Ausnahmezustand in Chile: Was ist aus dem Land geworden?
In Chile rumort es gewaltig. Dabei galt das Land bis vor Kurzem als Musterschüler Südamerikas. Nun brennen Banken, Apotheken und Supermärkte. Was ist passiert?
Ein Staat im Ausnahmezustand: Landesweite Proteste mit schweren Ausschreitungen haben das öffentliche Leben in weiten Teilen Chiles lahmgelegt. Seit nunmehr vier Tagen liefern sich Demonstranten und Staatsmacht auf den zentralen Plätzen des Landes teils blutige Auseinandersetzungen.
Mindestens 13 Menschen sterben bislang bei den Unruhen, mehr als 100 Banken, Apotheken und Supermärkte werden landesweit geplündert. Und in allen größeren Städten von Zentralchile werden immer wieder Barrikaden und Ladenlokale in Brand gesetzt. Es ist die mit Abstand größte Protestwelle der vergangenen Jahrzehnte, die für die Regierung kaum mehr zu kontrollieren ist.
Politische Unruhen in Chile: Gewalt und Plünderungen legen öffentliches Leben lahm
Rund 1500 Bürgerinnen und Bürger sind laut Angaben des Nationalen Instituts für Menschenrechte bis Montagabend festgenommen worden. 84 Chilenen sind demnach von Feuerwaffen verletzt worden. Und der Zorn der Bevölkerung steigert sich dieser Tage immer weiter.
Dabei begann alles mit einer eher kleinen Protestaktion von Schülern und Studenten Anfang Oktober. Als die Fahrpreise der Metro von Santiago um 30 Pesos (vier Cent) angehoben werden sollten, versammelten sich junge Chilenen an einer U-Bahn-Station, sprangen gemeinsam im Sturm über die Drehkreuze und wollten mit der Schwarzfahrt ein Zeichen des Unmuts setzen.
Doch die Protest-Schwarzfahrten wurden unter Jugendlichen immer beliebter, die Regierung des konservativen Präsidenten Sebastián Piñera griff durch - und verfolgte die Vergehen scharf. Das harte Vorgehen gegen die jungen Chilenen führte am Wochenende nun zu Protesten, die nicht nur die Metro, sondern das ganze Land blockieren.
In etlichen Metro-Stationen legen Demonstranten Feuer und richten Verwüstungen in einer Schadenshöhe von mehr als 300 Millionen Dollar an. Der öffentliche Nahverkehr kommt in der Hauptstadt Santiago zum Erliegen. Im Zentrum, wo mehrere große Demonstrationen abgehalten werden, fahren nur einzelne Busse. Auch die für den Fernverkehr im Land wichtigen Busflotten haben am Montag bis auf Weiteres den Ausfall aller Verbindungen angekündigt.
Regierung verhängt Ausnahmezustand: Militär soll in Chile für Ordnung sorgen
Die Regierung um Präsident Sebastián Piñera hat bereits nach den ersten Ausschreitungen am Freitag den Ausnahmezustand verhängt. Damit einher gehen nächtliche Ausgangssperren in Santiago und vielen anderen Städten. Knapp 9500 Militärs sind zur Unterstützung der Einsatzkräfte von Polizei und Geheimdienst im Einsatz. Sie sollen die Ausschreitungen am Rande der Proteste eindämmen und insbesondere nachts kontrollieren, ob die Bürger die Ausgangssperre einhalten.
Doch der Protest hält weiter an. Tausende Demonstranten trotzen am Montagabend in der Hauptstadt den vielen Sicherheitskräften. Dabei skandieren sie immer wieder: "Es sind nicht 30 Pesos, sondern 30 Jahre." Die Erhöhung der Metro-Preise um 30 Pesos war tatsächlich nur der Auslöser, doch die Ursache für die schweren Unruhen liegt viel tiefer.
Turbokapitalismus und große soziale Ungleichheit: Was die Menschen in Chile wütend macht
Schon seit dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990 hat sich in der tief gespaltenen Gesellschaft Unmut über die turbokapitalistische Wirtschaftspolitik aufgestaut. Zwar ist die Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten kräftig gewachsen, die Armut der Bevölkerung insgesamt gesunken. Doch die soziale Ungleichheit ist in Chile so ausgeprägt wie in keinem anderen Land Südamerikas. Die Einkommen der obersten zehn Prozent der Bevölkerung sind 39 Mal größer als die der untersten zehn Prozent. Das Schwellenland Chile hat damit Dienstleistungen von entwickelten Ländern, aber mit Einkommen der Dritten Welt.
Fünf Mitte-Links-Regierungen seit 1990 haben diese Tendenzen nicht brechen können. Schon unter der Sozialistin Michelle Bachelet (2006-2010 und 2014-2018) war es mehrfach zu schweren Studenten-Unruhen wegen des elitären Bildungssystems gekommen. Um ihren Kindern ein Studium zu finanzieren, verschulden sich viele Familien in Chile enorm.
Der amtierende Präsident Sebastián Piñera hat nach einer gemäßigten ersten Amtszeit (2010-2014) in seinem zweiten Mandat seit 2018 einen härteren Kurs eingeschlagen. Dieser heizte den Unmut der Bevölkerung noch an - auch weil Piñera etwa Steuererleichterungen für die Wohlhabenden und den Abbau der Bildungsreform Bachelets durchsetzte. (mit dpa)
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