Covid-Experte Wendtner warnt: "Die Kinder sind nicht ausreichend geschützt"
Wir müssen ab September mit einer Delta-Welle rechnen, die wieder die Intensivstationen belastet, sagt Professor Dr. Clemens Wendtner. Er sorgt sich um die Jüngsten.
Herr Professor Wendtner, Sie sind Chefarzt der München Klinik und als Immunologe Experte für Covid – wie sehr besorgen Sie die steigenden Inzidenzen?
Professor Clemens Wendtner: Ich bin sehr besorgt. Als Mitglied im Beraterstab von Bundesgesundheitsminister Spahn haben wir uns hier intensiv ausgetauscht und uns die Zahlen sowie die Simulationen ganz genau angesehen. Und ich muss sagen: Es sieht alles danach aus, dass wir eine Delta-Welle erwarten müssen – die Frage ist nur noch wann sie kommt und wie hoch sie ausfallen wird. Die optimistische Einschätzung ist, dass sie erst im Oktober kommt. Ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass sie bereits im September da sein wird. Dann werden wir in Deutschland wieder Inzidenzen von 300, 400 haben. Auch wenn man jetzt davon ausgeht, dass nicht mehr alle Infizierten gleich auf die Intensivstation müssen, müssen wir bei optimistischen Schätzungen mit etwa 3000 Intensivpatientinnen und -patienten rechnen.
Liegt dies daran, dass die Impfquote auf zu niedrigem Stand verharrt?
Wendtner: Ja, wir haben aktuell eine unzureichende Impfquote. Und ich bin niemand, der Panik schüren möchte, aber eine Herdenimmunität werden wir nicht mehr erreichen, nur noch einen sogenannten Herdenschutz.
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Können Sie den Unterschied erklären?
Wendtner: Herdenimmunität bedeutet, dass so viele Menschen geimpft sind, dass auch der Rest der Nichtgeimpften geschützt ist. Herdenschutz bedeutet einen Teilschutz, dann sind im Wesentlichen nur die geimpften Menschen geschützt, die Ungeimpften aber mehrheitlich nicht. Die Delta-Welle wird also vor allem die Menschen hart treffen, die nicht geimpft sind und teilweise Menschen, die trotz Impfung nicht genügend Immunschutz aufbauen können, weil sie eine schwere Erkrankung wie etwa einen Tumor haben oder immunsuppressive Medikamente einnehmen müssen wie beispielsweise viele Rheumapatienten.
Und auch Kinder, die sich noch gar nicht impfen lassen können oder?
Wendtner: So ist es: Die Kinder sind nicht ausreichend geschützt. Daher ist es aus meiner Sicht so wichtig, zumindest die Jugendlichen ab zwölf Jahren zu impfen – ich persönlich kann es schwer nachvollziehen, dass sich die Stiko in dieser Pandemie in dieser Fragestellung so abwartend verhält. Bei den Kindern kann man nun nur hoffen, dass sie nicht so schwer erkranken. Aber einen Teil von ihnen wird es voraussichtlich schwer treffen. Man geht davon aus, dass dies bei etwa 0,5 bis einem Prozent der Infizierten der Fall sein wird. Das größere Problem allerdings ist Long-Covid. Hier geht man aktuell davon aus, dass vier bis fünf Prozent der infizierten Kinder betroffen sein könnten.
Und das trifft ja oft Kinder, die gar nicht viel von ihrer Covid-Infektion mitbekommen, oder?
Wendtner: Genau, das ist das Gefährliche daran: Viele Kinder, aber auch die Eltern merken gar nicht viel von der Infektion. Und plötzlich sind die Symptome von Long-Covid da, die so weit führen können, dass Kinder schulunfähig sind, weil sie unter so starken Konzentrationsproblemen und anderen mentalen sowie psychischen und körperlichen Einschränkungen leiden. Long-Covid hat für mich eine Dimension gerade auch bei Kindern, deren Ausmaß noch gar nicht realistisch eingeschätzt werden kann. Das wiederum bedeutet, dass wir Schule nicht wieder so durchführen können, wie wir uns das alle wünschen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat gerade mit Blick auf Long-Covid davor gewarnt, die Schulen im Herbst ohne jegliche Corona-Beschränkungen zu öffnen.
Wendtner: Ich teile diese Einschätzung, da ich in der Tat fürchte, dass vor allem Kinder erkranken werden und zu Schaden kommen.
Schon jetzt heißt es, dass die Delta-Variante vor allem jüngere Erwachsene trifft – beobachten Sie das auch?
Wendtner: Ja, seit dieser Woche ist dies wirklich der Fall.
Aber mit Blick auf Israel sehen wir doch auch: Trotz zweifacher Impfung kann ich mich anstecken?
Wendtner: Es sind in Israel vor allem die älteren Menschen, aber auch Menschen mit schweren Erkrankungen wie etwa Tumoren, die sich trotz doppelter Impfung anstecken. Man muss allerdings auch beachten, dass Israel sehr früh geimpft hat, bei vielen Menschen dort liegt die Impfung schon acht Monate zurück.
Das heißt aber: Ich kann mich anstecken, wenn ich zweimal geimpft bin?
Wendtner: Ja, das ist möglich, ein Restrisiko bleibt. Allerdings habe ich dann in aller Regel nur einen leichten Verlauf. Daher impfen wir hier in der München Klinik in meiner Sprechstunde auch durchaus Patienten zum dritten Mal.
Wen impfen Sie zum dritten Mal?
Wendtner: Gerade meine Patienten aus der Onkologie. Wir machen einen Antikörpertest und einen Neutralisationstest, bei dem wir untersuchen, wie stark die Antikörper wirklich gegen das Virus wirken, so dass wir wissen, wie gut der Patient geschützt ist.
Würden Sie das allen empfehlen?
Wendtner: Nein, aber eben Menschen, die über 80 Jahre alt sind und Menschen, die mit Immunsuppressiva behandelt werden, wie etwa Patienten, denen Organe transplantiert wurden. Aber auch hämatologische Patienten oder Menschen mit chronischen Nierenerkrankungen, also zum Beispiel Dialyse-Patienten, würde ich empfehlen, in Absprache mit ihrem Arzt ihren Schutz testen zu lassen.
Wenn ich mich anstecken kann, obwohl ich zweimal geimpft bin, kann ich dann bei einer leichten Infektion auch an Long-Covid erkranken?
Wendtner: Das ist ein wichtiger Punkt, da muss man fairerweise sagen: Das wissen wir einfach noch nicht hundertprozentig, die Wahrscheinlichkeit halte ich aber für deutlich geringer.
Sie sind auch im Beraterstab der Bayerischen Regierung. Was fordern Sie in der aktuellen Lage?
Wendtner: Meine Forderung ist klar: Wir müssen das Impftempo deutlich erhöhen. Das Gegenteil aber ist der Fall: Die Akzeptanz nimmt ab, obwohl ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht. Hier ist meines Erachtens die Politik aufgerufen, die Folgen ganz deutlich aufzuzeigen. Die Politik der Samthandschuhe ist vorbei. Und die Solidarität der Geimpften mit den Ungeimpften nimmt ab. Es muss klar ausgesprochen werden: Wer sich nicht impfen lässt, obwohl keine medizinischen Gründe dagegen sprechen, ist letztlich unsolidarisch. Es kann doch nicht sein, dass wir tatsächlich so eine Freizeit- und Spaß-betonte Gesellschaft sind, die ihre Solidarität mit den Schwächsten einfach aufkündigt. Ich erlebe das tagtäglich in der Klinik, wie schwer erkrankte Menschen dieses unsolidarische Verhalten als bedrohlich und enttäuschend empfinden.
Was also müsste Ihres Erachtens im Alltag geschehen?
Wendtner: Wir wollen weiterhin so viel Freizeitgestaltung ermöglichen und nicht einschränken. Aber: Es gibt beispielsweise kein Grundrecht auf Freibad oder Restaurantbesuche. Ins Restaurant sollten nur noch Geimpfte hinein dürfen und Menschen, die einen topaktuellen PCR-Test vorlegen. Kostenfrei dürfen die Tests nicht mehr sein. Impfen ist jetzt wirklich die erste Bürgerpflicht, wer sich dem entzieht, der muss auch Einschränkungen deutlich zu spüren bekommen. Andere Länder sind hier bereits viel klarer in diesen Entscheidungen. Einen harten Kern von zehn bis 15 Prozent werden wir trotz aller Bemühungen nicht erreichen können. Aber es geht um die vielen anderen!
Nicht geimpfte Pflegekräfte könnten versetzt werden
Es lassen sich aber auch viele Pflegekräfte nicht impfen.
Wendtner: Ja, das ist ein Thema in vielen Krankenhäusern in Deutschland. Wir haben hier in unserem Haus aktuell eine hohe Impfquote. Auch wenn ich mir heute schon bereits 90 Prozent wünschen würde, ist doch beispielsweise bei den Ärzten eine Impfquote von etwa 75 Prozent sehr erfreulich. Die Pflege liegt derzeit leider noch darunter, aber wir werden nicht müde in allen Berufsgruppen weiter aufzuklären und zu motivieren. Und wir sehen hier auch – intern wie extern – dass Aufklärung und die richtige Begegnung der Sorgen und Ängste wichtig ist. Das erlebt wahrscheinlich jeder auch in seinem persönlichen Umfeld.
Frankreich hat gegen Proteste eine Impfpflicht in den Gesundheitsberufen eingeführt. Wäre das auch nötig?
Wendtner: Das ist gerade vor dem Pflegekräftemangel in Deutschland ein hoch sensibles Thema. Ich persönlich halte es für opportun, dass gerade in Hochrisiko-Bereichen wie etwa bei Knochenmarktransplantationen oder Stammzelltransplantation, auf Leukämiestationen, nur Personal eingesetzt wird, das geimpft ist. Der Patient darf meines Erachtens erwarten, dass er durch Klinikpersonal geschützt und nicht gefährdet ist. Statt wie in Frankreich eine generelle Impfpflicht für Gesundheitsberufe einzuführen, kann ich mir vorstellen, dass es zu Versetzungen kommen wird: Wer sich nicht impfen lässt, darf in bestimmten hoch sensiblen Bereichen nicht mehr arbeiten.
Aber dürfen Sie fragen, ob Ihre Mitarbeiter geimpft sind?
Wendtner: Ja, das Infektionsschutzgesetz würde das in besonderen Bereichen wie etwa Kliniken hergeben.
Zur Person: Professor Dr. Clemens Wendtner, 55 Jahre, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, behandelte mit seinem Team Deutschlands erste Covid-Patienten. Unter muenchen-klinik.de/covid-19/ sind auch viele Fragen und Antworten von Professor Wendtner und weiteren Experten zusammengestellt.
Die Diskussion ist geschlossen.
Meine Erfahrung aus dem privaten und beruflichen Umfeld ist, dass sich v. a. Frauen jüngeren und mittleren Alters "jetzt noch nicht" impfen lassen wollen. Die Begründungen sind dabei eher diffus. Dies ist umso erstaunlicher, weil es ja gerade die Kinder wären, die von einer schnellen Herdenimmunität der Erwachsenen profitieren würden. Ein endlich wieder normaler Besuch von Kitas und Schulen setzt nämlich die Überwindung der Pandemie oder die Impfung der Kinder voraus. Wenn sich diese Frauen schon nicht ihrer eigenen Gesundheit zuliebe impfen lassen wollen, sollten sie es wenigstens für ihre Kinder tun.
Sie haben schon mitbekommen, dass es mit der Impfung keine Herdenimmunität im eigentlichen Sinn geben wird (siehe RKI-Bericht zur Lage im kommenden Herbst/Winter)? Eine Impfung gegen C erzeugt keine sterile Immunität. Das heißt, auch mit Impfung kann ich mich weiter anstecken und das Virus wahrscheinlich auch weitertragen. Wesentliche Wirkung der Impfung ist, dass ein schwerer Verlauf deutlich reduziert wird, also im Wesentlichen ein individueller Schutz. Da ein schwerer Verlauf, definiert durch Hospitalisierung, bei jüngeren sowieso deutlich weniger wahrscheinlich ist, profitiert die Gemeinschaft - sofern man das Ziel hat, Krankenhäuser nicht zu überlasten - umso mehr, je mehr die vulnerablen Gruppen geimpft sind (i. d. R. die mit Impfprio 1 und 2 und die über 50-60-jährigen der Prio 3).
Interessant, im Februar 2020 meinte Herr Wendtner noch das:
"Keine Hysterie geboten
Prof. Clemens Wendtner, Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen an der München Klinik Schwabing, sieht „mit hoher Wahrscheinlichkeit keine signifikante Gefährdung für Deutschland“. Vielmehr ist er erstaunt darüber, dass über 20.000 Influenza-Tote jährlich in der öffentlichen Wahrnehmung weniger schockierend wirken. Eine einfache Grippeimpfung könne viel Leid und letztlich auch viele Todesfälle vermeiden.
Wenn man die Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) über die jährlichen akuten Atemwegserkrankungen (ARE) betrachte, meint Ludescher, sei Panikmache wirklich nicht gerechtfertigt. Immerhin seien auch in Deutschland bereits über 58.000 Personen an ARE erkrankt (Berechnungszeitraum 40. Kalenderwoche (KW) 2019 bis 6. KW 2020). Nicht zu unterschätzen sei auch die Tatsache, dass 80% der Toten über 60 Jahre alt waren und drei Viertel unter ihnen an Vorerkrankungen litten."
https://www.apd.info/2020/02/13/coronavirus-panikmache-ist-nicht-gerechtfertigt/
Wie die Fahne im Wind... Vielleicht gab's zu Weihnachten Biontech Aktien?
Nun: hätten sie 2005 gedacht, dass es 2007 ein iPhone gibt? Oder wer 2010 an Krebs erkrankt und dem schnellen Tod geweiht war, 2021 mit der gleichen Diagnose unter Umständen noch einige schöne Jahre erleben, oder gar geheilt werden kann?
Wissenschaft ist ein Erkenntnisprozess der immer schneller voran schreitet. Man darf gespannt sein was man 2022 alles über COVID oder Krebs weis.
Das Beispiel mit dem iPhone hinkt gewaltig, wissen Sie vermutlich aber selbst...
Natürlich ist Wissenschaft ein Erkenntnisprozess, man hat auch zur britischen Variante gesagt, dass sie deutlich gefährlicher ist - war/ist sie dann überhaupt nicht. Gleiches werden wir 2022 für Delta konstatieren. Die Impfung macht für vulnerable Gruppen Sinn, jetzt aber für gesunde Kinder und Jugendliche die Impfung zu propagieren ist einfach falsch. Einfach aus dem Grund, dass es hierzu eben den Erkenntnisprozess noch nicht geben kann (bezogen auf Nebenwirkungen durch die Impfung).
In einer Studie der Universitätsklinika Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm zeigte sich, "dass Kinder sich innerhalb der Familie deutlich seltener ansteckten als Erwachsene und der Verlauf meist deutlich milder war. Gleichzeitig war die Immunantwort bei Kindern im Schnitt stärker und hielt länger an als bei Erwachsenen, unabhängig davon, ob Symptome auftraten."
https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/newsroom/kinder-entwickeln-langfristige-immunitaet-gegen-covid-19/
Geht's noch? Sie vergleichen den Wissensstand von Februar 2020 mit dem vom Juli 2021! Da braucht man nicht viel zu sagen, sondern das ist nur einem Querdenker zuzuordnen.
Klar Werner, stigmatisieren Sie nur weiter! Wenn Sie sich meine Kommentare durchlesen würden, hätten Sie bemerkt, dass ich die Impfung für vulnerable Gruppen für sinnvoll halte. Das war's dann aber auch.
Ich vergleiche hier rein Garnichts, ich weiße lediglich darauf hin, dass der gleiche Mediziner, der sich jetzt öffentlichkeitswirksam für eine Impfung von Kindern ausspricht noch vor einem Jahr vor Hysterie gewarnt hat.
Heute verbreitet er Hysterie mit so einem Interview. Warum denn?
Bloß weil mit Milliarden von Steuergeldern Impfdosen besorgt worden sind und die jetzt darauf sitzen bleiben zu drohen, sollte man nicht anfangen Panik bei Eltern zu verbreiten, damit diese entgegen jeder Experteneinschätzung ihre Kinder impfen lassen. Braucht's halt nicht.
Ich bin gespannt wie groß das Gejammer noch werden wird am Ende der Ferien.
Aktuell ist die Schlange vor dem ADAC täglich größer als vor jedem Impfzentrum oder beim Hausarzt, bei dem der Impfstoff im Kühlschrank vergammelt. Hauptsache in Urlaub fahren.
Meiner Meinung nach sollte jeder der sich ohne triftigen Grund (Krankheit) nicht impfen läßt, die Kosten für seine COVID-Erkrankung selbst tragen müssen, Quarantänebedingte Ausfallzeiten dürfen nicht von der geimpften Allgemeinheit (Krankengeld, Pensions- und Rentenzahlungen) getragen werden.
Herr Wendtner scheint auch ein Impffan zu sein. Wünscht sich auch - entgegen der Stiko - Impfungen am besten für alle Kinder ab 12 Jahren. Auch eine dritte Impfdosis für ältere Patienen soll es geben, obwohl selbst die WHO das noch nicht empfehlen kann...
https://www.cnbc.com/2021/07/28/who-doesnt-recommend-covid-booster-doses-right-now-citing-lack-of-data.html
Long Covid bei Kindern? Seine Kollegen in Freiburg zweifeln mittlerweile, dass es diese "Krankheit" in der Form überhaupt gibt, da auch nicht infizierte Kinder oft ähnliche Symptome haben...
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/debatte-um-corona-impfung-fuer-kinder-100.html