Jeder Haushalt muss – rückwirkend ab dem 20. Juli – einen höheren monatlichen Rundfunkbeitrag zahlen. Wann der Betrag von nun 18,36 Euro eingezogen werde, sei noch nicht klar, hieß es am Donnerstag. Beitragszahler sollten den Rundfunkbeitrag zunächst wie gewohnt entrichten und müssten „nichts aktiv unternehmen“, erklärte der „Beitragsservice“. Man werde auf sie zukommen.
Klar ist dagegen, dass die Debatte über die Erhöhung des Beitrags, der den öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD, ZDF und Deutschlandradio allein 2020 mehr als acht Milliarden Euro einbrachte, weiter geht. Und genau genommen von vorn beginnt. Der Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gilt nämlich bis zum Inkrafttreten einer staatsvertraglichen Neuregelung.
Die Debatte über die Beitragserhöhung ist geprägt von Populismus
Der Weg dorthin dürfte nach dem, was bisher geschah, überaus holprig werden. Am Ende einer langen und von Populismus geprägten Debatte hatte Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland den entsprechenden Medienänderungsstaatsvertrag nicht ratifiziert.
Weil sich CDU-Landtagsabgeordnete gegen eine Beitragserhöhung ausgesprochen hatten und um nicht mit der AfD votieren zu müssen, ließ CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff im Dezember nicht über den Vertrag abstimmen. Er rettete so seine schwarz-rot-grüne Regierung. Im Streit über die Beitragserhöhung hatte er bereits seinen Innenminister Holger Stahlknecht, einen Parteifreund, entlassen, weil der den Koalitionsbruch und eine von der CDU angeführte Minderheitsregierung öffentlich erwogen hatte.
Den Ärger der Intendantinnen und Intendanten zog Haseloff auf sich, als er „die Schaffung oder Verlagerung einer programmbezogenen Gemeinschaftseinrichtung in Halle (Saale)“ forderte. Im Gegenzug für ein Ja zur Beitragserhöhung? Zumindest wurde das in den Senderspitzen als eine Art Erpressungsversuch aufgefasst.
BR-Intendantin Katja Wildermuth: „starkes Signal für die Rundfunkfreiheit"
Senderverantwortliche wiesen mehrfach erfolglos darauf hin, dass – wie jetzt auch das Bundesverfassungsgericht betonte – die Festsetzung des Rundfunkbeitrags „frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen“ müsse. Heißt: Forderungen nach Strukturreformen oder der Streichung von Programmen, wie sie unter anderem von der AfD kamen, dürften nicht mit der Frage nach der Beitragshöhe verbunden werden.
Die Blockade durch Sachsen-Anhalt sei verfassungswidrig, da sie die Rundfunkfreiheit der Öffentlich-Rechtlichen verletze. Ihnen stehe ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch zu. Und den hätten die Länder als „Verantwortungsgemeinschaft“ zu erfüllen, so die obersten Richterinnen und Richter. Sachsen-Anhalt handelte also nach dieser Lesart „verantwortungslos“.
Wie in früheren Jahren hatte die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) den gemeldeten Bedarf der Sender geprüft und eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 um 86 Cent auf 18,36 Euro für die Beitragsperiode bis 2024 vorgeschlagen. ARD, ZDF und Deutschlandradio hatten mehr verlangt, wurden von der KEF aber zudem dazu aufgerufen, massiv zu sparen.
Die Länderchefinnen und -chefs folgten dem Vorschlag, die Parlamente stimmten zu – bis auf das von Sachsen-Anhalt. Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung sei eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF nur bei einer tragfähigen Begründung und „nur durch alle Länder einvernehmlich möglich“, erläuterte das Gericht. Halte ein Land eine Abweichung für erforderlich, sei es seine Sache, Einvernehmen herbeizuführen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender reagierten erleichtert auf den Beschluss und sprachen von einer Stärkung auch ihrer journalistischen Unabhängigkeit. Denn das Verfassungsgericht hatte ebenfalls betont, dass die Bedeutung der Aufgabe des beitragsfinanzierten Rundfunks wachse. Er solle durch „sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten“, ein Gegengewicht zu einseitigen Darstellungen, Filterblasen und Fake News bilden.
Die Intendantin des Bayerischen Rundfunks, Katja Wildermuth, sagte auf Anfrage: „Der Beschluss ist ein starkes Signal für die Rundfunkfreiheit und gibt auch uns als BR die notwendige Planungssicherheit.“ Unabhängig davon stehe der BR vor den Herausforderungen des laufenden Konsolidierungskurses sowie der crossmedialen Transformation.
Die AfD verbreitet am Donnerstag gleich wieder eine Verschwörungserzählung
Die AfD verbreitete in sozialen Medien am Donnerstag die Fake News: „Skandal-Urteil! GEZ-Gebühr trotz Parlaments-Veto erhöht!“ Wohlwissend, dass es im Landtag von Sachsen-Anhalt keine Entscheidung gab. Der Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl, Tino Chrupalla, nannte den Beschluss „zutiefst undemokratisch“. Spitzenkandidatin Alice Weidel strickte an der Verschwörungserzählung: Die parteipolitisch bestimmten Eliten, zu denen sie den Senats-Vorsitzenden und Verfassungsgerichtspräsidenten Stephan Harbarth zählt, machten aus der Bundesrepublik eine „Kungelrunde“. Man bastele sich so seinen eigenen „Wahrheitsfunk“. Beide stützten ihre Kritik – wie Haseloff – darauf, dass die Mitbestimmung der Länder bei der Festsetzung des Beitrags nicht gewürdigt werde.
Reiner Haseloff von der CDU sprach von einem „Demokratieproblem“ und einer „Dilemma-Situation“: Frei gewählte Parlamentarier seien ihrem Gewissen verpflichtet, dürften der KEF-Empfehlung aber „eigentlich nur zustimmen“.
Schnell ist daher nicht mit einem neuen Staatsvertrag zu rechnen. Für Zahlende des Rundfunkbeitrags könnte es bei dessen nächster Festsetzung sogar noch teurer werden. Das Bundesverfassungsgericht gestand den Sendern „Kompensationserfordernisse“ wegen der seit Januar unterbliebenen Beitragsanpassung zu. Und es erwähnte die Auswirkungen der Pandemie auf den Finanzbedarf der Anstalten.