Demokratie für 29,95 Euro? Was hinter "Olympia" steckt
Die Gründer der Kondom-Firma Einhorn wollen 1,8 Millionen Euro sammeln, um das Berliner Olympia-Stadion zu mieten. Dort wollen sie "die Probleme unserer Zeit lösen".
Wer das Video sieht, fühlt sich sofort an eine Dauerwerbesendung auf einem Shopping-Kanal erinnert. Eine dieser Sendungen, bei denen Frauen mit schönen Dauerwellen versprechen, wer dieses Mittel kaufe, habe nie wieder ein Problem mit Flecken. Oder im Handumdrehen faltenfreie Pfirsichhaut. Wirklich! Versprochen! Der Hintergrund des Films ist nur ein bisschen hipper.
Und die Menschen, die vor der Kamera sitzen und reden, sind der Einkaufsfernseh-Zielgruppe vermutlich kein Begriff. Es sind zum Beispiel Charlotte Roche, Waldemar Zeiler, Philip Siefer und Luisa Neubauer. Was sie versprechen, klingt großartig und gleichzeitig gruselig: "Es geht um die Zukunft unserer Zivilisation. Es geht darum, wie wir zusammen die größte Krise der Menschheit lösen können. Die Lösung gibt es jetzt bei Startnext zu kaufen. Für nur 29,95 Euro könnt ihr euer Ticket zur größten Krisensitzung Deutschlands kaufen."
Aus den Klimaprotesten ist die Aktion Olympia gewachsen
Das also sind die einleitenden Worte. Die Worte, mit denen die Promis (zumindest in einer bestimmten Zielgruppe sind sie das) versuchen, viele Menschen - genauer gesagt mindestens 60.000 - davon zu überzeugen, bei einer Crowdfunding-Kampagne mitzumachen. Ziel der Kampagne ist es, 1,8 Millionen Euro zu sammeln, um das Berliner Olympia-Stadion zu mieten und sich zu treffen. Oder, wie es die Werbebotschafter ausdrücken: "Wir treffen uns, und wir kümmern uns um die Probleme unserer Zeit. Denn für viele Probleme gibt es Lösungen. Dann können wir diese Lösungen per Petition einfordern."
Doch etwas langsamer: Worum geht es bei der Kampagne? Seit etwa einem Jahr gehen Jugendliche jeden Freitag auf die Straßen. Sie machen ihrem Ärger über die Klimapolitik Luft. Doch, um ehrlich zu sein: Sehr viel mehr als das Thema Klima als Dauer-Thema zu etablieren, ist ihnen bislang nicht gelungen.
Natürlich sind die Schüler nicht mehr die einzigen, die für die Zukunft auf die Straße gehen. Auch Eltern und Omas demonstrieren. Wissenschaftler und Unternehmer haben sich zusammengeschlossen, um auf den Klimanotstand aufmerksam zu machen. Doch die Politik kommt den Forderungen der "Fridays for Future"-Anhänger bei weitem nicht nach. Im Gegenteil. Das Klimapaket, auf das sich die Bundesregierung nach zähem Ringen geeinigt hat, blieb hinter deren Erwartungen zurück. Und wird jetzt auch noch teilweise im Bundesrat blockiert.
Berliner Unternehmen möchte das Olympia-Stadion für Aktivisten mieten
Und deshalb gibt es nun die Kampagne. In sozialen Netzwerken wie Twitter oder Instagram hat die Veranstaltung extrem viel Aufmerksamkeit erregt. Viel Zustimmung bekommen und viel Kritik. Außerhalb dieser Welt gibt es hingegen viele, die noch nie etwas von ihr gehört haben.
Worum geht es genau? Unter dem Titel "12062020Olympia" wollen am 12. Juni 2020 90.000 Menschen das Berliner Olympiastadion mieten. Dafür sammeln sie gerade über eine Crowdfunding-Kampagne Geld. Wer mindestens 29,95 Euro spendet, bekommt ein Ticket. 1,8 Millionen Euro sollen so bis zum 24. Dezember zusammen kommen. Seit etwa zwei Wochen können Menschen schon spenden. Bisher sind gut 500.000 Euro eingegangen.
Gelingt es, die 1,8 Millionen zusammenzubringen, wollen die Initiatoren Petitionen ausarbeiten und diese dann per Online-Abstimmung am 12. Juni an den Petitionsausschuss des Bundestags schicken. Denn sobald eine Online-Petition 50.000 Unterschriften oder mehr erreicht, muss sich der Petitionsausschuss mit ihr befassen. Die Vision ist also, dass alle 90.000 Teilnehmer gleichzeitig ihre Online-Unterschrift unter die Petitionen setzen und so Politik machen.
Petitionen: Die Perioden-Steuer war der Anfang, Olympia ist die Fortsetzung
Um zu verstehen, wie aus dem Klima-Protest diese Aktion entstehen konnte, hilft es zu gucken, wer dahinter steckt: Mit-Initiatoren der Veranstaltung sind Waldemar Zeiler und Philip Siefer. Vor vier Jahren waren die Gründer mit ihrem Unternehmen Einhorn bei der Gründer-Show "Die Höhle der Löwen". Seither macht die Firma, die eigentlich vegane und faire Kondome, Tampons und Menstruationstassen herstellt, immer wieder von sich reden. Aber nicht unbedingt wegen ihrer Produkte. Sondern wegen ihrer Ideen. Zum Beispiel, weil das Start-up ganz anders organisiert ist. Die Firma gehört niemandem, sondern sich selbst. Mitarbeiter legen das Gehalt, die Arbeitszeit und den Urlaub aller selbst fest - durch Abstimmung. So wird entschieden. Demokratisch. Einhorn geht es außerdem nicht darum, Gewinn zu machen, sondern darum, Sinnvolles zu tun. So lässt sich das Selbstbild zusammenfassen.
Im Frühjahr setzte sich Einhorn dafür ein, den Mehrwertsteuersatz auf Tampons und Binden zu senken. Statt 19 Prozent sollten für Perioden-Produkte nur noch sieben Prozent bezahlt werden. Das ist keine Forderung, die erst im Frühjahr dieses Jahres aufkam. Die Diskussion gibt es schon lange. Das wichtigste Argument: Tampons und Binden sind keine Luxusgüter. Frauen brauchen sie, weil sie ihre Periode bekommen. Deshalb sollte auch der niedrige Mehrwertsteuersatz gelten. Im Frühjahr griffen Einhorn und das Magazin Neon das Thema auf und starteten eine Online-Petition. Unterstützung bekamen sie von verschiedenen Influencern oder Künstlern wie der Autorin Charlotte Roche. Sie mobilisierten ihre Anhänger. Und tatsächlich: Die 50.000 Unterschriften-Marke wurde geknackt. Und kurz darauf verkündete Finanzminister Olaf Scholz (SPD), dass die Steuer gesenkt werde. Ein Durchbruch. Ein Erfolg, den Einhorn für sich reklamierte. Und ein Knackpunkt auf dem Weg zu "12062020Olympia"
So erzählt es zumindest Markus Wörner. Er ist gleichzeitig Pressesprecher bei Einhorn und organisiert die Olympia-Veranstaltung mit. "Damals haben wir gemerkt, dass man mit demokratischen Mitteln wirklich etwas bewegen kann", sagt er. Dass man die Instrumente, die die Verfassung Bürgern gebe, nutzen und in sinnvolle Politik umsetzen kann. Und das wollen die Olympia-Initiatoren auch im Juni wieder machen. "Nur um das klarzustellen: Wir wollen keine Politik machen. Wir wollen den Politikern nur den Weg weisen. Ihnen zeigen: Dass sehr viele Menschen hinter den Entscheidungen stehen", sagt Wörner. Denn würden tatsächlich alle 90.000 Menschen im Olympia-Stadion in Berlin die dort vorgestellten Petitionen unterschreiben, müsste der Petitionsausschuss sich mit ihnen befassen.
Alles Werbung? Kritiker bemängeln die Rolle von Einhorn bei geplanter Versammlung im Olympia-Stadion
Welche Petitionen das genau sein werden, steht noch nicht fest - genau so, wie auch das Programm der Veranstaltung noch offen ist. Es sollen Wissenschaftler auftreten, vielleicht auch Künstler - auf keinen Fall aber Politiker. Es soll Stände von Nicht-Regierungsorganisationen geben.
Und die Petitionen? Die können noch von allen, die eine Idee haben, an die Veranstalter geschickt werden. Dort sollen sie dann in Arbeitsgruppen ausgearbeitet werden. Schon jetzt nutzen Menschen diese Möglichkeit. "Der Klimawandel ist natürlich das beherrschende Thema", sagt Wörner. Vielen geht es aber auch um andere Dinge: Geschlechtergerechtigkeit oder Wohnungsnot zum Beispiel.
Auf der einen Seite löst die Veranstaltung viel Begeisterung aus - und hat schon jetzt prominente Unterstützer: Joko Winterscheidt, Andreas Bourani oder Lena Meyer-Landrut zum Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es etliche Kritiker - und die kommen nicht alle aus der konservativen Ecke. So distanzierte sich zum Beispiel die "Fridays for Future"-Ortsgruppe Frankfurt von der Veranstaltung. Warum? Der Eintrittspreis sei undemokratisch. Weil sich nicht jeder ein 30-Euro-Ticket leisten könne.
Andere Menschen finden die Rolle, die Einhorn spielt, merkwürdig. Sie hinterfragen, ob das Unternehmen die Veranstaltung letztlich nicht nur nutze, um für sich zu werben. Wörner sagt dazu: "Wer uns kennt, weiß, dass es uns nicht darum geht, Gewinn zu machen." Natürlich könne es sein, dass Menschen, die die Idee gut finden, dann auch Produkte des Unternehmens kaufen. "Aber wir wollen uns für gute Ideen einsetzen."
Und dann ist da noch ein dritter Kritikpunkt. Wer das Werbevideo sieht, könnte denken: Eine Unterschrift auf einer Online-Petition reicht aus, dann entsteht ein Gesetz, dann werden die Wünsche der "Olympioniken" umgesetzt. So wie es bei der Perioden-Steuer war - jedenfalls vermeintlich. Das ist aber ein Trugschluss. Ja, der Petitionsausschuss muss sich mit dem Anliegen befassen. Ein Gesetz entsteht daraus aber nicht. Dafür braucht es politische Mehrheiten. "Die Probleme unserer Zeit" lassen sich mit der Berliner Veranstaltung also nicht wirklich lösen. Aber sie lassen sich diskutieren.
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