Die Meldungen hatten empört und entsetzt: Nach massenhaften, im Internet verbreiteten Aufrufen, Frauen in ganz Frankreich während des traditionellen Musikfestivals Fête de la musique am 21. Juni heimtückisch mit Spritzen anzugreifen, hatten 145 Personen Anzeige erstattet. Sie klagten über verdächtige Einstichstellen, Übelkeit oder Schwindelgefühl. Sie hatten Angst, Opfer unbekannter Täter geworden zu sein.
Allerdings konnte seitdem kein einziger der angezeigten Fälle bestätigt werden, wie die französische Zeitung Le Monde berichtet. Bei Untersuchungen ließen sich demnach entweder keine Einstichstellen nachweisen oder die Betroffenen hielten irrtümlich Mückenstiche für solche. Auch wurden keine psychoaktiven Substanzen im Blut der Mädchen und Frauen entdeckt, die ins Krankenhaus gekommen waren, weil sie über heftige Ermüdungserscheinungen oder andere plötzlich auftretende Gesundheitsprobleme klagten. In keinem der 145 Fälle wurden Ermittlungen eingeleitet. Mindestens zwölf als verdächtig oder wegen auffälligem Verhalten festgenommene Männer kamen mangels Beweisen wieder frei. Allerdings heißt es, dass noch nicht alle Fälle aufgeklärt sind, etwa jener eines Mannes in Montpellier, der mit einer leeren Spritze festgenommen wurde.
Feministisches Netzwerk warnte massiv vor Angriffen
Auch wenn die Vorfälle rückblickend nach einer Panikmache ohne Grund klingen – die Aufrufe, Frauen mit Spritzen anzugreifen, hatte es im Vorfeld der in Frankreich äußerst beliebten Feier gegeben. So zirkulierte im sozialen Netzwerk Snapchat das Foto einer Plastiktüte von einer Apotheke im südfranzösischen Perpignan mit dem Kommentar „Ich habe alles, um am Samstag zuzustechen“. Die Sprecherin der Nationalpolizei, Agathe Foucault, sagte allerdings, die Zahl der Appelle sei überschaubar gewesen, aber die Weiterverbreitung solcher Nachrichten in den sozialen Netzwerken sei problematisch. „Sie kann manche zur Nachahmung bringen, die Taten begehen, an die sie sonst gar nicht gedacht hätten.“
Tatsächlich spielten mehrere Medien eine Rolle bei der Veröffentlichung der entsprechenden Warnungen. Zu den ersten, die massiv auf die Gefahr von Spritzenattacken hinwiesen, gehörte das Netzwerk „ActuReact“, dem auf Instagram 120.000 Menschen folgen. Laut Le Monde hatten der verantwortliche Gymnasiast und sein Team eigenen Angaben zufolge im Vorfeld bestimmte Chat-Gruppen infiltriert. In der Folge teilte das Internet-Medium Warnungen vor Angriffen und Verhaltenstipps vor allem des feministischen Accounts „Abrègesœur“.
Sogar falsche Meldungen über Panikszenen mit Toten machten die Runde
Doch diese Berichte erhöhten auch die Furcht. Viele Frauen diskutierten im Internet, ob sie überhaupt feiern gehen sollten, und wenn sie es taten, dann oft voller Misstrauen. Am Abend des 21. Juni selbst war erneut das Medium „ActuReact“ besonders aktiv beim Verbreiten von Meldungen – sowie von Falschinformationen, wie jene von angeblichen Messerangriffen auf Frauen. „Uns ist bewusst, dass die Veröffentlichung solcher Informationen ein Klima der Besorgnis schaffen kann“, reagierte der Verantwortliche auf Anfrage von Le Monde. Aber es handle sich um ein journalistisches Vorgehen, um „möglichst viele Menschen vorzuwarnen“.
Bleibt die Frage, ob es sich um objektive Warnungen oder um Panikmache handelte. Im westfranzösischen Angoulême zirkulierten an jenem Abend sogar Meldungen über angebliche Panikszenen mit Toten. Sie waren frei erfunden. Letztlich könnten die Urheber der frauenfeindlichen Nachrichten ihr ursprüngliches Ziel erreicht haben – nämlich Ängste in der Bevölkerung zu schüren und sie vom unbeschwerten Ausgehen abzuhalten.
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