Am Ende doch Jamaika?
Unterschiedlicher als die Grünen und die FDP können Parteien kaum sein. Trotzdem müssen sie das Undenkbare denken – nämlich gemeinsam zu regieren.
So fremd, wie es auf den ersten Blick scheint, sind sie sich keineswegs. In unregelmäßigen Abständen verabreden Christian Lindner und Cem Özdemir sich zu einem vertraulichen Plausch, sie duzen einander seit einigen Jahren und wer Özdemir fragt, was er denn so hält von seinem Kollegen von der FDP, dem entgegnet der Grünen-Chef: „Mit Christian persönlich habe ich kein Problem.“
Natürlich haben die Grünen ein Problem mit den Liberalen und die Liberalen eines mit ihnen – wenn sich am Wahlabend allerdings nur eine Große Koalition und ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen rechnen sollten, würde zumindest die Chemie zwischen dessen Protagonisten stimmen. Anders als Guido Westerwelle und Joschka Fischer, die ihre Antipathie regelrecht zelebrierten und sich teilweise nicht einmal miteinander fotografieren lassen wollten, verbindet Lindner und Özdemir ein distanziert-freundliches persönliches Verhältnis und ein pragmatisches Verhältnis zur Macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD sich noch einmal auf eine Große Koalition einlässt, ist eher gering. Eine schwarz-gelbe Koalition wird mit jedem Prozentpunkt, den die Union einbüßt, unwahrscheinlicher – damit bleibt womöglich nur der bunte Dreier, über den alles redet, den in Wirklichkeit aber niemand will.
Dass Grüne und Liberale bei ihren Last-Minute-Parteitagen am Wochenende bemüht waren, das Trennende herauszuarbeiten, gehört zum Drehbuch dieses Wahlkampfs. Einig sind sie sich, salopp gesagt, nur in ihren Breitseiten gegen die AfD und vielleicht noch beim Thema Bürgerrechte. Sobald der Theaterdonner jedoch verhallt ist, wird das Wahlergebnis seine disziplinierende Kraft entfalten und womöglich zwei Parteien an den Verhandlungstisch zwingen, die dort eigentlich nie zusammen sitzen wollten. Zwei Parteien mit höchst unterschiedlichen Anhängerschaften und einem völlig anderen Politik- und Staatsverständnis.
Özdemir hat mehr zu verlieren als Lindner
Die Grünen haben dabei ungleich mehr zu verlieren als die schon totgesagten Liberalen. Im Gegensatz zur FDP, für die bereits die Rückkehr in den Bundestag ein Erfolg ist, stehen sie nach zwölf Jahren in der Opposition unter Druck. Alles andere als eine Regierungsbeteiligung wäre für sie nur eine neuerliche Niederlage, die Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt und eine Reihe weiterer Spitzengrüner sogar ihre Partei- und Fraktionsämter kosten könnte. Das von den Grünen favorisierte schwarz-grüne Bündnis indes ist noch unwahrscheinlicher als ein schwarz-gelbes.
Dass Grüne und Liberale, aber auch viele Konservative reflexhaft zusammenzucken, sobald das Wort „Jamaika“ fällt, liegt nicht zuletzt an den fehlenden Erfahrungswerten und der Unberechenbarkeit einer solchen Allianz. Die erste dieser Art ist im Saarland früh gescheitert, und zwar an der FDP. Die zweite, in Schleswig-Holstein, hat gerade erst zu regieren begonnen – allerdings steuern die Küstengrünen einen deutlich pragmatischeren Kurs als die Bundespartei.
Özdemir und Lindner mögen noch so gut miteinander können: Für die prinzipienfeste, wenig flexible grüne Basis verkörpert die FDP so ziemlich alles, was sie nicht will: niedrigere Steuern, weniger Staat und mittlerweile auch eine neue Härte in der Flüchtlingspolitik. Nicht von ungefähr unkt Horst Seehofer, er erwarte die schwersten Koalitionsverhandlungen seit langem. Auch in der CSU hält sich die Begeisterung für eine Jamaika-Koalition in Grenzen.
Im ungünstigsten Fall könnte Angela Merkel am Ende sogar ganz ohne Koalitionspartner dastehen – wenn die Sozialdemokraten per Mitgliederentscheid eine Große Koalition ablehnen und die grüne Basis Jamaika.
Wir möchten wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Umfrageinstitut Civey zusammen. Was es mit den Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Wenn es um lukrative Posten geht werden Vorsätze, nicht nur in der Politik, schnell über den Haufen geworfen.