Die Frauen warten schon auf Gérard Depardieu. Manche haben sich bereits Stunden vor Verhandlungsbeginn vor dem Gericht in Paris versammelt, einige halten Plakate hoch. „Na, Gérard, magst du das immer noch, meine Schlampe?“, steht auf einem davon, in Anspielung an einen der obszönen Sprüche, den der 76-Jährige oft geäußert haben soll, wenn er Frauen betatschte und begrapschte; so berichteten es Betroffene. Etliche Kameraleute und Journalisten drängeln sich an diesem Montagmittag vor dem Verhandlungssaal. Die Medien sprechen von einem „historischen“ Prozess: Erstmals muss sich Depardieu vor Gericht wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe verteidigen.
Zwei Frauen beschuldigen ihn, sie während der Dreharbeiten für den Film „Les volets verts“ („Die grünen Fensterläden“) von Regisseur Jean Becker im Jahr 2021 sexuell belästigt zu haben. Eine 54-jährige Dekorateurin hat ausgesagt, der Schauspieler habe sie „brutal gepackt“, mit seinen Beinen fixiert und fest an Taille, Bauch und Brust berührt. Die Frau steht am Montag zwischen den anderen Demonstrantinnen. Selbstbewusst blickt sie in die Kameras. Lediglich die Art, wie sie sich mit den Händen immer wieder durch das dunkelblonde Haar fährt, verrät etwas von ihrer Nervosität. Die zweite Klägerin, eine 34-jährige Regieassistentin, wirft Depardieu vor, er habe ihre Brüste und ihren Po betatscht. Dem Angeklagten drohen im Fall einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft und eine Geldbuße von 75.000 Euro.

Der Prozess, der auf zwei Tage angelegt ist, hätte eigentlich bereits im Oktober 2024 stattfinden sollen. Doch Depardieu legte damals ein medizinisches Gutachten vor, das ihn entschuldigte. Er leidet an Diabetes und hat einen vierfachen Bypass. Nun aber hieß es, er sei verhandlungsfähig, wenn die Sitzungen sechs Stunden pro Tag nicht überschreiten und nach drei Stunden eine Pause gemacht wird.
Mit gerötetem Gesicht erscheint Gérard Depardieu vor Gericht
Als Depardieu kurz vor Prozessbeginn erscheint, hat er ein gerötetes Gesicht, wirkt aber in guter Verfassung. Mit zügigen Schritten geht er in den Gerichtssaal und stützt sich dabei lediglich mit der Hand auf die Schulter seines Verteidigers Jérémie Assous. Mit einem undurchdringlichen Blick schaut er in die Kameras, einen Kommentar gibt er nicht ab. Das überlässt er Assous, der kurz darauf vor die Presse tritt. Der Prozess sei eine Gelegenheit, endlich die „Lügen“ der Anklage zu widerlegen, sagt der als offensiv bekannte Promi-Anwalt: „Wir werden die gesamten Anschuldigungen mit der Wirklichkeit konfrontieren.“ Bald komme „die Wahrheit“ ans Licht. Als eine Journalistin noch hinterherruft, was die Wahrheit sei, hat er sich schon weggedreht, um zu seinem berühmten Mandanten zurückzugehen. Sein Argument, es gebe keine Zeugen für angebliches Fehlverhalten beim Film, wurde vor dem Prozess widerlegt. In einem Fernsehinterview sagte Assous, auch wenn Depardieu manchmal „rüpelhaftes Verhalten“ an den Tag gelegt haben sollte, so sei das nicht strafbar.
Während Depardieu bei Eröffnung der Verhandlung mit ruhiger Stimme sagt, er werde auf alle Fragen antworten, nimmt sein Anwalt fast zwei Stunden in Anspruch, um gleich eine sofortige Einstellung des Verfahrens zu fordern. Während die Klägerseite Zeugen geladen habe, die deren Sicht bestätige, seien andere beim Dreh Anwesende nicht einmal befragt worden, beklagt Assous. „Die einzige Mission der Ermittler bestand darin, Gérard Depardieu zu Fall zu bringen.“
Auch der Schauspieler hat an diesem ersten Prozesstag seine Unterstützer dabei. Hinter ihm sitzen alte Kollegen wie Vincent Perez, der mit Depardieus Ex-Frau Karine Silla verheiratet ist, und Fanny Ardant. Sie war bei den Dreharbeiten 2021 dabei und hat ihren Freund Depardieu stets verteidigt. Sie habe nie Fehlverhalten bei ihm gesehen, sagte sie. „Man muss den Leuten, die man liebt, treu bleiben.“

Außerdem ist die Schauspielerin Anouk Grinberg vor Ort, ebenfalls eine frühere Vertraute Depardieus, die zu einer seiner härtesten Anklägerinnen geworden ist. Auch sie spielte im Film „Les volets verts“ mit. „Von morgens bis abends durften wir seinen unanständigen Schweinereien beiwohnen“, so Grinberg. Wer das nicht anklage, mache sich zum Komplizen.
Auch Charlotte Arnould ist persönlich gekommen. Die Schauspielerin und Tochter von früheren Freunden des gefallenen Superstars, den sie einst um Hilfe für ihre Karriere bat, hatte 2018 Anzeige wegen zweimaliger Vergewaltigung in seinem Pariser Stadtpalais erstattet. Ein erstes Verfahren wurde eingestellt, ein zweites wieder aufgenommen. Noch ist nicht entschieden, ob es zu einem Prozess kommt. Derweil laufen auch Ermittlungen wegen des Verdachts des schweren Steuerbetrugs und der Geldwäsche: Depardieu soll möglicherweise nie in der Villa in Belgien gewohnt haben, die er 2013 gekauft und bei den Fiskalbehörden als Wohnsitz angegeben hatte.
Zwar hatte der einstige Charakterdarsteller auch schon früher mit der Justiz zu tun, etwa weil er betrunken Unfälle auf seinem Motorroller gebaut hatte. Aber es wurde doch immer über eine Art „enfant terrible“ berichtet, dem jede Dummheit verziehen wird. Schließlich repräsentiert „Gégé“, wie ihn seine Freunde nennen, das französische Kino wie kaum ein anderer. In rund 250 Filmen spielte Depardieu mit, er drehte mit den größten Regisseuren von François Truffaut bis Jean-Luc Godard, spielte an der Seite von Leinwandstars wie Catherine Deneuve und Brigitte Bardot, verkörperte auf packende Weise den romantisch-liebenden Cyrano de Bergerac im gleichnamigen Film und später in mehreren Asterix-Verfilmungen den liebenswert tolpatschigen Obelix.
Seit einem Skandal-Interview ist Depardieu in den USA geächtet
Während er sich in den USA mit einem Interview ins Aus geschossen hatte, in dem er behauptet hatte, als Kind an Vergewaltigungen beteiligt gewesen zu sein, störte dies in Frankreich niemanden. Im Gegenteil: Dass ihm aufgrund seiner Skandal-Aussagen 1991 ein Oscar entging, bezeichnete der damalige französische Kulturminister Jack Lang empört als „Schlag unter die Gürtellinie“.
In seinem Heimatland kannte Depardieu keine Grenzen. Er, der in einem lieblosen und bildungsfernen Umfeld aufgewachsen war, setzte sich diese auch selbst nicht. Er war ausschweifend in allem, trank und aß viel zu viel, wie seine Wegbegleiter berichteten, rülpste und furzte hemmungslos an Filmsets. „Das ist eben Gégé“, verteidigten ihn diejenigen lachend, die mit ihm arbeiteten, ihn mochten oder von seinem Ruhm und seiner Großzügigkeit profitierten. Das galt auch, wenn er Frauen respektlos behandelte und bedrängte.
Und Depardieu wählte aus, bei wem er sich dies herausnahm, nämlich nicht bei den großen Stars; einer Deneuve fasste er nicht unter den Rock. Es waren eher die anonymen Maskenbildnerinnen, Assistentinnen, Jungschauspielerinnen – Frauen ohne Macht und Stimme. So scheint es in den Reportagen durch, die das französische Online-Investigativ-Magazin Mediapart in den vergangenen zwei Jahren veröffentlicht hat, die letzte erst vor wenigen Tagen. Mehr als 20 Frauen berichteten demnach von dem Gefühl der absoluten Erniedrigung durch das Verhalten von Depardieu, der ungefragt seine Hände über ihre Körper bis in ihre Slips wandern ließ, sich mit seinem Gewicht auf sie legte, obszöne Bemerkungen machte, während alle anderen nur lachten.

Dass ein Teil des Systems ihn aktiv schützte, wurde spätestens Ende 2023 klar, als zunehmend Anschuldigungen gegen ihn öffentlich wurden und mehrere offene Briefe erschienen, sowohl der Anklägerinnen, als auch der Unterstützerinnen. Schließlich hob sogar Präsident Emmanuel Macron zu seiner Verteidigung an. In einem Fernsehinterview sagte er, Depardieu sei „ein sehr großer Schauspieler“, der Frankreich stolz mache und er selbst, Macron, halte nichts von „Menschenjagd“. Auch der Betroffene selbst wies in einem öffentlichen Schreiben alle Vorwürfe zurück. „Nie, niemals habe ich einer Frau etwas zugefügt“ versicherte er.
Für viele Feministinnen gilt die Aufarbeitung seines Falls als wichtiges Echo auf die #metoo-Bewegung, die 2017 mit der Anklage des früheren Filmproduzenten Harvey Weinstein in den USA ihren Anfang nahm. Seitdem macht sie auf sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Kinobranche und darüber hinaus aufmerksam. Als ein Baustein davon gilt auch der aufsehenerregende Prozess in Avignon um Gisèle Pelicot Ende 2024. Er stärkte die Erkenntnis, dass sexuelle Gewalt nicht nur im Milieu der Mächtigen, Reichen und Schönen gedeckt wird.
Die 72-Jährige war über Jahre hinweg von ihrem eigenen Mann Dominique betäubt worden, der über eine Internetseite fremde Männer zu Vergewaltigungsorgien seiner bewusstlosen Frau einlud. Die Verhandlung gegen insgesamt 51 Angeklagte, die auf den ausdrücklichen Wunsch Gisèle Pelicots hin öffentlich stattfand, wirkte wie ein Elektroschock in der französischen Gesellschaft. Denn bei den Tätern handelte es sich eben nicht um abgehobene Kinostars, sondern oftmals um Familienväter, die als Soldat, Elektriker oder Journalist arbeiteten.
Der Fall Pelicot hat Frankreich eine Wende gebracht
Der Pelicot-Prozess stellte in Frankreich eine Wende dar, sagt die französische Soziologin Irène Théry. Denn der Blick auf die 50 Mitangeklagten neben Dominique Pelicot zeige, wie wenig sich Vergewaltiger ihrer Schuld bewusst seien, Ausreden suchten, wie sehr machistische Denkstrukturen überwögen – immer noch. In den seltensten Fällen seien die Täter „Fremde in einem Wald“, sondern oft Männer im Umfeld der Opfer. „Sie hatten nicht die Absicht zu vergewaltigen, sie hatten ihr Verbrechen nicht geplant, aber gut, die Gelegenheit hat sich geboten“, so Théry.
Hier ergibt sich eine Parallele zu Depardieu, der möglicherweise ebenfalls „Gelegenheiten“ ergriff, um seine Triebe zu befriedigen und das Gefühl der Straffreiheit erlebte – er konnte sich alles erlauben. Man ließ ihn gewähren. Doch diese Zeiten dürften vorbei sein.
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