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Foto: Marc Tessensohn, dpa
Foto: Marc Tessensohn, dpa

Geflüchtete sitzen in einem Airbus A400M der Bundeswehr. Die Bundeswehr hat deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul evakuiert. Aber auch Menschen, von denen bislang unklar ist, welchen Hintergrund sie haben.

Afghanistan
06.09.2021

Wer sind die Menschen, die aus Afghanistan nach Deutschland evakuiert wurden?

Von Margit Hufnagel, Simon Kaminski

Plus Fast 5000 Personen hat die Bundeswehr über eine Luftbrücke aus Kabul geholt – doch nur 248 davon sind tatsächlich Ortskräfte.

Noch keine zehn Tage ist es her, dass der letzte Airbus der Bundeswehr afghanischen Boden verlassen und Deutschland mit einem außenpolitischen Kapitel abgeschlossen hat, das vor allem für eines steht: das Scheitern des Westens. Hunderttausende Soldaten aus dutzenden Staaten, Hilfsgelder in Milliardenhöhe, ein beispielloser Einsatz der Internationalen Gemeinschaft über 20 lange Jahre – und trotzdem herrschen in Afghanistan wieder die Taliban. In einem letzten Kraftakt sollten zumindest jene Menschen gerettet werden, die über Jahre hinweg die Bundeswehr oder staatliche Hilfsorganisationen unterstützt hatten. Tatsächlich ist es der Bundesregierung gelungen, 4921 Menschen mittels Evakuierungsflügen aus Afghanistan zu holen.

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Foto: Wali Sabawoon, dpa
Foto: Wali Sabawoon, dpa

Kämpfer der militant-islamistischen Taliban in Kabul.

Doch inzwischen stellt sich die Frage: Wer sind diese Menschen? Denn: Auf eine Anfrage unserer Redaktion teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit, dass sich unter den Ankommenden nach derzeitigem Stand nur 248 ehemalige Ortskräfte in Begleitung von 916 Familienmitgliedern befanden. Ziel der Luftbrücke war es, vorrangig Deutsche sowie lokale Mitarbeiter und ihre Familien nach Deutschland zu bringen. Laut Bamf waren unter den Geretteten 4129 afghanische und 469 deutsche Staatsangehörige sowie 323 Angehörige anderer Staaten. Allerdings hatten sich nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas bereits vor der Machtübernahme der Taliban rund 2000 Ortskräfte und ihre Familien retten können. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezifferte die Zahl der Menschen, die in Deutschland aufnahmeberechtigt, aber noch nicht aus Afghanistan ausgereist seien, kürzlich mit 10.000 bis 40.000.

Das geschieht mit den Menschen in Deutschland

Sobald die Menschen in Deutschland ankommen, werden sie registriert und auf die Erstaufnahmeeinrichtungen in den Bundesländern verteilt. Im Laufe der kommenden Tage und Wochen soll daher klarer werden, wer die Geretteten konkret sind. Im Chaos des Abzugs aus Afghanistan war weitgehend auf eine Prüfung vor Ort verzichtet worden. Fest steht hingegen: Nur Ortskräfte sowie besonders schutzwürdige Personen – wie etwa Journalisten, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Frauenrechtlerinnen – sollen eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diese Aufnahmezusagen gelten allerdings nur für Ortskräfte, die seit 2013 für deutsche Behörden gearbeitet haben. Alle anderen Geflüchteten müssen einen Asylantrag stellen.

In Bayern werden die Afghanen zunächst ins Ankerzentrum in Oberfranken gebracht. „Einige afghanische Ortskräfte konnten die Aufnahmeeinrichtung Bamberg bereits verlassen. Diese Personen haben einen besonderen Schutzstatus. Sie können also in eine private Wohnung ziehen. Dabei ist allerdings die Zuweisung auf ein Bundesland zu beachten. Grundlage für die Verteilung ist der Königssteiner Schlüssel“, sagte Michael Siefener, Sprecher des Bayerischen Innenministeriums unserer Redaktion. Im Übrigen sei das Bamf zuständig für die Prüfung, ob es sich bei den Personen von den Evakuierungsflügen aus Kabul um afghanische Ortskräfte beziehungsweise besonders schutzbedürftige Personen mit einer Aufnahmezusage oder um Asylbewerber handele. Siefener: „Die zur Erstaufnahme untergebrachten afghanischen Staatsangehörigen verbleiben in der Ankereinrichtung Oberfranken in Bamberg, bis die Prüfung durch das Bamf in jedem Einzelfall abgeschlossen ist. Auf die Prüfung hat der Freistaat Bayern keinen Einfluss.“

Unter den Geflüchteten sind auch Straftäter

Allerdings musste das Bundesinnenministerium inzwischen einräumen, dass unter den fast 5000 Geretteten auch Menschen nach Deutschland gekommen sind, die den Sicherheitsbehörden bekannt sind. Bis zur Stunde seien 20 Fälle bekannt, „die sicherheitsrelevant sind, die dadurch, dass sie nicht schon in Kabul geprüft wurden, jetzt in Deutschland sind“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Münchner Presseclub. Unter den Straftätern sind unter anderem verurteilte Vergewaltiger. Nach Deutschland sei zudem ein Mann gelangt, „der nach übereinstimmender Ansicht von Deutschland, Amerika und Großbritannien noch höher einzustufen ist“, berichtete der Minister. In anderen Fällen ging es um gefälschte Dokumente. Insgesamt vier der Ausgeflogenen waren – teilweise schon vor Jahren – von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden. Eingereist sind zudem mehrere Menschen, deren Namen schon im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern aufgetaucht waren. Zwei Straftäter wurden bereits in die Justizanstalt eingeliefert, zwei weitere Männer sind „in Obhut der Behörden“.

Noch immer bitten tausende Menschen um Hilfe

Zu den Evakuierten gehörte zudem ein hochrangiges Mitglied der gestürzten Regierung von Präsident Aschraf Ghani: der Minister für religiöse Angelegenheiten, Mohammed Kasim Halimi. Der hatte schon vor dem Sturz der Taliban 2001 in ihrer Regierung einen hohen Posten im Außenministerium bekleidet. Später gehörte Halimi zu den Kritikern der militant-islamistischen Taliban.

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Foto: Michael Fischer, dpa
Foto: Michael Fischer, dpa

Heiko Maas, Außenminister von Deutschland, im Gespräch mit Mevlüt Cavusoglu (rechts), Außenminister der Türkei, bei einem Treffen. Maas spricht mit Ländern, die eine Rolle bei den weiteren Bemühungen um die Ausreise Schutzsuchender aus Afghanistan spielen.

Die Bundesregierung bemüht sich nach eigenen Angaben auch nach dem Ende der Evakuierungsflüge darum, ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr und anderer deutscher Institutionen zu helfen und diese auch nach Deutschland zu bringen. „Jetzt muss man abwarten, wie sich die Situation in Afghanistan entwickelt. Außenminister Heiko Maas war ja bereits in den Nachbarländern unterwegs, um die Lage zu sondieren“, sagt der Sprecher des Bayerischen Innenministeriums, Siefener. Auch den bayerischen Flüchtlingsrat erreichen nach wie vor viele Hilferufe von Menschen, die für sich und ihre Familien in Afghanistan die Rache der Taliban fürchten und das Land verlassen wollen. „Alleine am Samstag und Sonntag haben wir mehr als 40 Mails bekommen. Ortskräfte, die sich nach dem 26. August melden, werden vom Auswärtigen Amt nicht mehr erfasst. Das Problem ist, dass die Menschen meist gar nicht wissen, ob sie bereits erfasst worden sind oder nicht“, sagt Stephan Dünnwald. Es mache ihm Sorgen, dass das Engagement des Auswärtigen Amtes, Ortskräften oder Mitarbeitern von Hilfsorganisationen zu helfen, offensichtlich schwinde. Nur mit „sehr viel Glück“ kümmere sich das Amt um besonders gefährdete Personen. Es sei zurzeit außerdem sehr schwer, Afghanistan zu verlassen. Dünnwald hofft deshalb, dass die Verhandlungen zu einer Wiedereröffnung des zivilen Bereichs des Flughafens in Kabul Erfolg haben. Dünnwald: „Dann könnte noch was gehen.“ Die neuen Machthaber hatten versprochen, dass sie bereit seien, ausreisewillige Ortskräfte mit entsprechenden Papieren ausfliegen zu lassen.

In der Bevölkerung stößt die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge auf eine zweigeteilte Meinung: 46 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut YouGov sprachen sich in der vergangenen Woche gegen die Aufnahme einer größeren Zahl afghanischer Flüchtlinge in Deutschland aus. Insgesamt 47 Prozent der Befragten plädierten dafür, einer größeren Zahl von Menschen aus Afghanistan in Deutschland Schutz zu gewähren. Allerdings knüpft ein Teil der Befürworter einer großzügigen Aufnahme diese an eine Bedingung: Jeder Vierte will, dass Deutschland nur dann eine größere Zahl von afghanischen Flüchtlingen ins Land lässt, falls andere EU-Staaten dies ebenfalls tun. Lediglich 22 Prozent der Deutschen wären auch dann für eine Aufnahme vieler Menschen aus Afghanistan, wenn andere EU-Staaten dabei nicht mitziehen sollten. (mit dpa)

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