Viele Nationen halten ihr System für das weltbeste. Doch auch deutsche Kliniken kämpfen schon lange mit großen Problemen.
Überall in Deutschland treffen die Belegschaften in den Kliniken Vorbereitungen und trainieren für den Ernstfall – in der bitteren Gewissheit, dass er binnen weniger Tage oder Wochen Realität wird. Die Frage ist nur, wie gewaltig die Welle an schwerst erkrankten Corona-Patienten über die Pflegemitarbeiter und Ärzte samt ihren technischen Versorgungskapazitäten hereinbricht. Niemand kann diese Frage derzeit beantworten. Auch nicht die besten Computermodelle der Virologen. Der Blick auf die Corona-Katastrophe in Italien ist ein Blick in einen Abgrund. Und vor diesem Schrecken ist auch Deutschland alles andere als sicher.
Immer wieder betonen Gesundheitspolitiker und Verbandsvertreter, dass Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt habe. Global betrachtet mag das stimmen, in den Vergleichen unter den 36 stärksten Industriestaaten der Welt ist Deutschland nur gehobener Durchschnitt – bei der Versorgung mit Krankenpflegepersonal nicht mal das. Auch das wohlhabende Norditalien hielt sein gutes regionales Gesundheitssystem für eines der weltbesten.
Coronavirus: Deutschland hat einen kleinen Vorsprung
Es besteht also kein Anlass zu Hochmut. Gründe, die zaghaften Optimismus aufkommen lassen, gibt es dennoch. Zum einen ist es die Ansicht der Virologen, dass Deutschland – gewarnt durch den frühzeitigeren Ausbruch in Italien – das Ausmaß der Bedrohung in einem noch früheren Stadium erkennen konnte. Dadurch gibt es einen kleinen Vorsprung im Wettlauf um den Ausbau erforderlicher Intensivbetten und Beatmungsgeräte.
Aber auch die Infrastruktur bringt durch die große Zahl und regionale Nähe der Krankenhäuser in Deutschland Vorteile mit sich. Diese Zahl wurde von fast allen politischen Seiten als teure Überversorgung kritisiert. Dass sie dennoch überlebt hat, liegt nicht an politischem Weitblick, sondern im Gegenteil an ebenfalls viel kritisierter Kleinstaaterei bis auf Kreisebene.
Die Beharrungskräfte sind dabei so immens, dass sie seit vielen Jahren zu einer Art gesundheitspolitischer Unregierbarkeit im Krankenhauswesen geführt haben, die sich nun unbeabsichtigt als Vorteil erweist. Das Gegenteil lässt sich übrigens beim Katastrophenschutz beobachten: Hier hat der Bund nach der Wiedervereinigung zum zentralistisch geführten Kahlschlag ausgeholt und wenig übrig gelassen.
Corona-Krise: Das Engagement ist überdurchschnittlich
Entscheidend im Kampf gegen die Corona-Krise, wie erfolgreich die politischen Schutzmaßnahmen sich auch immer erweisen, wird eine andere positive Beharrungskraft sein: das große Berufsethos und das weit überdurchschnittliche Engagement, mit dem Pflegekräfte und Ärzte in den Krankenhäusern arbeiten. Beider Leidenschaft für den Beruf hat sich längst zur Leidensfähigkeit gewandelt. Der Alltagsbetrieb in deutschen Kliniken basierte schon vor Corona im Wesentlichen auf der Bereitschaft der Mitarbeiter(innen) zur Selbstausbeutung. Das ist hoch anzurechnen, aber fast immer alles andere als hoch bezahlt.
Profitorientierung muss überdacht werden
Die Corona-Krise sollte deshalb noch lange als markerschütternde Katastrophensirene laut in den Ohren der Verantwortlichen in Politik und Gesundheitssystem heulen: Sie müssen die Probleme des deutschen Krankenhauswesens völlig neu überdenken. Die extrem profitorientierte Regulierung mit dem Fallpauschalensystem hat die Probleme nicht gelöst. Das abgrundtiefe Misstrauen zwischen Politik, Krankenhäusern, Krankenkassen und Verbandsvertretern wächst noch immer, wie jetzt der Streit um die Corona-Notfinanzierung gezeigt hat. Nach der Krise sollte der Zeitpunkt für einen gesundheitspolitischen Neuanfang kommen. Und dabei geht es weniger um eine viel zitierte „Chance“, sondern um eine schlichte Notwendigkeit.
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Es ist jetzt nun wirklich nicht die Zeit, Kritik an unserem Gesundheitswesen zu üben. Nur: Hinsichtlich unserer Krankenhäuser hat beispielsweise die Tagesschau bereits am 15.11.2019 berichtet, dass hierzulande jährlich 500 bis 650 Patienten pro 100.000 Einwohner an Krankenhausinfektionen erkranken, während der EU-Durchschnitt hier bei 450 bis 500 pro 100.000 Einwohner liegt. „Die durch Krankheit und Tod verlorenen Lebensjahre durch solche Infektionen werden für Deutschland auf knapp 250.000 pro Jahr beziffert.“ Also dieser Bericht bestätigt keinesfalls, dass Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hat.
"Es ist jetzt nun wirklich nicht die Zeit, Kritik an unserem Gesundheitswesen zu üben."
In aller Regel sind mit der Kritik ja keinesfalls die für relativ wenig Geld an der Belastungsgrenze arbeitenden Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte usw. gemeint. Die leiden unter den von der Politik zu verantwortenden Zuständen genau so wie die Patienten.
Gelingt es dem globalisierten Kapital, seine eigenen Regeln der Ausbeutung von Mensch und Natur weltweit durchzusetzen, ist die Zerstörung der Lebensgrundlagen einer menschlichen Zivilgesellschaft nicht mehr aufzuhalten.
(Albrecht Müller, Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt.)
Das Gesundheitssystem ist nur einer von vielen Bereichen der lebenswichtigen Infrastruktur, die in einer Krisenzeit über Gebühr strapaziert werden könnte. Ein gutes politisches Zeichen wäre eine klare Abkehr von der weiteren Privatisierung der Grundversorgung. Dort wo privatisiert wurde, müssen quasi- Monopole stark reglementiert werden. Das Funktionieren der Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft: Transport, Energie, Kommunikation, Wasser, Abwasser, Müllentsorgung, Feuerwehr, innere Sicherheit und Gesundheit dürfen nicht den Launen eines freien Marktes unterworfen werden. Sie dürfen nicht störanfällig und instabil sein, nur weil sie auf Profit optimiert wurden.
genau das war auch mein Gedanke zu den Ursachen des Problems