Mehr nach „alter Schule“ hat sich Falke wohl noch nie gefühlt. In seinem neuesten Fall bekommt er nicht nur Unterstützung von der Hannoveraner Ermittlerin Yael Feldman (hoffentlich noch öfter dabei: Peri Baumeister) und der Göttinger „Tatort“-Kommissarin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba), sondern auch von Kollegin Kroisos. Diese ist eine Ermittlungssoftware, die auf künstlicher Intelligenz basiert – und Millionen Mal schneller „denkt“ als Falke (Wotan Wilke Möhring).
Das Verbrechen aus der Episode „Im Wahn“ (Ostermontag, ARD, 20.15 Uhr) ist in den Augen der BKA-Direktorin perfekt für die Software: zwei Morde in der Anonymität des Hauptbahnhofs von Hannover, 200 potenzielle Verdächtige. Ein Kroisos-Experte wird also aus London eingeflogen und Falke ist mehr als skeptisch. Auch Ermittlerin Schmitz sagt eher sarkastisch über den Einsatz der KI: „Man wird nicht jeden Tag Zeuge eines Wunders.“

Während Falke sich nach klassischen Zeugenaufrufen und Befragungen an der Haustür sehnt, liefert die KI: Sie wertet die Bahnhofsfunkzelle aus, zeichnet anhand der Smartphone-Daten von allen Anwesenden die Bewegungsprofile nach, durchforstet ihre Beiträge in den sozialen Medien und die Behördenkontakte der vergangenen zehn Jahre.
Tatort: Zuschauer müssen sich existenziellen Fragen stellen
Binnen Sekunden blinkt ein Gesicht auf dem PC-Bildschirm auf: René Kowalski (Mirco Kreibich), zur Tatzeit am Bahnhof, zuvor drei Tage Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, dazu eine alte Anzeige wegen Körperverletzung und ein Social-Media-Beitrag, der auf Verfolgungswahn schließen lässt. Tatsächlich: Er war's. Jedenfalls deutet alles darauf hin. Als Falke und Feldman den von Kommissarin KI überführten Täter befragen wollen, stürzt er vom Balkon und stirbt.
Dieser „Tatort“ erzählt so gelungen am Puls der Zeit entlang wie vielleicht noch keiner vorher. Er stellt die Frage nach Datenschutz und Persönlichkeitsrechten in Zeiten rasanten technischen Fortschritts. Falkes ungutes Gefühl springt in die Wirklichkeit über. Plötzlich fühlt sich das eigene Handy an wie ein Spion in der Hosentasche. Man fragt sich: Welche Daten sendet es jetzt gerade über mich? Könnte auch mein Bewegungsprofil verdächtig sein – und wenn ja, wofür? Soll man Ermittlungsarbeit vom Staat in die Hände gewinnorientierter Firmen legen, wenn dann die Aufklärungsquote steigt? Eine Radio-Moderatorin beantwortet diese Frage im Film eindeutig für sich: Ja. „Lieber gläsern als tot.“
Dann scheint sich die KI im „Tatort“ zu irren
Wie gut, dass die Macher der Folge (Regie: Viviane Andereggen, Drehbuch: Georg Lippert) der Beklommenheit auch mit Witz begegnen: Als der KI-Entwickler einen Kaffeeautomaten in seine Einzelteile zerlegt, weil er von Falkes Leidenschaft für kalte Milch erfahren hat, kontert der Fahnder mit der Frage, warum der Software-Mann eine Brille trage – wo er doch offensichtlich eben erst sein linkes Auge habe lasern lassen. Wer weiß mehr über den anderen und aus welcher Quelle? Ein schönes Spielchen.
Dann plötzlich passiert noch ein Mord. Die KI scheint sich geirrt zu haben. Am Ende ist es ein hartnäckiger Journalist anstelle einer schlauen Software, der Falke auf die richtige Spur bringt. Die großen moralischen Fragen jedoch nehmen die Zuschauer mit ins Bett.
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