Herr Feiger, das Thema Wohnen hat in den vergangenen Wahlkämpfen eine größere Rolle gespielt als in diesem. Dabei hat sich die Lage verschärft. Sie rufen jetzt mit dem Bündnis „Soziales Wohnen“ zum Handeln auf. Wie bewerten Sie die Situation?
Robert Feiger: Es ist enttäuschend, wie wenig das Thema bezahlbarer Wohnraum im aktuellen Wahlkampf eine Rolle spielt. Dabei ist die Wohnungsnot nicht nur dringender geworden, sie hat sich zu einer echten sozialen Krise entwickelt. Die Parteien werden der Tragweite des Problems in keinster Weise gerecht und nennen keine messbaren Ziele in ihren Programmen.
Es hat sich gezeigt, dass große Versprechen wie 400.000 neue Wohnungen jährlich im Bund oder 10.000 staatlich gebaute Wohnungen in Bayern nicht eingehalten wurden. Hat die Politik aus solchen Debakeln gelernt und ist nun vorsichtiger?
Feiger: Die Probleme am Wohnungsmarkt lösen sich nicht dadurch, dass man keine Ziele mehr nennt. Die Ziele der Bundesregierung, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr und darunter 100.000 Sozialwohnungen, waren richtig. Der Notstand am Wohnungsmarkt ist dramatisch und die Lage verschlechtert sich immer weiter. Der Wohnungsmarkt leidet inzwischen unter einem chronischen Burnout. Die Parteien müssen konkrete Vorschläge vorlegen: Wie bauen wir schneller und günstiger? Wie reduzieren wir die Bürokratie? Welche Bauvorschriften können vereinfacht werden? Es ist dringend Zeit für einen echten Kurswechsel.

Bauen hat sich in Deutschland immens verteuert: gestiegene Bauzinsen, immer schärfere Vorschriften und Baukosten von bis zu 7000 Euro pro Quadratmeter, wie in München. Müssen die Standards gesenkt werden?
Feiger: Es muss möglich sein, kostengünstiger und effizienter zu bauen. Der in einigen Bundesländern auf den Weg gebrachte Gebäudetyp „E wie Einfach“ muss breit und konsequent umgesetzt werden. Man sollte nicht immer den höchsten technischen Standard an Dämmung, Energieeffizienz oder Ausstattung vorsehen. Wir müssen den sozialen Wohnungsbau bezahlbarer aufstellen, auch was Lärm- und Klimaschutz angeht. Dicke Wand- und Deckenstärken oder dreifach verglaste Fenster kosten viel Geld. Müssen wir wirklich jede Neubau-Sozialwohnung mit sehr teuren Tiefgaragen- und Parkplätzen ausstatten? Diese Fragen müssen gestellt und ehrlich beantwortet werden. Wenn wir zum einen einfacheren Standard im sozialen Wohnungsbau kommen, der voll den gesetzlichen Vorschriften und Notwendigkeiten entspricht, kämen wir auf Baukosten von 4000 auf etwa 2900 Euro pro Quadratmeter. Bei der Förderung von aktuell 1840 Euro könnte damit im Sozialen Wohnungsbau erheblich mehr gebaut werden. Das ist kein Billigbau, das sind sehr sichere und vor allem auch sehr klimaschützende Gebäude, besser als vieles, was wir im Bestand haben.
Wir haben aber nicht nur eine Krise im Sozialen Wohnungsbau. Fast überall explodieren die Kosten bei Neuvermietungen ...
Feiger: Die Krise am Wohnungsmarkt reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Selbst Facharbeiter mit ordentlichem Verdienst müssen inzwischen bis zu 35 Prozent ihres Nettoeinkommens für das Wohnen ausgeben. Auch im normalen Wohnungsbau muss man die Normen hinterfragen, ob man in der Wohnung alle zwei Meter eine Steckdose braucht. Im Sozialen Wohnungsbau haben wir aber derzeit den größten Mangel. Wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr Sozialwohnungen auf dem Markt haben, stabilisiert das natürlich auch die Mietpreise für freifinanzierte Wohnungen. Das Einzige, woran in Deutschland kein Mangel herrscht, sind unbezahlbare Wohnungen.
Wie kann der Soziale Wohnbau angesichts der Debatte um die Schuldenbremse finanziert werden?
Feiger: Die Finanzierung sollte am besten über ein Sondervermögen oder einen Fonds erfolgen, der unabhängig von der Schuldenbremse agiert. Um jährlich 100.000 Sozialwohnungen zu bauen, bräuchte man pro Jahr mehr als zehn Milliarden Euro. Das mag viel klingen, aber wir reden hier nicht nur von Kosten, sondern von Investitionen. Jeder Euro, der in den Bau fließt, löst sieben Euro an Folgeinvestitionen aus – sei es in der Bauwirtschaft selbst, bei Handwerkern oder in anderen Branchen. Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland steht mit dem Wohnungsbau in Verbindung: Vom Baustoff über die Elektrik bis zur neuen Einbauküche.
Das heißt, Sie erhoffen sich, dass Deutschland mit mehr Wohnungsbau wieder der Konjunkturflaute kommen könnte?
Feiger: Der massive Einbruch im Wohnungsbau war sicher mit ein Grund für die insgesamt schlechte Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Umgekehrt können wir mit mehr Investitionen in den Wohnungsbau auch wieder die Wirtschaft ankurbeln. Die Bauwirtschaft sichert auch in anderen Branchen eine erhebliche Zahl an Arbeitsplätzen. Deshalb ist die Zahl von jährlich 100.000 neuen Sozialwohnungen in Deutschland kein utopisches Ziel: Gemessen am Einkommen haben in der Bundesrepublik 5,6 Millionen Haushalte eigentlich einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Ende der achtziger Jahre hatten wir allein in der alten Bundesrepublik noch vier Millionen Sozialwohnungen. Unser Ziel sollte sein, bis zum Jahr 2030 wieder auf zwei Millionen Sozialwohnungen zu kommen.
Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren 100 Maßnahmen für den Wohnungsbau beschlossen. Warum geht es dennoch so langsam voran?
Feiger: Es gibt Fortschritte, etwa bei der Förderung von Werkswohnungen oder beim Konzept „Junges Wohnen“. Aber die Umsetzung ist oft zu langsam - auch wegen des Föderalismus. 16 unterschiedliche Gesetzgebungen bremsen Innovationen wie den Umbau von Gewerberaum in Wohnraum. Hier braucht es dringend einheitliche Regelungen, um schneller und effektiver handeln zu können.
Zur Person: Robert Feiger, 62, ist seit 2013 Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Der gebürtige Augsburger ist ausgebildeter Industriekaufmann.
Das geht wegen der Klimakatastrophe leider nicht ;-)
Och, manche Obdachlosen wären schon mit einem einfachen Zelt zufrieden.
Sehr eindeutig werden die Probleme aufgezeigt, doch leider möchte man diese in der Politik nicht hören. Sich gegenseitig übertreffende Ziele durch die Parteien haben die Baukosten doch mittlerweile mehr als notwendig verteuert! Fehlende politische Entscheidungen bzw. ganz eindeutig Falschentscheidungen tun ein weiteres. Übertriebene Umweltauflagen, übertriebene Normung, übertriebene Bürokratisierung, fehlende Investitionen usw. usw. Und was kommt aus der Politik?
Der Grundgedanke von Herrn Feiger ist richtig. Ich kenne jetrzt nicht jeden Baustandard, aber ich kann mir vorstellen, daß 1/3 unnötig und somit verzichtbar ist. Aber wie ich Deutschland, seine Gremien, seine Arbeitskreise so kenne, wird es endlose Debatten ohne Ergebnis geben.
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