Die Kirche muss endlich ehrlich werden
Selbst aufrechte Katholiken quält die Gewissensfrage, ob sie austreten sollten. Die Kirche muss handeln: Es braucht mehr Respekt vor dem einzelnen Menschen.
Drinbleiben oder austreten? Selbst aufrechte Katholiken quält diese Gewissensfrage. Entsetzt sehen sie den Niedergang einer Institution, die sich als die Una Sancta, die eine heilige Kirche definiert hat. Ihre Heiligkeit ist stark angekratzt worden, seit weltweit eine ungeheuerliche Häufung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch ihre geweihten Diener ans Licht kommt.
Ebenso entsetzt verfolgen die Gläubigen, wie erbittert in ihrer Kirche Kleriker untereinander über die Schuld an diesem größten Versagen streiten – und dabei vor allem die eigene Lossprechung im Sinn haben.
So wird eine ehrliche Gewissenserforschung vertan und stattdessen erklingt in diesen Kreisen ein trotziges „Jetzt erst recht!“. Doch wem, außer dem Häuflein Eingeschworener, werden diese Kirchenfürsten imponieren? Die Basis der Kirche bröckelt immer mehr, längst ist ihre Herrlichkeit dahin. Wer soll den Worten – und seien sie noch so geistreich und milde – noch glauben, wenn die (möglichen) bösen Taten gegen die Sprecher zeugen?
Auch unbescholtene Priester stehen unter Generalverdacht
Seien wir nicht ungerecht: Es gibt überall im Land noch immer überzeugende, unbescholtene Priester. Vielleicht sind sie sogar die Mehrzahl. Aber auch sie leiden unter dem Schatten, der über ihre Kirche gefallen ist. Auch sie stehen unter Generalverdacht. Es ist Zeit, ehrlich zu werden.
Die Mär vom hochwürdigen Herrn, der kraft seiner Salbung und Segnung der moralisch zweifelhaften Schar der sündhaften Normalsterblichen enthoben ist, bricht angesichts des Missbrauchsskandals komplett zusammen.
Es sind ja nicht nur körperliche Übergriffe auf arglose Kinder geschehen, die ein Leben lang katastrophal nachwirken. Ebenso arg wirkt die geistliche Übergriffigkeit nach. Unter dem Vorwand, den Willen Gottes zu kennen, haben sich Priester der Persönlichkeit religiös empfänglicher Menschen bemächtigt und sie zu verhängnisvollen Entscheidungen gedrängt. Oder einen Schuldkomplex eingeredet.
Kirchliche Amtsträger sollten sich vor diesem Hintergrund gut überlegen, ob sie überhaupt das Recht haben, den Lebenswandel anderer Menschen zu beurteilen.
Noch immer ergeht zu oft im Namen der Kirche ein pauschaler Schuldspruch, als könne man die individuelle Situation und die persönliche Gewissensentscheidung über einen Leisten schlagen. Mehr Respekt vor dem einzelnen Menschen würde die Perspektive eines von oben herab belehrenden Klerikalismus heilsam verändern.
Die katholische Kirche muss sich glaubhaft erneuern
Die Befähigung zu einem persönlichen, gereiften Glauben wird den Weg der Kirche in die Zukunft leiten. Das Evangelium stellt unvergleichliche Trostworte zur Verfügung, sie verkündet Gott als einen vergebenden Vater, als einen barmherzigen Samariter, als einen langmütigen Gärtner, der noch ins Unfruchtbare eine Hoffnung legt.
Sollte das keine frohe Botschaft für heutige Menschen sein? Bemerkenswerterweise gibt es auch in der Gegenwart Kirchen, die die Menschen von weither anziehen. Weil dort gediegen das Evangelium gepredigt und ehrfürchtig der Gottesdienst gefeiert werden.
Sorgfalt im Umgang mit den kostbaren Gütern des Glaubens und ein Ende des Klerikalismus werden aber nicht genügen, damit die katholische Kirche sich glaubhaft erneuert. Sie kann auch nicht länger ignorieren, dass in ihr die Frauen am Ende ihrer Geduld sind.
Warum werden sie immer noch behandelt, als mangele ihnen wegen ihres Frauseins von Natur aus die Eignung zum geistlichen Amt? Ihr Drängen nach Reformen hat weniger mit emanzipatorischem Zeitgeist zu tun als mit vertiefter Erkenntnis. Traditionstreue kann in Erstarrung umschlagen. Verheißt nicht der christliche Glaube aber ein Leben in Fülle?
Die Diskussion ist geschlossen.
Austreten probieren. Man muss keine Angst haben. Man kann auch in die Kirche gehen, ohne Mitglied zu sein. Man kann auch glauben, ohne einer Kirche anzugehören. Es funktioniert. Und man braucht kein schlechtes Gewissen haben. Und wenn man Sehnsucht zurück hat, kann man auch wieder eintreten. Viele würden in der Kirche bleiben, wenn es nichts kostet. Wenn es aber etwas kostet, dann möchte ich tadelloses Verhalten. Wenn ich das nicht sehe, kann ich dennoch glauben, ohne aber dafür zu bezahlen.