So wäre die Bundestagswahl nach US-Wahlrecht ausgegangen
Eine spannende Wahl liegt hinter Deutschland. Doch wäre die Bundestagswahl auch so ausgegangen, wenn das US-Wahlrecht gelten würde? Wir haben nachgerechnet.
Gerade einmal 1,6 Prozentpunkte trennten die SPD und die Union bei der diesjährigen Bundestagswahl. Seit der ersten Bundestagswahl 1949 endeten nur drei Abstimmungen mit einem noch knapperen Ergebnis. Es ist daher keine Überraschung, dass rund eine Woche nach der Wahl noch unklar ist, welche Koalition Deutschland künftig regieren wird - und welcher Kanzler. Dass das Wahlergebnis in der Bundesrepublik in der Vergangenheit häufig knapp ausgefallen ist, liegt einerseits an der vielfältigen Parteienlandschaft, andererseits am deutschen Wahlsystem. Wie wäre die Wahl am 26. September beispielsweise ausgegangen, wenn Deutschland das System der USA hätte?
Bei der Wahl zum neuen Bundestag kommt eine personalisierte Verhältniswahl zum Einsatz. Einige Abgeordnete ziehen also ins Parlament ein, weil sie direkt in ihrem Wahlkreis ein Mandat erhalten. Ein anderer Teil kommt über die Listen der Parteien in den Bundestag - je nachdem, wie viele Stimmenanteile die Partei auf sich vereinen konnte. Bei der Wahl sind deshalb zwei Stimmen nötig. Anders bei den Präsidentschaftswahlen in den USA: Dort gilt in den meisten Bundesstaaten das "Winner takes it all"-Prinzip. Das heißt: Die Partei, die sich in einem Staat mehr Stimmenanteile sichern konnte, gewinnt alle Wahlmänner - und frauen in diesem Staat (außer in Maine und Nebraska). Die Stimmen für die andere Partei verfallen. Formell wird das Staatsoberhaupt der USA dann von diesen Wahlleuten bestimmt.
Mit US-Wahlsystem: Bundestag würde deutlich schrumpfen
Wie viele Wahlleute jeder Bundesstaat nach Washington D.C. entsendet, hängt mit der Einwohnerzahl zusammen: In Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten US-Staat, gibt es beispielsweise 53 Wahlleute zu holen - in Wyoming, dem kleinsten der Bundesstaaten, gerade einmal einen Wahlmann oder eine Wahlfrau. Im Schnitt repräsentiert ein Wahlmann oder eine Wahlfrau in den USA rund 750.000 Bürgerinnen und Bürger.
Überträgt man nun das Wahlsystem auf Deutschland und seine Einwohnerzahl, würde jeder und jede Abgeordnete somit die Interessen von 190.488 Menschen vertreten (Stichtag der Bevölkerungszahl: 31.12.2018). Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, gleichzeitig Heimat von CDU-Chef Armin Laschet, gäbe es somit mit 94 Wahlleuten die meisten zu holen, in Bremen mit gerade einmal vier die wenigsten. Insgesamt käme Deutschland auf 436 Wahlleute - der Bundestag würde damit ganz nebenbei deutlich schrumpfen.
Nur die SPD würde profitieren, Grüne wären die Verlierer
Deutlich wird: Würde in Deutschland das Wahlrecht der Präsidentschaftswahl gelten, hätte sich das Wahlergebnis deutlich verschoben. Abgeordnete hätten nur jene Parteien, die in einem Bundesland die meisten Zweitstimmen holen konnten. Klare Wahlverlierer wären damit neben der FDP vor allem die Grünen. Denn obwohl die Partei von Annalena Baerbock nach deutschem Wahlsystem drittstärkste Kraft wurde und im nächsten Bundestag durch mehr als 100 Abgeordnete vertreten sein wird, dürfte sie laut US-Wahlsystem keine Abgeordneten nach Berlin entsenden. Die 14,8 Prozent der Zweitstimmen, die an die Grünen gingen, wären demnach wertlos.
In den Bundestag würden demnach lediglich drei Parteien einziehen: Die AfD käme durch die Siege in Thüringen und Sachsen auf 32 Wahlleute. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl konnte die AfD insgesamt 83 Sitze im neuen Parlament ergattern. Auch die Rechtspopulisten würden also nicht vom US-Wahlsystem profitieren. Deutliche Verluste müsste auch die Union hinnehmen: Statt der 196 Sitze kämen sie nach US-Recht auf 127 Wahlmänner und -frauen durch die beiden Siege in den bevölkerungsreichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg.
Die ganz klaren Sieger und einzigen Profiteure des US-Wahlrechts wären die Sozialdemokraten. Die SPD konnte sich bei der Wahl am 26. September in zwölf der 16 Bundesländer durchsetzen. Das sind umgerechnet 206 Sitze im neuen Bundestag und bedeuten damit die größte Fraktion. Würden jedoch die gleichen Regeln wie in den Vereinigten Staaten gelten, käme die SPD auf satte 277 Wahlleute. Die Fraktion der Sozialdemokraten würde damit fast zwei Drittel des neuen Bundestags ausmachen und die SPD hätte ganz nebenbei mehr als doppelt so viele Repräsentantinnen und Repräsentanten wie die Union. Je nach Wahlsystem sind 1,6 Prozentpunkte Differenz eben doch nicht so ein knappes Ergebnis.
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Wenn ich mir ansehen, welche komischen Parteien (z.B. V-Partei³) im Augsburger Stadtrat sitzen, muss man sich schon fragen, ob nicht ein neues Wahlrecht sinnvoll wäre. Ein paar hundert Stimmen langen für einen Stadtratssitz, um z.B. einen Antrag auf Butterbrezenverbot während den Stadtratssitzungen zu fordern. Vielleicht gründe ich zur nächsten Wahl die AAP (Augsburger Autofahrer Partei). Ich denke, ein Stadtratssitz wäre drin.
Das steht Ihnen frei, wobei es ja mit CDU, CSU, FDP und AFD schon genug Autofahrerparteien gibt. Ich verstehe nicht ganz, was Sie dagegen haben, dass auch kleine Parteien an der politischen Willensbildung teilhaben. Im Bund wird eine größere Vielfalt eh durch die 5 % Hürde beschränkt - kann man so oder so sehen. Unser Zweistimmen-Wahlsystem erlaubt auf jeden Fall ein vielfältigers Parteiensystem. Das US-System wirkt ja aus europäischer Sicht als Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln.
Ein interessanter Vergleich, der allerdings voraussetzt, dass alle Bundesländer dieselbe Methode (wtia) verwenden und nicht etwa nach Proporz entsandt wird, wie es in den USA auch teilweise üblich ist.
Noch interessanter wäre wohl ein Bundestag, bei dem nur die Erststimmen (direkte Abgeordnete) gewertet werden. Auch das brächte klare Verhältnisse und ein in der Größe fixes Parlament.
Das wäre eigentlich die einzig, richtige Entscheidung und käme dem Wählervotum, bzw. -willen am nächsten.
klare Verhälnisse ja, Wählerwillen nein. Mit eine Mehrheitwahlsystem bekommt man ein Zweiparteiensystem, weil andere Parteien chancenlos sind. Ob meine Stimme zählt, hängt nur noch von den Verhältnissen in meinen Wahlkreis ab. Ein Konservativer, der in einem linken Stadtviertel lebt oder ein Grüner in Niederbayern bräuchten sich gar nicht mehr die Mühe machen, zur Wahl zu gehen. Ihre Stimmen gehen unter. Deshalb ist das repräsentative Element der Zweitstimme so wichtig. Nur wie man von den Wahlergebnissen zu den Mandaten kommt, müsste neu organisiert werden.