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Leben mit Alzheimer: In Südfrankreich gibt es ein Dorf für Alzheimerpatienten

Frankreich

So lebt es sich in einem Dorf für Alzheimerpatienten

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    Die Betreuung der Alzheimer-Patienten im Städtchen Dax ist einzigartig in Frankreich. Die 120 Patienten leben in Wohngemeinschaften und werden von 120 Pflegekräften betreut, 120 Ehrenamtliche kümmern sich außerdem um sie.
    Die Betreuung der Alzheimer-Patienten im Städtchen Dax ist einzigartig in Frankreich. Die 120 Patienten leben in Wohngemeinschaften und werden von 120 Pflegekräften betreut, 120 Ehrenamtliche kümmern sich außerdem um sie. Foto: Dpt40/S.Zambon

    „Nicole, sehen Sie, dort sind die Milchbrötchen.“ Patricia Perez weist die ältere Dame mit den kleinen, grauen Locken auf ein Päckchen hin. Diese greift danach, schichtet es in ihren Einkaufswagen und legt später alle Produkte auf den Tresen vor der Kasse im Dorf-Supermarkt. „Nicole macht immer die Einkäufe für das ganze Haus, diese Aufgabe ist ihr sehr wichtig“, sagt Perez, Betreuerin im Village Landais Alzheimer, dem „Alzheimer-Dorf“ des südwestfranzösischen Départements Landes in Südwestfrankreich. Wie alle seine Bewohner ist auch Nicole erkrankt – was nicht heißt, dass sie zum Nichtstun verdammt wird. „Viele Alzheimer-Patienten haben das Gefühl, nicht mehr nützlich zu sein“, so Perez. „Aber wenn ich abwasche oder koche, bin ich von Nutzen. Wenn ich Wäsche waschen und sie falten kann, existiere ich durch diese Alltagstätigkeiten.“

    Ein einzigartiges Modell in Frankreich

    Die Betreuungsstätte für Alzheimer-Patienten im Städtchen Dax, das 150 Kilometer südlich von Bordeaux liegt, ist in ihrem Konzept und ihrer Organisation einzigartig in Frankreich. Sie sieht aus wie ein idyllisches Dorf mit einem Bistro auf dem Marktplatz, einem Friseur, einer Bibliothek und einem Supermarkt, der von Ehrenamtlichen geführt wird und in dem alles kostenlos ist. Die 120 Patienten, die in Wohngemeinschaften in 16 Häusern untergebracht sind, sollen möglichst nach ihrem eigenen Rhythmus leben. Sie werden morgens nicht geweckt und können essen, wann sie wollen. 120 Pflegekräfte, die Alltagskleidung und keine weißen Kittel tragen, kümmern sich um sie, weitere 120 Ehrenamtliche kommen hinzu. Die Medikamenten-Vergabe wird auf ein Minimum reduziert. Ein Park sowie ein Obst- und Gemüsegarten gehören mit zum Dorf. Wer möchte, darf eigene Möbel mitbringen. „Es wirkt wie ein Zuhause und nicht wie eine Einrichtung, in der manche gegen ihren Willen sind“, sagt der junge Pfleger Valentin Chu. Verlässt ein Patient nachts sein Haus, wird das Personal über Bewegungsmelder alarmiert. Das Dorf passt sich an seine Einwohner an und nicht umgekehrt – das ist die Idee.

    Das Village Landais Alzheimer sieht aus wie ein ganz normales französisches Dorf mit Supermarkt, einem Bistro, einem Friseur und einer Bibliothek.
    Das Village Landais Alzheimer sieht aus wie ein ganz normales französisches Dorf mit Supermarkt, einem Bistro, einem Friseur und einer Bibliothek. Foto: ©Dpt40/S.Zambon

    Die Idee ist neu in Frankreich und inspirierte sich an einem Modell, das zuerst in den Niederlanden aufkam. Im Jahr 2013 sah der damalige Präsident des Départementsrats Henri Emmanuelli eine Reportage über das Demenzdorf „De Hogeweyk“ in Weesp bei Amsterdam und lancierte ein ähnliches Projekt in seiner Region. 2020 eröffnete das „Village Landais Alzheimer“, das Teil eines Experiments des staatlichen wissenschaftlichen Instituts Inserm ist. Im Dezember 2023 sprach die Professorin und Spezialistin für Neurowissenschaften Hélène Amieva von „sehr ermutigenden ersten Ergebnissen“ einer Studie, die noch läuft. In den ersten sechs oder sogar zwölf Monaten nach ihrer Ankunft gebe es bei den Patienten keinen Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten, keine Verstärkung der Angstgefühle oder depressiver Symptome. Das sei „spektakulär“.

    250 Menschen stehen auf der Warteliste

    1,2 Millionen Menschen in Frankreich sind an Alzheimer erkrankt, der Bedarf an Pflegestätten steigt wie in allen europäischen Ländern. Sie erhalte sehr viele Presseanfragen auch aus dem Ausland, sagt Mathilde Charon-Burnel, zuständig für medizinisch-soziale Projekte im Département Landes. „Der Umgang mit Alzheimer-Patienten ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema und das Interesse an unserem Projekt außergewöhnlich groß.“ Derzeit befinden sich 250 Personen auf der Warteliste. Die monatlichen Gesamtkosten liegen mit 2000 Euro im unteren französischen Durchschnitt. „Kombiniert mit den verschiedenen staatlichen Hilfen, die die Bewohner je nach ihrem Renten- und sonstigem Einkommen erhalten, müssen sie oft nur 250 Euro aus eigener Tasche bezahlen.“ Der französische Staat und das Département finanzieren das Projekt mit.

    Der Ansatz sei „mehr ein sozialer als ein medizinischer“. Gemeinsame Aktivitäten wie Tischtennis oder Tanzen, Hausarbeit oder Gärtnern werden als eine Form der Therapie eingesetzt. Auch die Mitarbeiter wirken zufrieden. „Ich verwirkliche mich hier selbst“, betont Patricia Perez, die sich ursprünglich nur um die Wäsche kümmerte. Als eine der Bewohnerinnen regelmäßig ihren Kontakt suchte, machte sie schließlich eine Weiterbildung und ist nun eine „Hausdame“, eine der Ansprechpartnerinnen für die Bewohner. „Es geht darum, sie in ihrem Rhythmus zu begleiten, ihnen zuzuhören und zu verstehen, was sie jeweils fühlen.“ Sie selbst lerne sehr viel dabei, denn die Menschen hätten eine große Lebenserfahrung. „Wir verbringen sehr schöne Momente miteinander.“

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