Die Kutschfahrt von Merkel und Söder ist gut für Deutschland

14.07.2020

Über das Kuscheltreffen zwischen Angela Merkel und Markus Söder kann man viele Witze reißen. Es nützt aber ganz ernsthaft beiden – und unserem Land.

Wir Journalisten neigen zum Spott, das ist eine Berufskrankheit. Wie schwer muss es also Beobachtern fallen, sich zusammenzureißen bei den Bildern aus Schloss Herrenchiemsee und dem Stelldichein zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: die Schiff- und Kutschfahrt in trauter Zweisamkeit, der funkelnde Spiegelsaal, überhaupt die ganze feudale Kulisse, in welcher der zum Umfragekönig aufgestiegene Mann aus München die ungekrönte Besucherin aus Berlin umwarb. Klar lassen sich darüber alle möglichen Witzchen reißen. Doch es gilt ganz im Ernst zu konstatieren: Dieses Treffen, diese Inszenierung ist gut für Merkel, für Söder – aber zugleich für Bayern, gar für Deutschland. Denn wer es als Selbstverständlichkeit ansieht, dass die Regierungschefin der Bundesrepublik in Bayern ordentlich empfangen wird, muss ja einfach nur kurz zurückdenken.

Vor fünf Jahren wurde Angela Merkel in Bayern alles andere als ordentlich empfangen

Weniger als fünf Jahre ist es her, dass sich Angela Merkel beim CSU-Parteitag vom damaligen Parteichef Horst Seehofer auf offener Bühne 13 Minuten lang im Stehen abkanzeln lassen musste, als sei sie eine besonders unfähige Schülerin, der man die Leviten lesen müsse. Vor gerade einmal zwei Jahren schien die CSU beinahe im Wochentakt über den Bruch mit der Schwesterpartei CDU nachzudenken, schon aus Hass auf „die Alte“ (Merkel) speziell und „Berlin“ ganz generell. Markus Söder, nun großzügiger Gastgeber, tönte im bayerischen Landtagswahlkampf ziemlich kleinkariert, zu seiner Abschlussveranstaltung komme keine Kanzlerin, sondern ein Kanzler – und lud Sebastian Kurz ein.

Schifffahrt und Spiegelsaal: Merkel zu Gast bei Söder
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Foto: Peter Kneffel, dpa

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren Besuch in Bayern an der Schiffsanlegestelle Prien am Chiemsee.

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Dort warteten bereits einige Passanten. Auf deren Plakat stand: "Markus Söder Kanzlerkandidat? Ja". Der Bitte, das Plakat zu unterschreiben, kam Söder allerdings nicht nach.

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Von Prien aus fuhren Söder und Merkel gemeinsam mit einem Schiff auf die Insel Herrenchiemsee.

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Auf der Insel fand die bayerische Kabinettssitzung in der Spiegelgalerie des Neuen Schlosses statt.

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Mit einer Kutsche fuhren die beiden zum Neuen Schloss.

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Markus Söder und die Kanzlerin signalisierten auf der Kutschfahrt Einigkeit.

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Merkels Besuch in Bayern soll vor allem eines vermitteln: Harmonie.

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Hier steht das bayerische Kabinett mit Angela Merkel (Mitte) vor dem Portal des Neuen Schlosses zusammen.

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Noch ein Foto mit dem Kabinett, dann schlossen sich die Türen und die Sitzung begann.

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Offensichtlich gut gelaunt machten sich Söder und Merkel nach der Sitzung auf den Weg zur abschließenden Pressekonferenz.

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Anschließend standen Ministerpräsident Söder und Kanzlerin Merkel dann den Journalisten Frage und Antwort.

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Die Frage, ob Söder das Zeug zum Kanzler habe, beantwortete Merkel nicht. Sie sagte aber, Söder sei ein guter Ministerpräsident.

Man kann es als Beleg von Polit-Heuchelei werten, dass solche Verirrungen nun einfach weggelächelt wurden. Man kann aber auch einfach erfreut anerkennen, dass alle Beteiligten dazugelernt haben – und gleich mehrere politisch riskante Wetten aufgegangen sind.

Die größte hat Angela Merkel gewonnen: Ihre Entscheidung, einen Verzicht auf eine weitere Amtszeit früh zu erklären, hätte sie genauso früh zur „lame duck“, zur lahmen Ente, machen können. Doch weil die politischen Läufe so unberechenbar sind, wird sie zum Ende ihrer Kanzlerschaft wieder für kühles Krisenmanagement oder ihre Entschlossenheit, Europa zusammenzuhalten, gefeiert.

Ein möglicher Kanzler aus Bayern löst aktuell keine Schockwellen mehr aus

Das dürfte ihre Gegner nicht versöhnen. Aber zum Abschluss der Ära Merkel ist kein Verdruss an der Volkspartei CDU festzustellen, ganz im Gegenteil. Merkel kann auch mit Blick auf ihre eigene Partei ihrem Eintrag in die Geschichtsbücher gelassen entgegensehen – gerade im Vergleich zu politisch aus den Fugen geratenen Ländern wie Großbritannien oder Frankreich, von den USA ganz zu schweigen.

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Umgekehrt ist die neue Harmonie zwischen CDU und CSU auch gut für die Christsozialen und für Bayern. Natürlich läuft im komplexen Beziehungsgeflecht der Schwesterparteien nicht auf einmal alles gut, es wird wieder krachen, das ist auch normal. Aber die CSU hat eingesehen (befeuert durch ihr mieses Ergebnis bei der Landtagswahl), dass eine zu laute Gegnerschaft zur CDU und dem Rest der Republik sie selber schwächt.

Daraus gleich abzuleiten, dass Söder nun sogar der einzig mögliche Kanzlerkandidat für die gesamte Union sei, ist gewiss verfrüht. Aber allein der Umstand, dass die vermeintliche Angst, „vom Hofbräuhaus aus regiert zu werden“, keine Schockwellen mehr im Rest Deutschlands auslöst – und die Bürger laut Umfragen einem CSU-Mann offenbar zutrauen, im Kanzleramt nicht nur an „Bavaria First“, sondern die ganze Republik zu denken, ist positiv. Für Spott – der auch seinen Sinn und Zweck hat – ist bald wieder Zeit.

Lesen Sie dazu auch: Merkel und Söder auf Schloss Herrenchiemsee: Mit der Kutsche zum gemeinsamen Kurs

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