Angriff aufs Gymnasium
Es lohnt sich, genau hinzuhören, wenn die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann über die "Gemeinschaftsschule" spricht - dahinter steckt ein Angriff auf das Gymnasium, meint Markus Günther
Es lohnt sich, genau hinzuhören, wenn die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann über die "Gemeinschaftsschule" spricht: "Wir können uns das ungerechte Schulsystem nicht länger leisten." Deshalb müsse das dreigliedrige Schulsystem durch eine "attraktive Schule . . . inklusive gymnasialer Elemente" ersetzt werden. Man dürfe nicht länger zulassen, dass sich das Gymnasium "von der sozialen Verantwortung abkoppelt".
Das ist, nur leicht kaschiert, aber gründlich verquast, der Angriff aufs Gymnasium schlechthin. "Gesamtschule 2.0" titelten Zeitungen in NRW, als die neue rot-grüne Regierung das Projekt "Gemeinschaftsschule" (zunächst bis zur 6. Klasse, später bis zur 10. Klasse) vorstellte. 30 Prozent aller Schulen sollen zügig umgewandelt werden. Von "Zwang" will die Regierung nicht sprechen; aber der einseitige Einsatz der Fördermittel zielt eindeutig gegen das Gymnasium.
Schon 1978 hatte es in NRW diese Idee gegeben. Damals hieß das "Koop-Schule" und wurde in einem verdienstvollen Volksbegehren schnell gestoppt. Doch seither hat sich der Wind gedreht. Heute gilt das Gymnasium vielen als Hauptursache mangelnder Chancengleichheit. Zu früh, heißt es, würden die Weichen gestellt, und zu wenige Kinder aus unteren Schichten kämen aufs Gymnasium. Das meinen längst nicht mehr nur Linke. Im Saarland und in Hamburg ist es die CDU, die eine ähnliche "Gemeinschaftsschule" will. Andernorts geht man noch weiter. In Berlin fordert die Linke (immerhin Regierungspartei) eine "Sozialquote" für Gymnasien: Jeweils 30 Prozent der Schüler sollen - unabhängig von Noten und Leistung - aus bedürftigen Familien stammen.
Auch wenn (noch) nicht aus allen Plänen Wirklichkeit wird, ist die Entwicklung beängstigend. Das deutsche Gymnasium ist leistungsfähiger als die meisten höheren Schulen anderer Länder. Und der Zugang zum Gymnasium ist viel sozialer, als die Kritiker meinen. Seit der Abschaffung des Schulgeldes 1959 - eine weitgehend unterschätzte Zäsur in der deutschen Sozialgeschichte - hat das Gymnasium Millionen von Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien den Weg zum Aufstieg geebnet. Mit der Einführung des "zweiten Bildungsweges" für Spätzünder wurde zehn Jahre später eine entscheidende soziale Lücke geschlossen.
Wer etwas anderes meint, sollte sich in der Welt umsehen. Dass hervorragende Schulen gebührenfrei allen offen stehen, ist im internationalen Vergleich eine seltene Ausnahme; flächendeckende Gesamtschulen führen überall zur Stärkung teurer Privatschulen.
Für Migrantenkinder und Kinder aus "bildungsfernen Schichten" ist die besonders frühe Förderung im Kindergarten und noch davor viel wertvoller als jede spätere "Gemeinschaftsschule".
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