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Wie die Fußball-EM der Frauen die Gleichstellung in der Schweiz vorantreiben soll

Fußball-Europameisterschaft 2025

Wer hat's nicht erfunden? Die Fußball-EM soll die Frauenrechte in der Schweiz voranbringen

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    Veraltetes Frauenbild? Ganz so wie auf dieser historischen Postkarte ist die Situation in der Schweiz natürlich nicht mehr. Aber zumindest war das Land in vielen Fragen der Gleichberechtigung spät dran.
    Veraltetes Frauenbild? Ganz so wie auf dieser historischen Postkarte ist die Situation in der Schweiz natürlich nicht mehr. Aber zumindest war das Land in vielen Fragen der Gleichberechtigung spät dran. Foto: Arkivi, Imago

    Laura Kaufmann glaubte, dass die Zeit reif ist, aber viele andere glaubten das nicht. Mit einem kleinen Team wollte sie ein gedrucktes Magazin entwickeln, in dem es ausschließlich um den Fußball der Frauen geht. Es wäre eines der ersten Magazine dieser Art in Europa. Und wenn nicht jetzt, wann dann, dachte sich Kaufmann mit Blick auf die Europameisterschaft der Frauen, die am kommenden Mittwoch in der Schweiz beginnt, eines der größten Sportereignisse in der Geschichte des Landes, natürlich auch unter Beteiligung der deutschen Elf.

    „Wir haben bei vielen Unternehmen um Unterstützung geworben“, erzählt Kaufmann. „Aber die Rücklaufquote war unterirdisch schlecht.“ Sie sitzt in einem kleinen Raum in der Hochschule der Künste in Zürich, wo sie einst Design studiert hat. Kaufmann spricht mit einem Lächeln, geduldig, und mitunter will der Inhalt nicht recht zu ihrer ruhigen Tonlage passen, wenn sie etwa sagt: „Die Marketingabteilungen dieser Unternehmen, die meist von Männern geprägt werden, sind offenbar noch nicht so weit wie die Schweizer Gesellschaft.“

    Es scheint in der Schweiz gerade eine gute Zeit zu sein, um kulturelle Grenzen auszuloten

    Laura Kaufmann kennt das Gefühl, unterschätzt zu werden. Sie hat unter anderem als Bildredakteurin bei einer Schweizer Tageszeitung gearbeitet. Später fotografierte sie die Fußballerinnen des FC Zürich. Die männlichen Kollegen ließen sie machen, wohl auch, weil sich ihr Interesse am Frauenfußball in Grenzen hielt. Kaufmann baute Vertrauen zu den Spielerinnen auf. Sie porträtierte sie als Leistungssportlerinnen, nicht als Objekte für ein männliches Publikum. In sozialen Medien waren ihre Blogs und Fotostrecken besonders beliebt, die Klickzahlen stiegen. Ihre Kollegen in den Redaktionen waren überrascht, sie selbst war es nicht.

    Also musste es doch klappen mit einem Magazin für Frauenfußball, glaubte sie. Sie startete ein Crowdfunding, eine Finanzierung durch kleinere, aber viele Geldbeträge. Und schon nach wenigen Wochen war das Ziel erreicht: Mehr als 80.000 Franken, rund 85.000 Euro, zusammengetragen von fast 900 Spenderinnen und Spendern. Und nun, kurz vor Beginn der Europameisterschaft, verbreiten sie das Magazin mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren. „Wir wollen positiv und konstruktiv sein“, sagt Laura Kaufmann. „Und auch politisch.“ Der Titel des Magazins: „Frau Müller“. Klingt so normal und trocken, dass es fast schon provokativ wirkt.

    Laura Kaufmann ist Gründerin eines Frauen-Fußballmagazins in der Schweiz.
    Laura Kaufmann ist Gründerin eines Frauen-Fußballmagazins in der Schweiz. Foto: Ronny Blaschke

    Es scheint in der Schweiz gerade eine gute Zeit zu sein, um kulturelle Grenzen auszuloten. In den großen Städten haben Verwaltung, Vereine und Unternehmen rund um die EM besondere Programme aufgelegt. Und häufig geht es dabei um Fragen der Gleichstellung. In einer beliebten Fußballkneipe in Basel etwa diskutieren Politikerinnen mit Fußballerinnen über Lohnunterschiede. In Zürich beschreiben Künstlerinnen in einem Rundgang Darstellungen von Frauen im öffentlichen Raum. Und in Bern finden Theaterstücke, Lesungen und Workshops für Kinder statt. Der Fußball als Anstoßgeber für gesellschaftliche Debatten? In der Schweiz war das lange kaum denkbar – und das hat vor allem historische Gründe.

    Man kann die Ursachen gerade im Museum des FC Zürich ergründen, einem der wichtigsten Fußballklubs in der Schweiz. Zwischen alten Pokalen, Wimpeln und Zeittafeln vermittelt eine Fotoausstellung die Geschichte des Schweizer Nationalteams der Frauen. Gleich das erste Bild auf der Zeitachse aus dem Sommer 1970 ist voller Symbolik. Es zeigt die „Pionierinnen“, die Schweizer Spielerinnen vor ihrem ersten Länderspiel in Schaffhausen gegen Österreich. Sie tragen verwaschene und übergroße Trikots in Gelb und Orange, nicht in den Nationalfarben Rot und Weiß. Es waren Trikots, die männliche Jugendspieler nicht mehr gebraucht hatten. Und doch wirken etliche Spielerinnen auf dem Foto zuversichtlich und stolz.

    Das Wahlrecht für Frauen wurde in der Schweiz erst 1971 angenommen

    Es war eine Zeit, in der traditionelle Strukturen allmählich aufbrachen, auch geprägt durch die 68er-Bewegung. In etlichen Ländern Westeuropas vernetzten sich Frauen und forderten Gleichberechtigung ein. Auch im Fußball, wo ein Spielbetrieb der Frauen lange von Verbänden untersagt worden war. Nun aber schlossen sich Spielerinnen zu Nationalteams zusammen und bestritten bald ihre ersten Länderspiele. In Deutschland 1982, in Italien 1986 und in Österreich 1990.

    Die Schweizerinnen waren mit ihrer Premiere 1970 früher dran, obwohl sie in manchen Fragen Bürgerinnen zweiter Klasse waren. Das Wahlrecht für Frauen wurde in der Schweiz erst 1971 angenommen. Ein Jahr später wurden auch im Sportunterricht Mädchen und Frauen gleichgestellt. Das heißt, er wurde auch für Mädchen verbindlich, zuvor diente er Jungen als Vorbereitung auf den Militärdienst. Die weitere Entwicklung verlief jedoch schleppend, sagt die Historikerin Marianne Meier: „Die Verbände duldeten den Frauenfußball nicht, weil sie ihn zeitgemäß fanden, sondern weil sie ihn kontrollieren wollten.“

    Die frühen Länderspiele der Schweiz fanden oft in kleineren Ortschaften statt. Immer wieder mussten Spielerinnen ihre Teilnahme absagen, weil sie keinen Urlaub erhielten, die Reisekosten zu hoch waren oder sie in der Familie gebraucht wurden. Und auch in den Medien überwog eher Skepsis, etwa beim Magazin „Tip“: „Die Frau soll denjenigen Sport betreiben, der ihr Spaß bereitet. Wenn es denn aber Fußball ist, so soll sie ihn am besten vor der Öffentlichkeit fernhalten, damit sie sich nicht der Lächerlichkeit preisgibt.“

    Kaum jemand kann diese Geschichte in der Schweiz so gut nachzeichnen wie Marianne Meier. Im Jahr 2000 stieß sie auf eine Zeitungsanzeige, in der die Nationalspielerinnen der frühen 70er Jahre für ein Treffen warben. Sie meldete sich, nahm an der Runde teil, verteilte Fragebögen für ihre Forschung. „Nur eine von 16 Spielerinnen damals betrachtete den Fußball 1970 als politischen Akt“, sagt Meier. „Einige wollten sich ausdrücklich nicht als Feministinnen verstanden wissen.“

    Tradition gilt auch im Schweizer Fußball als wichtige Währung

    Die Pionierinnen fremdelten mit politischen Kategorien, vielleicht auch mit ihrer Vorbildrolle. Und doch waren sie Feministinnen. Weil sie sich etwas herausnahmen, was Männer schon seit hundert Jahren durften: Grätschen, Flanken schlagen, beim Torjubel die Fäuste ballen. Über diese Generation hat Meier nun mit der Geschlechterforscherin Monika Hofmann ein Buch geschrieben und einen Podcast produziert. Der Titel: „Das Recht zu kicken“.

    Doch dieses Recht war auch für die nachfolgenden Generationen nicht selbstverständlich, wie ein Besuch im Wankdorf-Stadion von Bern zeigt, der Heimstätte des BSC Young Boys. Vor der modernen Fassade posieren Touristen neben einem großen Schwarzweiß-Foto von 1954, als die deutsche Nationalmannschaft der Männer in Bern zum ersten Mal Weltmeister wurde. Tradition gilt auch im Schweizer Fußball als wichtige Währung.

    Das Berner Wankdorf-Stadion ist natürlich für Deutschland mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 verbunden.
    Das Berner Wankdorf-Stadion ist natürlich für Deutschland mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 verbunden. Foto: dpa

    In den Katakomben kommt Franziska Schild in schnellem Schritt aus ihrem Büro und nimmt im Konferenzsaal Platz, hinter ihr zeigen Plakate die voll besetzten Tribünen des Stadions. Schild, die um die Jahrtausendwende vier Länderspiele für die Schweiz bestritten hat, verantwortet den Frauenfußball bei den Young Boys. Und sie vermittelt im Gespräch schnell den Eindruck, als hätte Tradition für sie nicht die oberste Priorität.

    Franziska Schild ist in einem Vorort von Bern aufgewachsen. In ihrer Jugend blieben viele Mütter zu Hause und kümmerten sich um die Familie. Sie war eines der wenigen Mädchen in der Schule, das sich für Fußball interessierte, doch nach Vorbildern musste sie suchen. 1994 feierte der Schweizerische Fußballverband seinen 100. Geburtstag. In der Festschrift wurde das Nationalteam der Frauen nicht mal erwähnt.

    In der Rangliste des Weltwirtschaftsforums zur Geschlechtergerechtigkeit belegt die Schweiz nur Platz 20

    Die Schweiz ist wohlhabend, hat pro Kopf das dritthöchste Bruttoinlandsprodukt der Welt. Doch in der Rangliste des Weltwirtschaftsforums zur Geschlechtergerechtigkeit belegt die Schweiz nur Platz 20. „Auch heute sind die veralteten Rollenbilder in der Schweiz noch stark verankert“, sagt Franziska Schild. „In den Führungsgremien des Fußballs sind Frauen klar unterrepräsentiert.“

    Als einer der letzten Nationalverbände Europas hat der Schweizerische Fußballverband erst 2024 Frauen in seinen Vorstand aufgenommen. Insgesamt liegt der Anteil an Funktionärinnen im Schweizer Fußball bei 13 Prozent, der Anteil der Trainerinnen bei acht Prozent und der von Schiedsrichterinnen bei drei Prozent. 

    Franziska Schild hatte als Funktionärin schon unterschiedliche Jobs, und manchmal kam es vor, dass sie am Telefon für die Sekretärin gehalten wurde. Sie findet es gut, dass selbst die ehemalige Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd den Sport in die Pflicht nahm. Künftig sollen in Sportverbänden mindestens 40 Prozent der Führungskräfte weiblich sein.

    Und trotzdem: Franziska Schild ist sich bewusst, dass die Fußballerinnen nun bei ihrem aktuellen Klub in Bern nicht so bald den gleichen Stellenwert erhalten wie die Fußballer. Aber sie kann zumindest die Strukturen zusammenführen. „Wir wollen kein Eigenleben führen“, sagt Schild. „Alle Abteilungen im Verein, ob Marketing oder Medien, sollen den Frauen- und Männerfußball gleichermaßen im Blick haben.“ Bei Sponsorenevents oder Autogrammstunden sollen Spieler und die Spielerinnen gemeinsam auftreten.

    Ihren Lebensunterhalt können nur wenige Spielerinnen mit Fußball bestreiten

    Schon seit zwei Jahren bestreiten die Fußballerinnen des BSC Young Boys ihre Heimspiele im großen Wankdorf-Stadion, manchmal vor mehr als 10.000 Zuschauern. Es ist eine Atmosphäre, die sich unterscheidet von der mitunter aufgeladenen Stimmung im Männerfußball. Viele Familien besuchen die Berner Fußballerinnen, etliche Schulklassen und Jugendgruppen. Franziska Schild spricht von einem „Eventpublikum“, aber für sie hat dieser Begriff keinen negativen Klang.

    Bei der EM finden vier Spiele in Bern statt. Rund um das Stadion sind die Wegweiser und Sponsorenlogos angebracht. In der Innenstadt werben Restaurants und Kneipen für Public Viewing. Die Schweizerinnen sind im Turnier krasser Außenseiter. Und doch: „Ich bin mir sicher, dass nach der Euro mehr Mädchen Fußball spielen wollen“, sagt Franziska Schild, und sie hofft langfristig auch auf mehr Schiedsrichterinnen oder Stadionsprecherinnen, aber auch auf bessere Rasenplätze und Umkleidekabinen für Mädchen.

    Die Spielerinnen des BSC Young Boys sind in der Schweiz gerade Meisterinnen geworden. Doch ihren Lebensunterhalt können nur wenige von ihnen mit Fußball bestreiten. Eine Spielerin arbeitet als Köchin, eine andere als Schreinerin, wiederum andere gehen einem Studium nach. Laut einer Umfrage von 2022 erhielten Schweizer Fußballerinnen ein durchschnittliches Monatsgehalt von knapp 400 Euro.

    Der offizielle Slogan bei der Europameisterschaft lautet: „Together we rise“, gemeinsam steigen wir auf. Bis zur Spitze ist es ein weiter Weg.

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