
Endlagersuche „ohne Tabus“

Minister Röttgen will mit Bund und Ländern Alternativen zu Gorleben prüfen
Augsburg Deutschland ist seit gestern wieder eine „weiße Landkarte“, was die Endlagerung von Atommüll betrifft. Dies erklärte gestern Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach einem Treffen mit Vertretern der 16 Bundesländer. „Kein Tabu“, so fügte er hinzu, werde es von nun an geben, wenn es darum gehe, den sichersten Standort für die endgültige Lagerung hochradioaktiven Materials zu finden.
Fast 35 Jahre lang erteilten CDU und CSU allen Versuchen, alternative Standorte zu erkunden, eine Absage. Doch seit gestern ist ungewisser denn je, ob in dem Salzstock im Osten Niedersachsens jemals Atommüll eingelagert wird. Vorgesehen ist, dass eine Arbeitsgruppe aus acht Ländern und dem Bund ab November erste Schritte hin zu einem „nationalen Endlager-Konsens“ unternimmt. Die Ergebnisse sollen im Sommer 2012 in ein Endlager-Suchgesetz münden.
Bis heute wurden in die Erkundung rund 1,6 Milliarden Euro investiert. Zweifel an der Eignung des Salzstocks verstummten nie, seit 1977 die Entscheidung fiel, in der dünn besiedelten Region um Gorleben Probebohrungen zu starten. Von Anfang an lautete der Vorwurf, dass eher politische denn geologische Gründe den Ausschlag gaben.
Jetzt werden die Karten neu gemischt. Auch Bayern und insbesondere Baden-Württemberg dürften schnell wieder in den Blickpunkt rücken, wenn nun die Standortsuche neu beginnt. Der bayerische Umweltminister Marcel Huber (CSU) versicherte, dass der Freistaat bereit sei, an einem Konsens mitzuarbeiten: „Es geht um Geologie und nicht um Ideologie“, erklärte Huber auf Anfrage unserer Zeitung. Allerdings sei unwahrscheinlich, dass in Bayern ein geeigneter Standort gefunden werde. Huber: „Wir haben nun mal keinen mit Gorleben vergleichbaren Salzstock. Und unsere Granit- und Tonschichten sind zu zerklüftet oder zu dünn. Dies ist auch Ergebnis einer Untersuchung des Bayerischen Landesamts für Umwelt.“ Bis Mai 2011 hatte Bayern kategorisch eine neue Suche nach einer endgültigen Lagerstätte ausgeschlossen. Doch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) war es, der sich nach dem Ausstiegsbeschluss im Mai dieses Jahres für eine bundesweite Suche nach einem Endlager ausgesprochen hatte. Gleichzeitig pochte er aber darauf, dass die Erkundung des Salzstocks in Gorleben abgeschlossen wird. Genau dies hat Minister Röttgen gestern zugesagt.
Kretschmann für Prüfung von vier Standorten
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schlug jetzt vor, bundesweit vier weitere Standorte zu prüfen und bis 2021 zwischen den besten Optionen zu wählen. Ganz neu allerdings ist dieser Vorschlag keineswegs. Der vom Umweltministerium 1999 beauftragte Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) hatte 2002 ein ähnliches Modell erarbeitet. Obwohl der damalige Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hieß, wurde das Konzept nicht verwirklicht.
Mitglied dieser Arbeitsgruppe war der Geophysiker Gerhard Jentzsch. Dass nun die Suche nach Alternativen zu Gorleben beschlossen wurde, begrüßt der Wissenschaftler: „Das hätte viel früher geschehen müssen“, sagte Jentzsch unserer Zeitung. Doch seine Forderungen an die Politik gehen weiter: Der Jenaer Professor hält einen Stopp der Erkundung des Salzstocks für notwendig. „Dazu muss man sagen, dass in Gorleben seit Jahren weniger erkundet als bereits für die Lagerung ausgebaut wird. Das zeigt schon der sehr großzügige Zuschnitt der Stollen.“ Jentzsch fordert die Untersuchung der Eignung so lange auszusetzen, bis eine Alternative aus vier Vorschlägen ausgewählt ist. „Dann könnte man parallel Vor- und Nachteile der Standorte vergleichen.“ (mit dpa)
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