Chemnitzer Chefredakteur Kleditzsch: "Müssen Konflikte ausfechten"
Torsten Kleditzsch ist Chefredakteur der Chemnitzer "Freien Presse". In der Stadt kam es nach der Tötung von Daniel H. auch zu Angriffen auf Journalisten.
Herr Kleditzsch, Sie sind Chefredakteur der sächsischen Regionalzeitung „Freie Presse“ mit Sitz in Chemnitz. Wie frei können Sie berichten?
Torsten Kleditzsch: Wir können frei und nach bestem Wissen und Gewissen berichten – wie prinzipiell alle Journalisten in Deutschland. Defizite und Fehler, die es natürlich auch bei uns gibt, haben nichts mit Zensur und Steuerung zu tun. Ich glaube, es gibt wenige Länder, in denen Journalisten so frei arbeiten können wie hierzulande. Wenngleich auch wir mitunter angegriffen werden und uns gegen versuchte Einflussnahmen behaupten müssen.
„Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Viele Menschen zweifeln daran, glauben, dass Journalisten von der Merkel-Regierung Vorgaben bekämen. Oder vom CIA. Wie verbreitet sind derartige Meinungen unter Ihren Lesern?
Kleditzsch: Nicht anders vermutlich als unter Ihren Lesern. Wir versuchen dem zu begegnen, indem wir Leserinnen und Leser, die solche Vorwürfe an uns richten, stets ein Gesprächsangebot machen und einige davon auch zu uns in die Redaktion einladen. Wir zeigen ihnen dann, wie wir arbeiten. Wir haben ja nichts zu verbergen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.
Woher aber kommen diese Vorwürfe, dieses Misstrauen?
Kleditzsch: Dafür gibt es mehrere Gründe. Es war sicherlich so, dass vor 2015/16 nicht nur die Politik der großen Parteien, sondern auch die Berichterstattung der Medien zu viele Ähnlichkeiten aufwies, zu wenig Unterschiede. Das kam aber nicht aufgrund irgendeiner Steuerung von außen zustande, sondern es hatte etwas damit zu tun, dass der Zeitgeist von Pragmatismus geprägt war und weniger von großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Dazu kommt, dass im Digitalzeitalter jeder sofort weiß, was der andere schreibt und sendet. Das führte ebenfalls zu einer Angleichung der Angebote. Der Herdentrieb.
Sie sprechen von einer Zeit, in der immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen.
Kleditzsch: Heute wissen wir, dass die Medien in dieser Zeit – salopp gesagt – ein bisschen gebraucht haben, um mit den Problemen, vor denen Deutschland plötzlich stand, so umzugehen, wie es der Job verlangt. Es gab hier einen gewissen Lernprozess, der Mediennutzer unzufrieden gemacht hat.
In Chemnitz gab es 2018 nach der Tötung des 35-jährigen Deutschen Daniel H. – mutmaßlich durch Flüchtlinge – bei Protesten rechtspopulistischer Gruppen wie AfD, Pegida oder Pro Chemnitz gewalttätige Angriffe auf Journalisten. „Ein so medienfeindliches Klima wie in Chemnitz hat es aus Sicht von Reporter ohne Grenzen seit dem Beginn der Pegida-Bewegung im Jahr 2015 nicht mehr gegeben“, stellte die Nichtregierungsorganisation kürzlich fest. Stimmen Sie dem zu?
Kleditzsch: Ich weiß nicht, worauf diese Beurteilung beruht. Es gab am Tag der Tat und dem darauffolgenden Montag Demonstrationen in Chemnitz, die geprägt waren von gewaltbereiten Hooligans – das erzeugte Situationen für Journalisten, die tatsächlich bedrohlich waren. Und in denen nicht klar war, ob die Polizei die Sicherheit wird gewährleisten können. Als generelle Aussage kann ich die Einschätzung von Reporter ohne Grenzen allerdings nicht mittragen. Wir können in Chemnitz unsere Arbeit als Journalisten gut machen. Und wir finden Anerkennung dafür. Aber ja: Wir müssen auch so manchen Konflikt ausfechten. Das ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal.
Ab wann war Ihnen klar, dass die Tötung von Daniel H. weitaus mehr sein würde als ein Verbrechen – sondern ein bundesweites Politikum?
Kleditzsch: Das war eigentlich sofort klar. Zum einen war da der mutmaßliche Mord durch einen Flüchtling an einem Deutschen. Das war schon schlimm und emotional genug. Was aus meiner Sicht die Dramatik noch einmal entscheidend verstärkte, war die falsche Erzählung, bei der ganzen Sache sei es um eine Frau gegangen, die belästigt worden sei. Daniel H. habe ihr helfen wollen und sei dabei zu Tode gekommen. Wir wissen heute, dass das falsch ist. Dieses Gerücht wurde aber sehr früh auch von journalistischen Medien auf eine völlig unverantwortliche Art und Weise verbreitet. Das hat zu dieser ungeheuren Dynamik der Ereignisse geführt und zu einer Mobilisierung gewaltbereiter Gruppen weit über Sachsen hinaus.
Hatten Sie den Eindruck, dass Journalistenkollegen korrekt berichteten?
Kleditzsch: In den ersten Tagen war es für auswärtige Kollegen gewiss schwer, sich ein Bild zu machen. Manche Kollegen flüchten sich in solchen Situationen in Klischees. Vor allem in den ersten beiden Tagen gab es deshalb Zuspitzungen und Beschreibungen, die aus unserer Sicht nicht zutrafen. Nach meiner Beobachtung hat sich das nach etwa einer Woche aber verändert. Ab dann lief die Debatte in den deutschen Medien wesentlich sachlicher.
Chemnitz, Sachsen, ja ganz Ostdeutschland wurden als „Dunkeldeutschland“ dargestellt. In einem Interview wurden Sie sogar gefragt: „Schämen Sie sich, aus Sachsen zu kommen?“
Kleditzsch: Zum einen gibt es Klischees über Sachsen, die gern bedient werden, um vielleicht zu Hause nicht so genau hinschauen zu müssen. Zum anderen hat Sachsen leider immer wieder Gelegenheit dazu gegeben, das Thema Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit mit dem Freistaat zu verbinden. Wer jedoch glaubt, die in Chemnitz sichtbar gewordenen Konflikte beschränkten sich auf Sachsen oder Ostdeutschland, der redet sich die Lage schön.
Was war und ist Ihnen am wichtigsten in Ihrer Berichterstattung über Daniel H. und die Folgen?
Kleditzsch: Es ist wie bei allen anderen Themen auch: Am wichtigsten ist uns, dass wir der Wahrheit so nahe wie möglich kommen. Dass wir richtig berichten. Das ist das alles Entscheidende. Dazu muss man eine Sprache finden, die von Sachlichkeit geprägt ist, nicht immer noch eins draufsetzt.
Was denken Sie: Welchen Einfluss haben Sie als Journalist auf die öffentliche Debatte?
Kleditzsch: Bleiben wir beim Beispiel Daniel H.: Wir glauben, dass wir durch die Art und Weise, wie wir im vergangenen Herbst berichtet und wie wir uns positioniert haben, dazu beitragen konnten, dass die Konflikte nicht weiter eskalierten und ein Gespräch über die Probleme möglich wurde. Wir spürten in diesen Wochen, dass wir unsere reine Beobachterrolle ein Stück weit aufgeben müssen. Durch das Vertrauen, das uns die Leserinnen und Leser nach wie vor entgegenbringen, war es möglich, uns den Chemnitzern als Dialogplattform anzubieten und entsprechende Formate zu entwickeln. Das war harte, aber am Ende eine sehr erfolgreiche Arbeit.
Auch Plauen gehört zum Verbreitungsgebiet Ihrer Zeitung. Dort marschierten am 1. Mai hunderte Neonazis auf – weitgehend ungestört von den Behörden. Ist der Rechtsstaat in Sachsen bedroht?
Kleditzsch: Das Demonstrationsrecht gilt in Deutschland auch für Parteien wie Der Dritte Weg. Deshalb sind die mitunter nicht nur in Sachsen auf der Straße. Und angesichts der bestehenden Gesetze bin ich mir gar nicht sicher, ob man der Versammlungsbehörde allzu große Vorwürfe machen kann. In Plauen haben auch vergleichsweise viele Menschen gegen den Umzug protestiert. Das ist leider nicht immer und überall so. Für die Demokratie gibt es keine Bestandsgarantie. Sie braucht Engagement. Davon könnten wir sicher etwas mehr gebrauchen.
Nicht nur der neonazistische Der Dritte Weg, auch AfD-Mitglieder oder -Sympathisanten machen keinen Hehl daraus: Wenn sie an der Macht seien, ginge es missliebigen Journalisten bald an den Kragen. Fühlen Sie sich bedroht?
Kleditzsch: Ja, das ist ab und an in Zuschriften und Mails zu lesen. Eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen musste sich auch mit konkreteren Drohungen auseinandersetzen. Meistens am Rande von Demonstrationen. Man muss sich bewusst sein, was Meinungs- und Pressefreiheit für eine freiheitliche Gesellschaft ausmacht, und dass dies manchem nicht passt.
In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Gerade in Sachsen gab es immer wieder Vorfälle, die daran zweifeln lassen, ob die Polizei Journalistinnen und Journalisten ausreichend schützt.
Kleditzsch: Wir setzen auf einen guten Kontakt zur Polizei. Erst heute haben sich Reporter von uns und Vertreter der Polizei getroffen, um über die Probleme zu reden, die auf beiden Seiten bestehen. Dieser Austausch funktioniert eigentlich ganz gut. Dennoch gab es Situationen, in denen sich Journalisten alleingelassen gefühlt haben oder behindert wurden. Deshalb habe ich schon die Erwartung, dass die sächsische Polizei in Zukunft im Umgang mit Medienvertretern vor allem am Rande von Demonstrationen keine Zweifel mehr an ihrer Professionalität aufkommen lässt. Das würde beiden Seiten helfen.
Sie sind Sachse, studierten Journalistik in Leipzig. Gab es eine prägende Erfahrung, die Sie als junger Journalist in der DDR machten?
Kleditzsch: Ich habe 1988 angefangen zu studieren. Da spielte viel Naivität eine Rolle. Spätestens im dritten Semester war die DDR am Ende. Für große Erfahrungen fehlte mir also die Gelegenheit. Aber ich habe aus dieser Zeit für mich eine Lehre gezogen: Bewahre dir stets deinen eigenen Kopf und die Fähigkeit, alles, auch dein eigenes Handeln, infrage zu stellen. Das hilft – auch heute.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, garantiert Artikel 5. In der DDR konnte man davon nur träumen...
Kleditzsch: Ja, natürlich. Wissen Sie: Wir hier in Ostdeutschland haben das Grundgesetz seit knapp 29 Jahren. Eine großartige Verfassung. Und trotzdem zähle ich zu denen, die der Meinung sind, Ost- und Westdeutsche hätten sich etwas mehr Mühe geben sollen, um zu einer überarbeiteten gemeinsamen deutschen Verfassung zu kommen. Ich glaube nicht, dass diese gemeinsame deutsche Verfassung groß anders ausgesehen hätte als das Grundgesetz. Vielleicht hätte es die Möglichkeiten direkter Mitbestimmung noch etwas ausgeweitet. Als ostdeutsches Mitbringsel sozusagen. Auf jeden Fall aber hätte uns dieser Prozess manche Debatte von heute erspart, etwa über die Vertretung ostdeutscher Interessen.
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