Urteil: Ehemaliger SS-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in KZ verurteilt
Ein 101-jähriger ehemaliger SS-Wachmann ist wegen Beihilfe zum Mord im KZ Sachsenhausen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Bis zum Schluss beteuerte er seine Unschuld.
Ein 101-jähriger Mann, der früher als SS-Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen gearbeitet hat, wurde nun in Brandenburg wegen Beihilfe zu Mord an mindestens 3518 Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Landgericht Neuruppin verhandelte neun Monate lang gegen den Angeklagten. Bis zuletzt bestritt der hochbetagte Mann, dass er im KZ Sachsenhausen tätig gewesen war.
Das Gericht orientierte sich beim Strafmaß an den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Der Vertreter der Nebenklage Thomas Walther forderte eine mehrjährige Haftstrafe nicht unter fünf Jahren. Auch zwei weitere Vertreter der Nebenklage wollten einen Schuldspruch, nannten aber kein konkretes Strafmaß. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch.
101-Jähriger bestritt im Prozess jemals als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen gearbeitet zu haben
In seinem Plädoyer am Montag, sagte Verteidiger Stefan Waterkamp, dass dem Angeklagten keine konkreten Taten der Beihilfe zum Mord an Tausenden Menschen im KZ nachgewiesen werden könne. Eine allgemeine Tätigkeit im Wachdienst eines KZ reiche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für eine Verurteilung wegen Beihilfe nicht aus.
Falls es doch zu einer Verurteilung kommen sollte, beantragte der Verteidiger hilfsweise eine Bewährungsstrafe. Waterkamp wehrte sich zudem gegen die Höhe des Strafmaßes der Staatsanwaltschaft, denn im Vergleich zu früheren Urteilen gegen Täter des Nationalsozialismus seien fünf Jahre unangemessen hoch. Die Beweislage sei außerdem sehr dünn, da es nicht ausgeschlossen sei, dass es im litauischen Heimatdorf des 101-Jährigen noch weitere Personen mit diesem Namen gegeben habe. Waterkamp erklärte, dass es kein Dokument zu einer SS-Tätigkeit seines Mandaten gebe, das er unterschrieben hätte.
Seit vergangenem Oktober lief der Prozess, in dem der 101-Jährige immer bestritt im KZ Sachsenhausen gearbeitet zu haben. Er selbst gab an, dass er in der fraglichen Zeit von 1942 bis Anfang 1945 als Landarbeiter bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) gearbeitet habe. Allerdings liegen der Staatsanwaltschaft Dokumente zu einem SS-Wachmann mit entsprechendem Namen, Geburtsdatum und Geburtsort vor.
Urteil: 101-Jähriger rund drei Jahre als KZ-Wachmann tätig
Der Angeklagte beteuerte in seinem Schlusswort erneut seine Unschuld: "Ich weiß überhaupt nicht, was ich getan haben soll." Der 101-Jährige erklärte, dass er aus Litauen komme und nicht wisse, wovon im Prozess gesprochen worden sei. "Ich weiß nicht, warum sitze ich hier auf der Strafbank", sagte er: "Ich habe doch gar nichts damit zu tun."
Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann erklärte im Prozess: "Das Gericht ist zur Überzeugung gelangt, dass Sie entgegen Ihren gegenteiligen Beteuerungen rund drei Jahre lang in dem Konzentrationslager als Wachmann tätig waren." Der Angeklagte habe dadurch den Terror und die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten begünstigt. "Sie haben mit Ihrer Tätigkeit diese Massenvernichtung bereitwillig unterstützt."
Aus organisatorischen Gründen wurde der Prozess in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel, wo der Angeklagte auch wohnt, geführt. Der 101-Jährige konnte pro Tag nur etwa zweieinhalb Stunden beim Prozess anwesend sein und war nur eingeschränkt verhandlungsfähig.
Im Konzentrationslager Sachsenhausen kamen Zehntausende Häflinge ums Leben
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, begrüßte das Urteil:"Auch fast acht Jahrzehnte nach Kriegsende sind noch Täter der NS-Zeit am Leben, und auch nach dieser langen Zeit können sie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden: Das ist die wichtige Botschaft, die vom heutigen Urteil ausgeht. Das Landgericht Neuruppin hat das richtige Zeichen gesetzt und ist heute zumindest einem kleinen Teil des massiven nationalsozialistischen Unrechts mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet."
Knobloch erklärte, dass kein Gerichtsprozess der Welt die Verbrechen von damals ungeschehen machen könne. "Aber dieses Land und die nachfolgenden Generationen stehen gegenüber den Opfern in der Verantwortung, die Täter des Holocaust, wo immer möglich, weiter zur Rechenschaft zu ziehen. Wer millionenfachen Mord ermöglicht hat, der muss bestraft werden." Dabei dürfe das Alter kein Hindernis sein, betonte die Präsidentin: "Wer eine solche Schuld auf sich geladen hat, für den darf es keinen ruhigen Lebensabend geben."
Das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde im Sommer 1936 von Häftlingen errichtet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 waren dort mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Neben politischen Gegnern des NS-Regimes, zählten zu den Häftlingen verfolgte Gruppen wie Juden sowie Sinti und Roma. Durch Krankheiten, Hunger, Zwangsarbeit, Misshandlungen und medizinischer Versuche kamen in dieser Zeit Zehntausende Menschen ums Leben.