionsweg aber auch nicht.
"Desinfektionsmittel haben auch Nachteile für Gesundheit und Umwelt"
Eher vorstellbar ist eine Übertragung von Hand zu Hand: Dazu würde ein infizierter Mensch etwa in die Hand husten, sie jemandem zum Gruß reichen, der sich anschließend an Mund oder Augen fasst. Das Szenario lässt sich auch ohne Desinfektion vermeiden, indem man in die Ellenbeuge hustet und auf den Handschlag verzichtet. Dennoch hat die Corona-Krise Desinfektionsmitteln aller Art einen Umsatzschub beschert. „Wir sollten wieder vom exzessiven Gebrauch solcher Mittel wegkommen und uns rückbesinnen“, sagt Petra Gastmeier, Professorin für Hygiene an der Charité in Berlin. „Sie haben auch Nachteile für Gesundheit und Umwelt.“
Grundsätzlich gelten für Kliniken oder Pflegeheime andere Regeln als für Hotels oder Privatwohnungen: Außerhalb des Gesundheitssektors braucht das Umfeld keineswegs steril zu sein. Gerade für Kinder ist die Auseinandersetzung mit Keimen sogar wichtig, um ein gesundes Immunsystem aufzubauen.
Allerdings schneidet die Händedesinfektion im Vergleich zu anderen Putz- und Hygieneaktivitäten relativ gut ab. Sie kann nützlich sein, ohne viel Schaden anzurichten – zumindest dann, wenn der Wirkstoff der entsprechenden Mittel auf Alkohol basiert. „Alkohol wirkt sehr schnell, sehr breit und verflüchtigt sich rasch“, sagt Ernst Tabori, Ärztlicher Direktor des Deutschen Beratungszentrums für Hygiene in Freiburg. Bei korrekter Anwendung gebe es so gut wie keine negativen Folgen für Gesundheit oder Umwelt. Rückfettende Stoffe, die viele Produkte enthalten, schützen die Haut zudem vor Austrocknung. Zwar können die Spender, die während der Pandemie vielerorts aufgehängt wurden, keine Ansteckungen mit dem Coronavirus verhindern. Tabori ist aber davon überzeugt, dass damit andere Krankheiten, die anders als Covid-19 vor allem über die Hände übertragen werden, eingedämmt werden.
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Auch die zuletzt massiv gesunkene Zahl an Grippe-Erkrankungen führt er unter anderem darauf zurück. „Ich bin gegenüber solchen Spendern in Bereichen, wo keine Möglichkeiten zum Händewaschen gegeben sind, gar nicht abgeneigt“, sagt Tabori. „Kann man sich nämlich nicht die Hände waschen, ist die Händehygiene über das Desinfizieren durchaus ein Zugewinn.“ Wer etwa am Türknopf der Straßenbahn Erkältungsviren aufgegriffen hat, kann sie durch Desinfizieren im nächsten Laden inaktivieren, bevor er sich an die Nase fasst. „Allerdings“, betont er, „ist ein zusätzliches Desinfizieren nach dem Händewaschen unnötig.“ Die Spender hätten auch eine psychologische Funktion, findet Tabori: „Sie haben relativ schnell ein Bewusstsein für die Handhygiene geschaffen, wie es unsere ganzen Appelle die Jahre zuvor leider nicht erreichen konnten.“
Desinfektionsspender in öffentlichen Gebäuden sind umstritten
Gastmeier sieht die omnipräsenten Spender und Flaschen weniger positiv. Sie stünden meist für einen gewissen Corona-Aktionismus nach dem Motto „Seht her, wir sind an dem Thema dran!“. Im Alltag setzt sie grundsätzlich auf normales Händewaschen. „Wenn das ausnahmsweise nicht geht, zum Beispiel auf Reisen, ist eine Händedesinfektion sinnvoll“, sagt sie. Dazu empfiehlt sie ein duft- und farbstofffreies Mittel auf Alkoholbasis.
Ein Problem bei den Spendern in Läden oder Restaurants ist jedoch, dass der Kunde oft nicht so genau weiß, womit er seine Hände in Berührung bringt. Für Menschen mit einer Duftstoff-Unverträglichkeit zum Beispiel können schnell Probleme entstehen, wenn eben doch ein Produkt mit problematischen Substanzen aufgestellt wird. „Deshalb ist es kritisch, wenn man dazu genötigt wird, sich die Hände zu desinfizieren“, sagt Gastmeier.
Auch Kampf empfiehlt, bei der Handhygiene wieder auf „Normal-Modus“ zu schalten. „Wenn man nach Hause kommt, sollte man sich immer gründlich die Hände waschen, um keine Keime einzuschleppen. Dass das etwas bringt, ist auch erwiesen.“ Viel skeptischer als die Händedesinfektion sieht er aber die Flächendesinfektion: Sie ist außerhalb des Gesundheitssektors nicht nur in der Regel überflüssig, sondern auch potenziell schädlich. Die Mittel enthalten häufig Substanzen, die möglicherweise die Haut reizen, Allergien befördern und der Umwelt schaden. „Zum Beispiel kann Benzalkoniumchlorid dazu führen, dass sich Mikroorganismen daran anpassen und Antibiotika-Resistenzen befördert werden“, sagt Kampf.
Zudem können kritische Stoffe über das Abwasser in Kläranlagen gelangen und dort nützliche Bakterien zerstören. Daher plädiert er dafür, Tische, Fußböden oder Türklinken im öffentlichen und erst recht im privaten Raum mit ganz normalen Reinigungsmitteln zu putzen und von Desinfektionsmitteln die Finger zu lassen.
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