Keine Selfies auf dem Hadsch
Wer nach Mekka pilgert, soll auf Aufnahmen bei der Umrundung der heiligen Kaaba verzichten. Doch es ist äußerst fraglich, ob sich die Gläubigen daran halten werden.
Wenn sich nächste Woche rund eine Million Pilger zur islamischen Wallfahrt Hadsch im saudischen Mekka versammeln, werden viele in ihrem weißen Gewand ein Smartphone stecken haben. Selfies vom Hadsch waren schon vor der Pandemie-Pause in Mekka große Mode bei der ersten Massenversammlung in der heiligen Stadt. Seit 2019 werden diesmal sicher wieder Millionen von Selbstporträts geknipst werden. Den saudischen Behörden passt das zwar überhaupt nicht. Aber sie sind wohl machtlos.
Das Hadsch-Ministerium in Riad rief nun die Pilger auf, sich bei der Wallfahrt ab dem 7. Juli auf den Dienst an Gott zu konzentrieren. Besonders bei der Umrundung des Heiligtums Kaaba im Zentrum der Großen Moschee von Mekka könnten Selfies sogar gefährlich werden. Wenn ein Pilger stehen bleibt, um eine Aufnahme zu machen, stoßen nachfolgende Wallfahrer im Gedränge vielleicht mit ihm zusammen. Außerdem könnten andere Pilger mit aufs Bild geraten, ohne dass sie um Erlaubnis gefragt werden. Selfies könnten auch die Andacht anderer Wallfahrer stören, warnte das Ministerium.
Der Hadsch ist für muslimische Gläubige eine hohe Pflicht
Viel nützen wird es wohl nicht. So wie Touristen mit ihren Schnappschüssen vor dem Eiffel-Turm oder dem Brandenburger Tor ihren Freunden und Verwandten zeigen wollen, wo sie Ferien machen, schicken Mekka-Pilger per Selfie einen Gruß vom Hadsch nach Hause. Vor der Pandemie hatte Saudi-Arabien deshalb zeitweise Wallfahrt-Selfies verboten, doch bei damals mehr als zwei Millionen Pilgern ließ sich das Verbot nicht durchsetzen. In diesem Jahr begnügt sich das saudische Hadsch-Ministerium, das erstmals seit der Pandemie eine Million Pilger zulässt, mit einem Appell.
Die rituelle Umrundung der Kaaba wird im Koran erwähnt und gehört zu den Pflichten für Pilger beim Hadsch. Nach dem Beispiel des Propheten Mohammed sollen die Pilger sieben Runden gegen den Uhrzeigersinn um das mit schwarzem Stoff verhüllte Heiligtum drehen. Dass viele Pilger diese heiligsten Momente des Hadsch per Selfie festhalten, wirft nicht nur praktische, sondern auch theologische Fragen auf. So sollen Pilger beim Umrunden die Kaaba immer links von sich haben und die sieben Runden ohne Unterbrechung absolvieren. Wenn sie für ihr Selfie stehenbleiben und der Kaaba den Rücken kehren, um sie im Bild zu haben, verletzen sie diese Regeln.
Selfies vor der Kaaba in Mekka können andere Gläubige stören
Außerdem können Selfies als Angeberei und als Störung der Einkehr verstanden werden. Ein Verband britischer Muslime brandmarkte Selfies in Mekka bereits vor Jahren als „gefährliches Phänomen“, das den Geist der Wallfahrt zerstöre.
Vor dem diesjährigen Hadsch schärfte ein indonesischer Diplomat in Saudi-Arabien den Pilgern aus dem bevölkerungsreichsten islamischen Land der Welt ein, sie sollten keine Gruppen-Selfies vor der Kaaba machen. Einige indonesische Pilgergruppen hätten sich mit Transparenten vor dem Heiligtum fotografiert und seien deshalb von den saudischen Behörden verwarnt worden, sagte Generalkonsul Eko Hartono. Im Extremfall könnten Pilger nach Hause geschickt werden. Individuelle Selfies seien aber in Ordnung.
Manche Beobachter halten den Trend für unumkehrbar. Sie verstehe die Kritik an den Hadsch-Selfies, schrieb die Kolumnistin Shelina Janmohamed in der Zeitung The National aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Allerdings gelte heutzutage nun einmal der Grundsatz: „Wenn es nicht auf Instagram ist, ist es auch nicht passiert.“ Auch sie selbst habe schon Mekka-Selfies gemacht.
Für die saudischen Behörden sind Mobiltelefone in Mekka aber nicht nur ein Fluch, sondern auch ein Segen. Sie bieten eine App an, die Pilgern während des Hadsch im Nahverkehr und an Geldautomaten helfen soll. Auch können Wallfahrer, die sich in der Masse der Pilger verirrt haben, mit der App den Weg zu ihrem Hotel oder ihrem Zelt finden.
Smartphones können Gläubigen auch das Pilgern erleichtern
Auf moderne Technologie setzt Saudi-Arabien auch anderswo. Ende vergangenen Jahres stellte das Land ein Pilotprojekt vor, mit dem Gläubige den so genannten Schwarzen Stein in der Kaaba in virtueller Realität sehen und berühren können. Mekka-Pilger sollen den Stein an der Südost-Ecke der Kaaba küssen oder berühren, was wegen der vielen Menschen dort oft unmöglich ist. Der Stein fiel der Überlieferung nach zur Zeit von Adam und Eva vom Himmel und wurde von Mohammed in die Kaaba eingesetzt. Mit der virtuellen Version des Schwarzen Steins sollen Muslime die Möglichkeit erhalten, dem Heiligtum nahe zu sein, ohne nach Mekka zu reisen. Soviel Digitalisierung geht einigen zu weit: Das türkische Religionsamt entschied, eine virtuelle Pilgerfahrt sei kein Ersatz für die echte.
Die Diskussion ist geschlossen.