Die hart errungene Einigung zwischen Union und SPD arbeitet mit vielen Fragezeichen. In ihnen steckt jede Menge Zunder für einen neuen Koalitionskrach.
Der Pokal geht an die SPD. Sie hat den Koalitionspartnern CDU und CSU die Grundrente abgetrotzt. Die Union versucht zwar, in der Stunde der Niederlage so zu tun, als habe sie ihre wichtigste Bedingung einer Bedürftigkeitsprüfung behauptet. Im Lichte betrachtet hat sie es aber nicht. Die geplante Prüfung, die jetzt Bedarfsprüfung genannt wird, scheitert schlichtweg an der Praxis. Und die geplante Gegenfinanzierung des Rentenzuschlags ist pures magisches Denken. Sich etwas ganz fest zu wünschen, sorgt eben nicht dafür, dass schlussendlich das nötige Geld in der Staatskasse landet. Der Kompromiss zur Grundrente fällt durch den Realitätstest.
Grundrenten-Kompromiss wird für Ärger sorgen
Genau das wird noch für Ärger sorgen, wenn es im Bundestag an die Umsetzung des Koalitionskompromisses in Gesetzestexte geht. Weil bis dahin noch einige Zeit ins Land gehen wird, bewahrt die Einigung die Sozialdemokraten wahrscheinlich davor, das Regierungsbündnis platzen zu lassen und aus dem Fenster zu springen. Außerdem hilft die Grundrente Finanzminister Olaf Scholz in seinem Kampf um die Parteispitze. Sie ist ein Pfund, das bei den Mitgliedern Eindruck machen kann. CDU und CSU wollten eine Grundrente nur für 150.000 Begünstigte. Die SPD hat jetzt das Zehnfache erreicht.
Scholz hält nichts davon, sich fluchtartig aus der Verantwortung zu stehlen und auf die Erneuerung in der Opposition zu hoffen. Weil sich die Union ebenfalls bis zum bitteren Ende von Schwarz-Rot im Jahr 2021 schleppen will, saßen die Genossen am längeren Hebel und boxten ihr Herzensprojekt durch. Sie konnten mit dem vorzeitigen Aus drohen. Dieser Verhandlungsvorteil überwog den Nachteil, dass der Koalitionsvertrag eine echte Bedürftigkeitsprüfung vorsieht.
Finanztransaktionssteuer als geplante Geldquelle ist fast eine Wählertäuschung
Die offenen Punkte sind nun das Problem der Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder. Erstere hat den Nachteil, dass sie schwer angeschlagen ist im internen Machtkampf bei den Christdemokraten. Sie wird der Jungen Union und dem Wirtschaftsflügel erklären müssen, wie das Finanzamt den Bedarf prüfen soll von Rentnern, die keine Steuererklärung machen. Oder dass nach dem Stand der Dinge nicht angefragt werden soll, wie viel Geld künftige Bezieher der Grundrente auf der hohen Kante haben. Oder dass Dividenden nicht berücksichtigt werden können, weil die Banken die darauf fällige Abgeltungssteuer abführen und das den Finanzämtern anonym melden. Oder dass selbst genutzte Wohnungen und Häuser nirgendwo in einer Steuererklärung auftauchen, so lange sie keine Mieteinnahmen bringen.
Die sogenannte Finanztransaktionssteuer als geplante Geldquelle zu bestimmen, kommt einer Wählertäuschung nahe. Eigentlich sollte die Steuer auf den Handel mit Wertpapieren nach der Finanzkrise 2008/2009 eingeführt werden. Seitdem wird hierzulande darüber geredet. Die Union will die Steuer nur mit anderen europäischen Ländern einführen, um die Finanzindustrie nicht einseitig zu belasten. Dass die dafür nötigen neun EU-Länder zusammenkommen, steht aber in den Sternen. Scholz’ Vorgänger Wolfgang Schäuble kann ein Lied davon singen. Der Chef des Unions-Wirtschaftsflügels, Christian von Stetten, hat recht, wenn er das Dilemma folgendermaßen zusammenfasst. „Wir müssen jetzt den Koalitionsvertrag brechen, um den Koalitionsvertrag zu retten.“
Weil Zank darüber vorprogrammiert ist, könnte es dazu kommen, dass sowohl die Union als auch die SPD am Ende vom Wähler nicht für die Grundrente belohnt werden. Wir müssen aufpassen, dass bei den Menschen nicht das Gefühl ankommt, Krümelchen zu bekommen, warnte die CDU-Vorsitzende. Genau das aber droht zu passieren.
Die Diskussion ist geschlossen.
Die Anpassung der Alterssicherung an den Wandel von Arbeitswelt und Bevölkerungsstruktur duldet keinen weiteren Aufschub.
Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem!
Lesen lohnt sich:
https://www.westendverlag.de/kommentare/belogen-und-betrogen/
Ja, danke für den Hinweis. Steht jetzt uf meinem Bücherzettel.
Altersarmut ist ein Thema.
Ebenso die Anpassung des Systems der Alterssicherung an Veränderungen der Bevölkerung und der Arbeitswelt.
Die Antwort darauf wird auf Dauer mehr erfordern als ein bloßes Herumdoktern am System.
Warum holt man nicht den Vorschlag von Kurt Biedenkopf aus der Schublade, der eine steuerfinanzierte Bürgerrente vorsieht?
Der kommt mit wenig Bürokratie aus.
Schon wird die Rente mit rund einem Drittel aus dem Bundeshaushalt finanziert.
Wenn sich doch endlich mal irgendeiner der geschätzten Kommentatoren an das Hauptproblem der deutschen Rentenflickschusterei wagen würde, um folgende Frage zu beantworten:
Warum schafft die deutsche Politik nicht, was angefangen bei unseren nördlichen über die westlichen bis zu den südlichen Nachbarn deutlich besser geregelt ist: Eine vernünftige Rentenpolitik unter Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen ohne Deckelung der Beiträge für hohe Einkommen, mit einer ordentlichen Mindestrente für alle und eine Begrenzung der Bezüge oben, wie z. B. in der Schweiz?
Und endlich eine Beseitigung unglaublicher Privilegien, wie beispielsweise, den Anspruch nach 5jähriger Beamtentätigkeit - egal welcher Art - auf eine Mindestpension in der Nähe von 1600 Euro. So im gestrigen Tagesgespräch des BR bestätigt.
Und endlich eine rigorose Beseitigung dieser unerträglichen faktischen Subventioniererei des riesigen deutschen Niedriglohnsektors, worunter letztlich zu einem guten Teile auch der gestrige Kompromiss einzuordnen ist.
"... könnte es dazu kommen, dass sowohl die Union als auch die SPD am Ende vom Wähler nicht für die Grundrente belohnt werden."
Herr Grimm, wenn Sie eine Belohnung für die Akteure erwarteten, dann wäre die Überschrift "Den Realitätstest wird die Grundrente nicht bestehen" falsch gewählt.
Die "Grundrente" ist keine Grundrente in dem Sinne, dass sie jeder Rentenberechtigte als Grundbetrag bekommt. Im Gegenteil, aus dem Gesamtbestand wird willkürlich (Lindner: "Willkürrente") eine Teilmenge ausgewählt, für die sich das Verhältnis von Rentenhöhe zu geleisteten Beiträgen verbessern soll. Die Besserstellung dieser angesprochenen Teilmenge wird zulasten derjenigen gehen, deren Renten sich durch diese "Grundrente" nicht erhöhen, zumal hinsichtlich der Entwicklung des Rententopfes die Prognose nicht rosig ist.
Es ist somit festzustellen, dass ohne Not gegen das in der Rentenversicherung gültige Äquivalenzprinzip verstoßen wird. Auch das Dresdner Ifo-Institut kritisiert, dass sich damit die Höhe der Renten nicht mehr an den zuvor gezahlten Beiträge orientiere.
Nein, da haben sich die Koalitionäre geeinigt. Auf eine Grundrente.
Und das ist erst einmal eine positive Nachricht. Berührt sie doch den wunden Punkt, der darin besteht, dass Arbeitnehmer mit lohnmässigen Mindeststandards, auch nach vielen Beschäftigungsjahren, keine zum Leben ausreichende Rente erwarten können.
Bisher gehen sie dann kommunale Klinken putzen, man könnte sagen betteln. Nun wird der Sachverhalt aufgegriffen.
Die offenen Punkte der Einigung bzw. deren Ausgestaltung?
Nicht eingereichte Steuerklärungen? Tauchen die vom Kommentator beschworenen Punkte nicht bereits heute auf? Denn wenn der Kleinst-Rentner, der zum Aufstocken gezwungen ist, mit seiner 500 € Rente keine Steuererklärung einreicht, ist das ja wohl in Ordnung.
Wenn er bei Aufstockung bzw. Finanzamt seine enormen Ersparnisse verheimlichen sollte, bzw. auf seine, als Kleinstrentner, gewaltigen Dividenden nicht hinweist, bis hin zu Wohneigentum bzw. Hausbesitz, ja, ist ein Tatbestand erfüllt, der längst existent ist. So what?
Die Arroganz des Hochmuts liegt darin, dass gerade beschlossen wurde, mittels einer staatlichen PKW-Schenkung von 3.000 €/PKW an Bonitäre staatliche Milliarden zu verbraten. Das scheint nicht kritikwürdig zu sein. Freiwillig, ohne Not als Geschenk an eine Industrie, die sich mittels Betrug auf mittlere zweistellige Milliardenbeträge verzockt hat.
Wobei der Bundesbürger bzw. die Arbeitnehmer die tatsächlich Betrogenen sind.
Und dagegen eine staatliche Rentenregelung zur Abwendung sehr vieler auch künftiger Armuts-Renten, die zum Leben nicht ausreichen.
Grundrente hin oder her, verehrter Kommentator. Das seit Jahrzehnten bestehende Rentenproblem ist nicht neu und selbstverständlich politisch neu zu fassen. Das hat aber mit dem Aspekt Grundrente nichts zu tun.
Die nach der letzten Wahl von so Vielen erzwungene GroKo, wie und wann auch immer, wird zu Ende gehen. Und das wird kein Makel der SPD oder CDU/CSU sein.
Kanzlerin Merkel hat vier Regierungen geführt. Davon drei mit der SPD. Irgendwann muss Schluß sein.
Es wäre unserer wehrhaften Demokratie sehr zuträglich, wenn die SPD sich nicht geschlossen bei der CDU um Aufnahme in deren Partei bemühen würde. Sondern erstens wieder ur-sozialdemokratische Themen bearbeiten würde und zweitens im Bundestag der Regierung wieder eine Opposition auf Augenhöhe begegnen würde.