Den Vorwurf der flächendeckenden Ausspähung Deutscher durch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens sieht die Bundesregierung entkräftet. Beide Länder hätten schriftlich zugesichert, dass sie Recht und Gesetz in der Bundesrepublik einhielten, sagte Kanzleramtsminister Roland Pofalla (CDU) am Montag nach seiner Anhörung vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Die Opposition zog die Darstellung Pofallas in Zweifel und erklärte, es gebe weiter keine Klarheit in der Spähaffäre.
Roland Pofalla "Keine millionenfache Grundrechtsverletzung"
Pofalla sagte weiter, die seit Wochen diskutierten Vorwürfe der massenhaften Datenausspähung seien "vom Tisch". Die zentrale Forderung der Bundesregierung, dass sich ausländische Geheimdienste in Deutschland an hiesiges Recht halten müssten, sei mit den schriftlichen Äußerungen erfüllt.
"Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung", sagte der Kanzeramtschef. Die in den vergangenen Wochen diskutierten Datenübermittlungen aus Deutschland an den US-Geheimdienst NSA stammten aus der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Pofalla sagte weiter, dass die USA den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten hätten, auf das die Bundesregierung eingehen werde. Ein solches Angebot hätten die USA nicht unterbreiten können, wenn sie sich nicht an deutsches Recht halten wollten.
Pofalla verwies zudem darauf, dass der heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in seiner früheren Funktion als Kanzleramtschef im Jahr 2001 bereits vor den Anschlägen vom 11. September die Zusammenarbeit des BND und der NSA vorbereitet habe. Durch die Kooperation würden nach Angaben der USA wöchentlich drei bis vier Anschläge auf die Truppen in Afghanistan verhindert.
NSA-Affäre: Noch sind viele Fragen offen
Lexikon der Spähaffäre
Prism, Tempora, XKeyscore: Die Geheimdienste verwenden eine ganze Reihe von Systemen, um uns massenhaft auszuspähen. Ein kleines Lexikon:
PRISM: Ist der Codename eines US-Geheimdienstprogramms, das zum Inbegriff der gesamten Spähaffäre wurde. Der Name steht für «Planning Tool for Resource Integration, Synchronization and Management» («Planungswerkzeug für Quellenintegration, -synchronisierung und -management).
Es ist bislang nicht ganz klar, wie das Programm funktioniert. Nach den von Snowden übergebenen Dokumenten erlaubt oder organisiert «Prism» den Zugriff auf die Daten von Nutzern großer US-Internetfirmen wie Microsoft, Google oder Facebook. Experten gehen davon aus, dass die US-Dienste verdachtsunabhängig große Mengen an Nutzerdaten speichern. Die gespeicherten Daten werden dann mit Filterbegriffen durchsucht.
XKEYSCORE: Ein weiteres Spähprogramm der NSA. Der Verfassungsschutz räumte ein, es «testweise» einzusetzen. Nach den vorliegenden Informationen handelt es sich dabei um eine Art Datenbank, mit der die von der NSA gesammelten Daten durchsucht und zu Tabellen gebündelt werden können.
Demnach kann «XKeyscore» unter anderem auf die von einer bestimmten Person benutzten Telefonnummern und Emailadressen, aber auch auf konkrete Mitschnitte von Internetaktivitäten zugreifen. Medienberichten zufolge lassen sich mit dem Programm eventuell Begriffe rekonstruieren, die jemand in die Google-Suchmaschine eingegeben hat.
TEMPORA: So lautet der Deckname eines Überwachungsprogramms des britischen Geheimdienst GCHQ, das auf das Abgreifen von Daten an Seekabeln zielt. Durch diese Glasfaserverbindungen fließt der weit überwiegende Teil der heutigen globalen Kommunikation per Telefon und Internet.
»Tempora» erlaubt es demnach, diesen Informationsbrei in gigantischen Pufferspeichern zu sammeln und daraus Emails, Telefonate und Videochats zu rekonstruieren. Die Daten können einige Tage, einzelne Informationsteile wie Absender und Empfänger wochenlang gespeichert werden. Mit der entsprechenden Software können so nachträglich Nachrichten von Verdächtigen gefunden oder die Stimmen von Gesuchten identifiziert werden.
DE-CIX: Ein großer Internetknoten in Frankfurt am Main, bei dem es sich den Berichten zufolge um ein bevorzugtes Ziel der NSA-Spionage in Deutschland handeln soll. DE-CIX ist eine Art großer Weiche, an der Internetverkehr aus diversen einzelnen Provider- und Datennetzen zusammenfließt und verteilt wird.
G-10-GESETZ: So heißt ein Gesetz in Deutschland, das den Zugriff der deutschen Nachrichtendienste auf Telekommunikationsdaten regelt. Vollständig heißt es «Gesetz zu Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses». Da dieses in Artikel 10 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich fixiert ist, lautet die Kurzform G-10-Gesetz.
Es verpflichtet Postanbieter sowie Telekom- und Internetkonzerne, den Verfassungsschutzämtern, dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr auf Verlangen Sendungen zu übergeben und ihnen die Aufzeichnung und Überwachung der Telekommunikation technisch zu ermöglichen. Laut Gesetz dürfen die Dienste derartige Maßnahmen unter anderem zur Abwehr einer «drohenden Gefahr» für die demokratische Grundordnung oder seitens des BND etwa im Kampf gegen Organisierte Kriminalität beantragen. Genehmigt werden diese nicht von Gerichten, sondern von einer Kommission aus zehn Bundestagsabgeordneten, der sogenannten G-10-Kommission.
Während sich Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) der Darstellung Pofallas anschloss, bezweifelte sein SPD-Amtskollege Thomas Oppermann, dass die von dem früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden aufgedeckte Erfassung von 500 Millionen Daten monatlich allein auf die Auslandsaufklärung des BND zurückzuführen sei. Die entsprechende Behauptung bleibe eine Theorie, sagte Oppermann. Es habe sich herausgestellt, dass diese Datensätze gar nicht gezählt würden.
Auch der Grünen-Vertreter im Ausschuss, Hans-Christian Ströbele, verwies darauf, dass die im PKG gemachten Aussagen der Regierung keinen Aufschluss über das Ausmaß der Datensammlung zuließen. Ähnlich äußerte sich auch der Linken-Vertreter Steffen Bockhahn. Es blieben weitere Fragen offen, sagte er.
Ströbele zog zudem in Zweifel, dass die vom BND an die NSA übermittelten Handy-Daten tatsächlich nicht für die gezielte Tötung von Terrorverdächtigen verwendet werden können, wie es die Geheimdienste behaupten. Pofalla bekräftigte dagegen, dass nach Angaben der Sicherheitsbehörden die entsprechenden Daten nicht geeignet sind, gezielte Tötungen zu unterstützen.
Die SPD war zuvor mit dem Versuch gescheitert, Steinmeier als früheren Kanzleramtschef noch am Montag vor dem PKG anzuhören. Einen entsprechenden Antrag lehnten Union und FDP ab, was Steinmeier "ungeheuerlich" nannte. Er forderte zugleich, auch seinen Amtsnachfolger Thomas de Maizière sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) anzuhören. Die Liberalen wollen Steinmeier zu einem späteren Zeitpunkt laden, wie ihr PKG-Vertreter Hartfrid Wolff sagte. AZ/afp