Der Skandal beginnt vor 20 Jahren
Es schien ein Problem der katholischen Kirche zu sein, doch jetzt hat der Missbrauchsskandal auch die Protestanten erreicht: Am Freitag trat die Bischöfin der Nordelbischen Kirche, Maria Jepsen, zurück. Die Fälle liegen bereits über 20 Jahre zurück.
Es schien ein Problem der katholischen Kirche zu sein: Geistliche, die ihre Schützlinge sexuell belästigen, missbrauchen oder misshandeln. Der Skandal hat nun aber die Protestanten erreicht. Am Freitag trat die Bischöfin der Nordelbischen Kirche, Maria Jepsen, zurück. Sie war in den vergangenen Tagen wegen mehrerer Missbrauchsfälle vor allem aus den 80er Jahren unter Druck geraten.
In der Gemeinde Ahrensburg bei Hamburg soll ein Pastor heranwachsende Jungen und Mädchen missbraucht haben. Hinweise gab es, doch aufgearbeitet werden die Fälle erst jetzt. Aussagen von fünf Opfern liegen der Kirche vor, der Opferverein spricht von mindestens 20. Unter ihnen sollen auch Stiefsöhne des Pastors gewesen sein.
Im März dieses Jahres erreicht Jepsen ein Brief. Ermutigt von der breiten Diskussion über Missbrauch berichtet eine Frau von sexuellen Übergriffen durch einen Ahrensburger Pastor, die sie, anfangs eine 16-Jährige, in der ersten Hälfte der 80er Jahre erlebt habe. Auch andere Jugendliche sind betroffen, schreibt die Frau und nennt Namen. Jepsen wird aktiv: Eine kircheninterne Ermittlergruppe geht den Hinweisen nach, Disziplinarverfahren werden eingeleitet, die Kirche wendet sich an die Staatsanwaltschaft. Doch die Taten sind schon verjährt. Im Mai sucht die Kirche die Öffentlichkeit.
Doch Gerüchte und Hinweise hatte es schon lange vorher gegeben. 1999 informierte die Frau, die elf Jahre später an Jepsen schrieb, die damalige Stormarner Pröbstin Heide Emse. Sie sorgte für die Versetzung - angeblich auf einen reinen Schreibtischposten. Doch ein halbes Jahr lang habe der Pastor nach Zeugenaussagen im Jugendgefängnis Schleswig junge Inhaftierte betreut, sagt Kirchensprecher Thomas Kärst in Hamburg. Unterlagen, Vermerke in Personalakten soll es nicht geben. Strafanzeige erstattete Emse nicht, es wurde auch kein Disziplinarverfahren eingeleitet. 2001 ging der Pastor vorzeitig in den Ruhestand.
Im Juli werden auch Vorwürfe gegen Bischöfin Jepsen laut: Eine Zeugin schildert in einer Eidesstattlichen Erklärung, wie sie Jepsen bei einer flüchtigen Begegnung während eines Kongresses 1999 in Lübeck "sinngemäß" sagte, der Pastor habe Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Jepsen erklärt, sich an diese Situation nicht zu erinnern. Wenn aber die Worte "sexueller Missbrauch" gefallen wären oder wenn sie sie verstanden hätte, wäre sie dem mit Sicherheit nachgegangen, betont sie mehrmals. Am Freitag gibt sie auf. "Meine Glaubwürdigkeit wird angezweifelt", sagt sie in ihrer Erklärung.
Von Anschuldigungen gegen den Pastor soll auch dessen Ahrensburger Kollege gewusst haben, weil sich Opfer an ihn wendeten. Der Kollege, ebenfalls im Ruhestand, beruft sich auf die Schweigepflicht und hat gegenüber dem "Hamburger Abendblatt" Fehler eingeräumt. Gegen ihn führt die Kirche ebenfalls ein Disziplinarverfahren wegen sexueller Übergriffe auf eine damals 17-Jährige und eine 18-Jährige.
Noch sind die kirchlichen Ermittlungen nicht abgeschlossen. Aber Vermutungen, warum so lange geschwiegen wurde, werden laut. "Es gab eine Nachlässigkeit im Hören wie im Sagen", formuliert Kärst vorsichtig. Informationen seien nicht oder nur eingeschränkt weitergeben worden, statt von "Missbrauch" sei immer wieder verklausuliert von "Verfehlungen" die Rede gewesen. Der Opferverein "Missbrauch in Ahrensburg" wirft einigen dagegen Vertuschung vor.
Der Vorsitzende der Nordelbischen Kirchenleitung, Bischof Gerhard Ulrich, versichert, die Aufklärung werde vom Kirchenamt intensiv vorangetrieben. "Es wird deutlich, dass damals Hinweisen von Opfern nicht mit dem nötigen Nachdruck nachgegangen wurde. Wir sehen mit Abscheu und Scham auf das, was in Ahrensburg und an anderen Orten Menschen von Pastoren und Mitarbeitern unserer Kirche angetan worden ist."
Im Herbst sollen die Ermittlungen voraussichtlich beendet sein. dann wird das Kirchengericht gegen die beiden Pastoren verhandeln. Ihnen droht schlimmstenfalls eine Aberkennung der Ruhestandsbezüge. Der Pastor, gegen den sich die Vorwürfe hauptsächlich richten, will sich erstmal nicht äußern, erklärte sein Anwalt.
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