
Wie Curevac aus der Krise kommen könnte


Biotechnologie-Analyst Elmar Kraus erklärt, warum das Unternehmen die Zulassung seines Impfstoffs trotz des enttäuschenden Wirkungsgrades weiterführen will.
Gewissheit kann bitter sein – insbesondere wenn es einen Misserfolg zu verkraften gilt. Auf der anderen Seite kann Gewissheit auch den Blick für die Zukunft öffnen – schließlich ist eine Neuorientierung unausweichlich. So wie jetzt bei dem Biotech-Unternehmen Curevac. Falls es in der Tübinger Firmenzentrale noch eine leise Hoffnung gegeben haben mag, in der aktuellen Corona-Impfkampagne in Deutschland eine tragende Rolle zu spielen, ist sie wohl endgültig erloschen. Die Aktionäre sehen das offensichtlich ähnlich: Der Wert wird an der Börse abgestraft. Gleichzeitig hat Curevac-Chef Franz-Werner Haas angekündigt, die Zulassung für das Impfstoff-Projekt „mit vollem Engagement“ weiterzutreiben. Es ist kompliziert.
Die vor knapp drei Wochen veröffentlichten ernüchternden Daten aus der Zwischenauswertung für den Zulassungsprozess mit einem Gesamtwirkungsgrad von 47 Prozent kletterten nach den neuen Zahlen lediglich um einen Prozentpunkt. Damit ist klar: Die nach einem eng verwandten Prinzip entwickelten Vakzine von Biontech und Moderna sind mit über 90 Prozent weit wirksamer. Das gilt auch für die Vektor-Impfstoffe AstraZeneca oder Johnson & Johnson.

Über die Ursache der fehlenden Durchschlagskraft wird spekuliert und diskutiert. Curevac liefert als Erklärung, dass das Auftauchen verschiedener Mutanten während der klinischen Testphasen für die unbefriedigenden Ergebnisse eine große Rolle gespielt hätten. Elmar Kraus, Analyst für Biotechnologie bei der DZ Bank, hingegen neigt einer anderen These zu: „Es könnte an der vergleichsweise geringen Wirkstoff-Dosierung liegen und an dem Umstand, dass Curevac natürliche statt modifizierter RNA-Baustoffe verwendet“, sagt Kraus, der selber von 1996 bis 1998 in der RNA-Forschung tätig war.
Die Zulassung des Curevac-Vakzins könnte viel Geld bringen
Ungeachtet dieser wissenschaftlich-technischen Fragen soll das Vakzin auf den Markt kommen. „Die Frage ist, ob das Unternehmen wirklich eine andere Wahl hat. Schließlich gilt der Liefervertrag mit der EU über 225 Millionen Impfdosen. Der Vertrag legt fest, dass die EU die Dosen zu einem festen Betrag abnimmt, wenn die Zulassung erfolgt ist. Letztere ist die einzige Bedingung, nicht der tatsächliche Wirkungsgrad des Vakzins im Vergleich zu anderen.“ Noch allerdings liegt die Zulassung durch die zuständige europäische Genehmigungsbehörde EMA nicht auf dem Tisch.
Dennoch: Auf die erhofften Verkaufserlöse könne ein „kleines Unternehmen wie Curevac kaum verzichten. Das müsste man den Investoren – unter anderem Dietmar Hopp – erst einmal erklären“, sagt Kraus im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die Reputation des Unternehmens ist angekratzt
Andererseits ist es kein Geheimnis, dass der Misserfolg des Vakzins für die Reputation des Tübinger Unternehmens nicht eben förderlich ist. Schließlich ist mehr als fraglich, ob das Vakzin nach einer Zulassung hierzulande überhaupt nachgefragt werden würde. Diesen Punkt sieht auch Elmar Kraus kritisch: „Die EU kann mit dem Vakzin machen, was sie will. Natürlich wäre es ein Imageproblem, wenn das Curevac-Vakzin gar nicht in Europa zum Einsatz kommen würde, sondern an ärmere Länder weitergegeben werden würde.“
Welche Möglichkeiten sieht der Analyst für Curevac, aus dieser misslichen Situation herauszufinden? Ganz grundsätzlich ist sich Kraus sicher, dass Curevac mit seiner in 20 Jahren Forschung gesammelten Erfahrung in der zukunftsweisenden RNA-Technik weiterhin enormes Potenzial hat. Curevac habe zum Beispiel einen Tollwut-Impfstoff entwickelt und Vakzine gegen weitere Infektionskrankheiten, aber auch verschiedene Arten von Krebs in der Entwicklung. Geld dürfte vorhanden sein, Kraus hält die finanzielle Basis für Curevac weiterhin für solide. Der Bund, der 16 Prozent der Aktien des Unternehmens hält, hat versichert, seine Beteiligungen zu halten.
Curevac hofft bei Auffrischungsimpfungen zum Zuge zu kommen
Doch auch was die Bekämpfung der Corona-Pandemie betrifft, sieht Kraus noch Optionen für das Unternehmen. „Eine Chance für das Curevac-Vakzin könnte ein Einsatz als Auffrischungsimpfstoff – ein sogenannter Booster – sein. Das ist vorstellbar, weil vieles darauf hindeutet, dass Überkreuzimpfungen von Vektorimpfstoffen wie AstraZeneca und mRNA-Impfstoffen wie Biontech und Moderna, aber vielleicht eben auch Curevac eine hohe Wirkung entfalten.“ Das wäre dann auch wiederum gut für das angekratzte Image des Unternehmens. Denn sollte das Vakzin aus Tübingen als Booster richtig gut funktionieren, dann „dürfte dem zukünftigen Gesundheitsminister völlig egal sein, welcher Herstellername auf den kleinen Fläschchen draufsteht“, ist sich Kraus sicher.
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