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Sternekoch Alan Gaam von der „Auberge Nicolas Flamel“: Erfolgsgeschichte eines Flüchtlings

Frankreich

Wie aus dem Flüchtling Alan Geaam ein Sternekoch wurde

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    Alan Geaam, Sternekoch aus Paris.
    Alan Geaam, Sternekoch aus Paris. Foto: The Travel Buds

    Ein erstes Indiz ist die Fassade aus uralten Quadersteinen. Die dunkel getönten Fenster erlauben von der ruhigen Straße im Pariser Marais-Viertel aus keinen Blick hinein. Der zweite Beweis hängt außen auf Höhe des ersten Stocks. „Haus von Nicolas Flamel und Pernelle, seiner Frau“, steht auf Französisch auf der Plakette: „Um die Erinnerung an ihre mildtätige Stiftung zu bewahren, hat die Stadt Paris 1900 die ursprüngliche Inschrift aus dem Jahr 1407 restauriert.“ Das Gebäude ließ der Wohltäter Flamel zu Beginn des 15. Jahrhunderts errichten. Heute ist es denkmalgeschützt und das älteste Haus der Stadt, das sich genau datieren lässt.

    Einst brachte der reiche Pariser hier bedürftige Menschen kostenlos unter. Im Gegenzug sollten sie morgens und abends zu seinen Ehren beten. Der Legende nach war er ein Alchimist, dementsprechend heißt eine Figur bei „Harry Potter“ wie er.

    Die Butter wird auf besondere Art serviert.
    Die Butter wird auf besondere Art serviert. Foto: The Travel Buds

    Auberge Nicolas Flamel in Paris: Küchenkunst statt Armenspeisung im Marais-Viertel

    Eine Herberge ist der Ort immer noch, so sehr er sich auch gewandelt hat. In den oberen Stockwerken befinden sich Sozialwohnungen, darunter liegt das Restaurant „Auberge Nicolas Flamel“. Trotz des Namens hat es mit Armenspeisungen wenig zu tun, sondern bietet edle Küchenkunst. Das Menü gibt es ab 88 Euro, serviert werden zurzeit Jakobsmuscheln, Kalb oder Petersfisch mit Venusmuscheln, zum Dessert Mandelsulz mit Zitrusfrüchten und ein raffiniertes Schokoladentörtchen. Die Butter zum Brot ist goldummantelt und thront unter einer Glasglocke.

    2022 erhielt der Chefkoch und Besitzer Alan Geaam einen Michelin-Stern. Seine Geschichte ist die eines ganz besonderen Aufstiegs - und sie spiegelt sich auf verblüffende Weise in jener des Hauses wider, in dem einst Bedürftige unterkamen.

    Aufgewachsen zunächst in Liberia und dann im Libanon, wurde er während seines Militärdienstes in die Offiziersküche versetzt und lernte für größere Gruppen zu kochen. Im März 1999 kam Geaam nur mit einem Rucksack und 200 Franc, also knapp 50 Euro, nach Paris, im Gepäck den brennenden Wunsch, die französische Kochkunst zu lernen. Seine Mutter hatte ihm die Leidenschaft fürs Kochen mitgegeben, sein Vater den Geschäftssinn. Aber zunächst war er völlig mittellos.

    Das Haus der „Auberge Nicolas Flamel“ steht im Pariser Viertel Marais.
    Das Haus der „Auberge Nicolas Flamel“ steht im Pariser Viertel Marais. Foto: The Travel Buds

    Sternekoch Alan Geaam schlief auf Bänken und in der Metro

    An seinem ersten Tag sei er direkt zum Marsfeld gefahren, erzählt der 51-Jährige mit lebhaften Gesten. „Dort steht der Eiffelturm, und ihn zu sehen ist der Traum von Menschen auf der ganzen Welt.“ Seine ersten Nächte verbrachte er auf Parkbänken oder in der Metro. „Es ist hart, ja, aber viel härter war es, 20 Jahre Bürgerkrieg im Libanon zu erleben.“ Er habe Freunde bei Bombenangriffen verloren, monatelang in einem Keller gelebt. Nach Paris brachten ihn Schlepper. „Bei der Ankunft hatte ich eine Riesenangst, empfand Glück und Stress gleichzeitig und stellte mir die Frage: Und jetzt?“

    Geaam paukte Französisch-Vokabeln, fand erste Jobs als Bauarbeiter, Fliesenleger, Küchenhilfe. Schlief er zunächst auf Baustellen, konnte er sich mit seinen ersten Gehältern irgendwann eine sechs Quadratmeter kleine Bude leisten. „Ich war hin- und hergerissen: Einerseits wollte ich meinen Traum realisieren und Koch werden, andererseits musste ich erst einmal ins System gelangen und einen anständigen Job bekommen, egal welchen.“ Um beides miteinander zu vereinen, brach er um fünf Uhr morgens zur Baustelle auf und begann nach getaner Arbeit um fünf Uhr nachmittags seine Zweitstelle in der Küche – sechs Tage pro Woche. Als sich der Koch des Restaurants verletzte, sprang Geaam ein. So begann seine Karriere.

    Mein Leben ist ein Kampf, wenn ich morgens aufstehe, sage ich mir: Ich muss es noch besser machen als gestern.

    Alan Geaam, Sternekoch

    Rückblickend erscheint der Libanese wie einer jener illegal angekommenen Flüchtlinge, über deren sofortige Abschiebung in Frankreich heiß diskutiert wird. Dabei gehört er heute zur Riege der bewunderten Sterneköche und Geschäftsmänner. 2007 kaufte er die „Auberge Nicolas Flamel“, 2015 eröffnete er ein Bistro, 2017 übernahm er ein weiteres Restaurant im schicken 16. Arrondissement von Paris, für das er 2018 einen ersten Stern erhielt, er eröffnete mehrere libanesische Feinkostläden, weitere Bistros auch in Marseille und Lausanne, schrieb das Buch „Mein Libanon“. Wie er das alles meistert? „Mein Leben ist ein Kampf, wenn ich morgens aufstehe, sage ich mir: Ich muss es noch besser machen als gestern“, verrät Geaam. Das scheint dem Mann tagtäglich zu glücken, der von einem Bedürftigen, wie sie die „Auberge Nicolas Flamel“ einst aufnahm, zu deren Besitzer wurde, der selbst Gäste empfängt.

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