„Dir gehört die Stadt, dir gehört das Meer“ – so versprach jahrelang die Aufschrift auf einem Bauzaun, der Istanbul und seine Bewohnerinnen und Bewohner vom Meer abschnitt. Er riegelte das historische Hafengelände am Zusammenfluss von Goldenem Horn und Bosporus ab. Ein Konsortium türkischer Konzerne und Banken baute dahinter an einem Großprojekt namens „Galataport“, das Kreuzfahrtschiffe nach Istanbul locken soll. Nach fünfjähriger Bauzeit wurde der Zaun nun abgerissen und der Komplex enthüllt. Die Stadt und das Meer, so zeigt sich nun, gehören nur jenen Bewohnern und Besuchern, die genug Geld für den neuen Galataport haben. Konsum, Kultur und Kreuzfahrten kommen hier zu einem Luxuserlebnis zusammen, das weltweit einzigartig sein dürfte.
Der Galataport-Komplex zieht Besucherinnen und Besucher magnetisch an
Einmalig ist vor allem die Lage des Komplexes. Die Aussicht auf die Altstadt-Halbinsel mit ihren Kuppeln, Minaretten und Türmen ist atemberaubend. Hagia Sophia, Blaue Moschee und Topkapi-Palast reihen sich am Goldenen Horn vor dem Betrachter auf; fast automatisch zücken Besucherinnen und Besucher hier die Handykamera, wie in den ersten Tagen zu beobachten war. Durch Tore und Fenster des modernistischen Baus schimmern die Fassaden von zwei Sultans-Moscheen, die an das Gelände grenzen; ein Glockenturm aus dem Jahr 1848 wurde sogar in die Anlage integriert.
Der Komplex selbst ist schonungslos modern mit viel Glas, Stahl und Beton und umfasst auf 400.000 Quadratmetern Hunderte Geschäfte und Restaurants, Tausende unterirdische Parkplätze, ein Luxushotel und ein Museum für moderne Kunst. Der Kreuzfahrthafen ist auf originelle Weise integriert: Wenn ein Schiff anlegt, hebt sich die Uferpromenade zu einer senkrechten Mauer, die es von außen abriegelt; darunter kommt eine Rampe zum Vorschein, auf der die Passagiere hinabsteigen ins unterirdische Terminal, wo Zoll und Passabfertigung untergebracht sind.
Stadt und Meer gehören den Menschen? Blanker Hohn, sagen Kritiker
Das hat für einheimische Besucher des Komplexes einen Nachteil, wie sich bei Ankunft der ersten Kreuzfahrten zeigte. Solange ein Schiff im Hafen liegt und die Mauer hochgefahren ist, müssen die Gäste in den Restaurants an der Promenade auf die Aussicht über das Goldene Horn verzichten und blicken stattdessen auf die Mauer.
Das Versprechen, Stadt und Meer würden hier fortan den Menschen von Istanbul gehören, empfinden Kritiker nicht nur deswegen als Hohn. Galataport sei in erster Linie für Kreuzfahrtpassagiere konzipiert, die dort ihre Devisen ausgeben sollen, schrieb Chefredakteur Fatih Polat in der Zeitung Evrensel. Die Architektur sei danach ausgerichtet, was diese Besucher sehen oder nicht sehen wollten.
Der Komplex errichte im wahrsten Sinne eine Mauer zwischen den verarmten Einwohnern der Stadt und reichen Kreuzfahrtpassagieren, schrieb Polat. Auch wenn der Galataport nominell der gesamten Öffentlichkeit offenstehe, trage er doch weiter zur Gentrifizierung historischer Stadtviertel und dem Umbau von Istanbul für privatwirtschaftliche Profitinteressen bei. Tatsächlich hat das eineinhalb Milliarden Euro teure Projekt für durchschnittliche Einwohnerinnen und Einwohner der 15-Millionen-Metropole wenig zu bieten: keine Grünflächen, keine Spielplätze und keinen Ort, an dem man sich aufhalten könnte, ohne sehr viel Geld auszugeben. Die Preise in den Lokalen entlang der Uferpromenade kritisierte selbst die regierungsnahe Zeitung Hürriyet als astronomisch und „die höchsten von ganz Istanbul“.
Für wen soll Istanbul eigentlich umgewandelt werden, fragen sich viele
Grundsätzlich sei nichts gegen die Umwandlung historischer Industrieflächen in Kulturstätten einzuwenden, schrieb die Architektin Meryem Tasdemir im Fachblatt Politeknik, doch sei die Frage immer: für wen? Das Museum für moderne Kunst, das demnächst im Komplex eröffnen soll, hält die Architekturkritikerin für ein kulturelles Feigenblatt, dessen Zweck vor allem darin bestanden habe, im Planungsverfahren die Privatisierung des Bosporus-Ufers und des historischen Stadtzentrums zu legitimieren. „Können wir wahrhaftig behaupten, dass dieses Projekt der kreativen Kapazität unserer Stadt dient?“