Wie ein entgleister Güterzug eine Umweltkatastrophe in Ohio auslöste
Nach einem Zugunglück in Ohio wurden ein gigantischer Rauchpilz und giftige Gase freigesetzt. In den Bächen schwimmen tote Fische, Einwohner klagen über Übelkeit.
Die Evakuierung der Häuser ist aufgehoben, die Schulen haben wieder geöffnet und auf der Bahnstrecke rollt der Verkehr. Aus der Ferne könnte man fast glauben, in dem 4700-Einwohner-Ort East Palestine zwischen Pittsburgh und Cleveland an der Ostgrenze des Bundesstaats Ohio kehre zwei Wochen nach einem katastrophalen Zugunglück die Normalität zurück - wären da nicht dieser anhaltende faulige Geruch in der Luft, die toten Fische im Fluss und die Kopfschmerzen, über die viele Bewohner klagen.
Es ist eine der tödlichsten Umweltkatastrophen seit Jahrzehnten
"Wir haben im Grunde einen ganzen Ort vernichtet, um die Bahnstrecke freizukriegen", beschreibt Si Caggiano, der frühere Feuerwehr-Chef des 50 Meilen entfernten Städtchens Youngstown, im Gespräch mit einem lokalen Radiosender drastisch die Lage. "Dies ist eine der tödlichsten Umweltkatastrophen seit Jahrzehnten", schlägt Jamaal Bowman, ein linker Demokraten-Abgeordneter aus New York, Alarm. Schon sprechen rechte Fernsehmoderatoren wie Dagen McDowell vom "Tschernobyl in Ohio".
Das Umwelt-Drama in East Palestine hat sich über zwei Wochen und bislang weitgehend ohne größere Beachtung in den nationalen Medien der USA entfaltet. Am Anfang steht die routinemäßige Fahrt des Güterzuges 32N der Norfolk Southern Railways, der wie oft in den USA mit drei Lokomotiven und 150 Waggons eine gigantische Länge hatte. Kurz vor 21 Uhr am 3. Februar entgleiste das Mammut-Gefährt bei East Palestine. 38 Wagen sprangen aus der Spur und explodierten, viele weitere wurden bei dem Feuer schwer beschädigt.
Umweltschützer fürchten, dass die Giftstoffe immer noch in der Luft sind
Mindestens ein Dutzend der gekenterten Tank-Waggons transportierte Gefahrengüter, darunter insbesondere das krebserregende Vinylchlorid, das zudem narkotisierend wirkt und die Leber reizt. Angesichts der extremen Temperaturen am Brandherd befürchteten die Behörden eine gigantische Detonation und entschieden sich daher drei Tage nach dem Unglück, die giftige Chemikalie freizusetzen und kontrolliert abzufackeln. Die Anwohner im Umkreis von 1,6 Kilometern wurden evakuiert. Auf Videoaufnahmen kann man sehen, wie ein monströser schwarzer Rauchpilz in die Luft schießt und den Himmel verdunkelt. Das sichtbare Inferno dürfte kaum die schlimmste Folge gewesen sein. Beim Verbrennen von Vinylchlorid werden nämlich Chlorwasserstoff und Phosgen freigesetzt, das im Ersten Weltkrieg als Kampfgas eingesetzt wurde. Umweltschützer fürchten nun, dass die Giftstoffe immer noch in der Luft oder in den Boden und das Grundwasser eingesickert sind.
Während das Ereignis in den nationalen Medien deutlich weniger Aufmerksamkeit als die mutmaßlich harmlosen unidentifizierten Flugobjekte am Himmel findet, tauchen in den Online-Netzwerken zunehmend Fotos von toten Hunden, Füchsen und Hühnern mutmaßlich aus East Palestine auf. Die lokalen Behörden haben festgestellt, dass vier Wasserläufe des Ohio River auf einer Länge von zwölf Kilometern kontaminiert sind, und schätzen, dass etwa 3500 Fische verendet sind. Viele Menschen in der Region klagen über brennende Augen, Kopfschmerzen, Husten und Übelkeit.
Die Angst vor Langzeitschäden ist unter den Einwohnern groß
Trotzdem besteht nach offiziellen Angaben für die Einwohner keine akute Gefahr. Die Umweltbehörde EPA hat in der Luft keine Belastung über den Grenzwerten gefunden. Auch die Proben von Grund- und Trinkwasser fielen bislang negativ aus. Bei Messungen in 396 Häusern wurde keine Belastung mit Vinylchlorid oder Chlorwasserstoff festgestellt. Viele Menschen überzeugt das nicht. "Erzähle mir nicht, dass alles sicher ist, wenn tote Fische im Bach herumschwimmen", sagte Cathey Reese, die im benachbarten Negley wohnt, dem Pittsburgher Lokalsender WPXI. Vor allem die Angst vor Langzeitschäden ist groß.
Was genau das ursprüngliche Unglück verursacht hat, ist derweil noch unklar. Überwachungskameras an der Strecke hatten eine Funken sprühende Achse aufgenommen. Die Experten der zuständigen Behörde haben ein überhitztes Radlager sichergestellt, das nun untersucht wird.
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