Andreas Scheuer: "Es gibt keine Schonfrist für den Bahnvorstand"
Exklusiv Kaum ein Minister steht so in der Kritik wie Andreas Scheuer. Im Gespräch erzählt der Verkehrsminister, wie er damit umgeht und was er 2021 vorhat.
Herr Scheuer, was macht Ihnen als Verkehrsminister in diesem Corona-Jahr mehr Sorgen – die Bahn oder der Flugverkehr?
Andreas Scheuer: Wir wissen spätestens seit dem März, dass die Corona-Krise für die Mobilitäts- und Logistikunternehmen eine schwere Herausforderung ist. Bei der Bahn werden wir mindestens bis zum Frühjahr hinein beim Fahrgastaufkommen einen massiven Einbruch haben. Momentan sind es zwischen minus 70 und 75 Prozent, beim Flugverkehr minus 90 Prozent. Hinzu kommen die Einbrüche für das indirekte Geschäft, den Blumenladen am Bahnhof oder das Bekleidungsgeschäft am Flughafen. Da blutet einem das Herz, wenn man das sieht. Mein Ministerium arbeitet täglich daran, dass Deutschland mobil und versorgt bleibt. Aber die Krisenauswirkungen werden wir leider noch weit bis ins nächste Jahr hinein spüren.
Die Piloten der Lufthansa und anderer Fluggesellschaften machen sich Sorgen, weil ihre Lizenzen mangels Flugpraxis verfallen. Muss der Staat da einspringen?
Scheuer: Wir haben bei den Lkw- und Busfahrern schon pragmatisch gehandelt und Fristen verlängert. So auch bei den Piloten – über eine Allgemeinverfügung des Luftfahrt-Bundesamtes. Die regelt bis Ende März nächsten Jahres, dass Gültigkeitszeiträume für Berechtigungen und Zeugnisse verlängert werden können. So haben wir es auch mit den EU-Partnern abgestimmt, denn es sind internationale Vorschriften.
Die Lufthansa wird wohl dank der Staatshilfe überleben, aber was ist mit den zahllosen kleinen Flughäfen wie Memmingen, Kassel oder Erfurt? Braucht es die nach der Pandemie noch?
Scheuer: Sehen Sie, ich bin Mobilitäts- und Infrastrukturminister. Und Infrastruktur bedeutet Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, deshalb müssen wir sie erhalten. Wir verhandeln deshalb gerade mit dem Bundesfinanzministerium über Hilfen für die Flughäfen. Da geht es gar nicht um das Ob, sondern um das Wie. Die Länder sollen sich hier nämlich beteiligen. Im Haushaltsauschuss haben wir uns außerdem auf ein Regionalflughafenkonzept geeinigt, das die kleinen Airports auf der Gebührenseite entlastet. Das dient den Menschen vor Ort, ist aber auch die Zukunft hinein gedacht. Wir diskutieren etwa über Drohnen oder Flugtaxis. Auch die brauchen irgendwann einmal einen Start- oder Landepunkt.
Die Bahn ist vom Virus schwer gebeutelt. Wie viele Milliarden werden Sie im kommenden Jahr zuschießen müssen, um die Verluste aufzufangen?
Scheuer: Wir müssen die Verschuldungsgrenze erhöhen. Wie viel die Bahn dann tatsächlich brauchen wird, kann ich Ihnen derzeit noch nicht sagen. Das wäre ein Blick in die Glaskugel. Aber wir reden hier eher über Milliarden und nicht über Millionen. Wichtig ist dabei, dass wir die Investitionen fortsetzen. Es steht keine Baustelle still, wir haben sogar mit neuen Baustellen begonnen.
Sie haben den Bahnvorstand schon vor geraumer Zeit aufgefordert, dass er für die vielen Milliarden Steuerzuschuss auch liefern muss. Liefert er? Oder gibt es gerade noch eine Corona-Schonfrist?
Scheuer: Es gibt keine Schonfrist für den Bahnvorstand. Die würde auch die Öffentlichkeit nicht gewähren. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Bahn ist einfach zu groß. Wir haben durch die Corona-Krise eine ganz spezielle Situation und ich muss sagen: Die Bahn und der Vorstand managen das gut. Ich habe fast jede Woche eine Schalte mit dem Bahnvorstand, wir sprechen die Situation durch, ich begleite das alles sehr, sehr eng. Ich bin nie ganz zufrieden, aber zufrieden.
Die Bahn hatte sich aus dem Schlafwagen-Geschäft zurückgezogen, ab 2021 rollt es wieder. Sie haben kräftig mit angeschoben. Was hat Sie angetrieben?
Scheuer: Es geht darum, nach dem Vorbild des Deutschlandtaktes den Europatakt zu etablieren. Also stabile, zuverlässige Verbindungen zwischen den europäischen Metropolen zu schaffen. Das war eine Zeit lang unrentabel, aber jetzt haben wir eine andere Situation. Die Bahnunternehmen aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Frankreich werden hier kooperieren, ein konkreter Erfolg unseres EU-Bahngipfels während unserer Ratspräsidentschaft. Die Menschen sind begeistert vom Zugfahren und fordern Angebote wie die Schlafwagen ein.
Eine Antwort auf das Reisen nach Corona?
Scheuer: Es wird Veränderungen geben. Die Bürgerinnen und Bürger werden die Angebote sichten und entscheiden, was am besten in ihr Mobilitätskonzept passt. Hinzu kommen coronabedingt veränderte Reisegewohnheiten. Manche Geschäftsreise wird in Zukunft sicherlich entfallen und durch eine Videokonferenz ersetzt werden. Ich lasse das gerade wissenschaftlich untersuchen, damit wir wissen, auf was wir uns einstellen müssen.
Reisen mit der Bahn gilt als umweltfreundlich. Es sind aber noch viele Dieselloks unterwegs, mit dem Strom hapert es vielerorts. Was ist los?
Scheuer: Kennen Sie die standardisierte Bewertung? Da geht es um die Bewertung von Verkehrsprojekten. Wenn da ein Vorhaben einen bestimmten Wert auch nur leicht unterschreitet, gilt es als unrentabel und landet in der Schublade. Bei der Trasse zwischen Nürnberg und Erfurt gingen so unterm Strich 15 wertvolle Jahre Bauzeit verloren. Um nur ein Beispiel zu nennen. Heute ist sie eine Referenzstrecke im Netz. Ich will dieses Bewertungsverfahren ändern. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, bekommen wir die klimafreundliche, elektrifizierte Streckenplanung nicht hin. Ich will erreichen, dass vor allem Strecken im Regional- und Nahverkehr deswegen schneller realisiert werden können – auch in Schwaben.
Wie soll das gehen?
Scheuer: Unter anderem dadurch, dass wir in der Bewertung Kriterien wie dem Klimaschutz einen höheren Stellenwert geben. Raus aus dem Diesellok-Zeitalter!
Das Auto hat durch die Ausbreitung des Virus ein ungeahntes Comeback gefeiert. Wie lange fahren wir noch in der Mehrzahl mit Autos, die von Diesel oder Benzin angetrieben werden?
Scheuer: Die Zulassungszahlen zeigen ein steigendes Interesse an alternativen Antrieben. Das hat schlichtweg auch damit zu tun, dass es mehr Angebote gibt. Außerdem gibt es attraktive Prämien. Es ist aber nicht meine Strategie, nur auf einen Antrieb zu setzen. Wir müssen auch die industriepolitischen Belange im Blick behalten und technologieoffen bleiben. Ich setzte also auf alle alternativen Antriebe, auch die alternativen Kraftstoffe. Die elektrischen Antriebe sind aber eine echte Alternative.
Dafür bräuchte es aber mehr Ladesäulen…
Scheuer: Wir haben ein erfolgreiches Programm für private Ladestationen aufgesetzt. Bis zu 900 Euro geben wir vom Staat dazu. In den letzten dreieinhalb Wochen sind daraus Anträge in einem Volumen von 130 Millionen Euro bewilligt worden. Zu Anfang hatten wir zehntausend Anträge pro Tag, jetzt sind es immer noch etwa 3000. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Fördersumme von 200 Millionen Euro Anfang 2021 ausgeschöpft ist. Deshalb haben wir mit dem Bundesfinanzministerium vereinbart, dass wir das Programm schon nach ein paar Wochen um bis zu 100 Millionen Euro aufstocken werden.
Die Säulen stehen aber in privaten Garagen…
Scheuer: So bringen wir die Elektromobilität in die Fläche. Da die meisten Menschen ihre Autos zu Hause laden werden, sind die privaten Ladestationen der entscheidende Hebel. Und gute Angebote der Hersteller. Die Frage, ob ich mit dem E-Auto auf längerer Strecke mit leerem Akku stehen bleibe, wird es bald nicht mehr geben. Wir sind beispielsweise mit den Supermarkt-Ketten in Kontakt, damit die ihre Ladestationen auf den Parkplätzen länger öffentlich zugänglich halten.
Sie sind Oldtimer-Fan. Darf man die alten Dinger noch fahren?
Scheuer: Moderne Mobilitätskonzepte müssen schon noch mit der Pflege des automobilen Kulturguts einhergehen können. Die Zahlen, etwa die Kilometerleistungen, sind da ja überschaubar.
Das Auto ist mit Ihrer heftigsten politischen Niederlage verbunden, der Pkw-Maut. Sehen Sie sich eigentlich durch den Untersuchungsausschuss des Bundestages entlastet?
Scheuer: 2020 war ein schweres Jahr. Ich habe vor dem Ausschuss umfassend ausgesagt. Dass sich die Opposition nicht überzeugen lassen wird, war von Anfang an klar. Und wenn ich mir zum Beispiel unseren Erfolg auf europäischer Ebene beim Thema Eurovignettenrichtlinie ansehe – eine Einigung über eine Lkw-Maut, die den CO2-Ausstoß berücksichtigt – und mit dem vergleiche, was mir nach dem juristischen Ende der deutschen Maut unzutreffenderweise angelastet wird, dann steht das schon in einem deutlichen Missverhältnis.
Seit Monaten stehen Sie von vielen Seiten unter massivem Druck. Gab es auch mal Augenblicke, wo Sie dachten: Dann macht Euren Kram doch ohne mich?
Scheuer: Ich setze mich mit meiner Arbeit immer selbstkritisch auseinander. Mit den persönlichen Belastungen muss man zurechtkommen. Dass das ein oder andere sehr nahegeht, ist menschlich.
Neben der Maut hängt es auch bei der Autobahngesellschaft. Die Gründung schleppt sich und wird viel teurer als gedacht. Was haben Sie falsch gemacht?
Scheuer: Ich setze diese GmbH ja nicht um, weil es mir so in den Kram passt. Die Autobahngesellschaft ist in der letzten Legislaturperiode mehrheitlich vom Parlament so beschlossen worden. Diese größte Verkehrsreform nach dem Umbau der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird pünktlich zum Jahreswechsel starten. Es wird sicherlich noch Nachjustierungen geben müssen, aber wir sind startklar. Mehr als 10.000 Beschäftigte aus den Ländern sind bereits in die Autobahngesellschaft und damit zum Bund gewechselt. Ohne Murren, ohne Aufstand. Es können 13.000 bis 14.000 werden. Die Reform ist im Zeitplan, alle notwendigen Schritte getan. Die Autobahn GmbH und das Fernstraßen-Bundesamt sind voll einsatzfähig. Man darf auch mal das Positive sehen.
Im letzten Jahr hatten Sie erklärt, die Weihnachtspause als Tage der Selbstkritik und Selbstreflexion nutzen zu wollen. Was sind Ihre Pläne für dieses Jahr?
Scheuer: Anfang nächsten Jahres wird die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft an den Start gehen. Wir haben gerade das Personenbeförderungsgesetz beschlossen, wir haben unter meiner Regie einen signifikanten Zubau im 5G-Netz und noch einiges mehr erreicht. Diese Erfolge kamen nicht von alleine. Zum Jahreswechsel 2019 war Selbstreflexion im Urlaub. Zum Jahreswechsel 2020 ist Selbstreflexion zu Hause angesagt. Mit einem sehr, sehr konsequenten Blick auf die Projekte, die ich 2021 umsetzen möchte.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Das der überhaupt noch Minister ist nach allem was er verbockt hat.
Ironie pur wenn ausgerechnet er von Schonfrist spricht.
Schade, dass es für Herr Scheuer keine Schonfrist gab.