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Demonstrationen
16.02.2019

Die Menschen gehen wieder auf die Straße - doch bewegen Demos noch etwas?

Tausende Menschen demonstrierten für den Erhalt des Hambacher Forsts. Doch was kann man mit Protest tatsächlich bewirken?
Foto: Christophe Gateau, dpa

Hohe Mieten, der Schutz der Umwelt, der politische Umgang – viele Themen treiben immer mehr Menschen auf die Straße. Doch was können Demos wirklich bewegen?

Montagabend in Stuttgart. Punkt 18 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. "Obenbleibenobenbleiben", tönt es so gleichmäßig wie unermüdlich aus der Menge, die sich ihren Weg vorbei an Menschen mit Einkaufstüten und Feierabendnachhausehetzern bahnt. Es ist das Mantra der Unerhörten, die Dauerschleife der Widerborstigen. Oben bleiben – das rufen seit neun Jahren die Stuttgart-21-Gegner. 450 Mal schon sind sie gegen den Tiefbahnhof auf die Straße gegangen. Deutschlands umstrittenste Baustelle ist längst ein Millionengrab. Zumindest den Finger in die offene Wunde legen wollen die Protestler.

Die Eifel in einer kalten Oktobernacht. Die Demonstranten rennen über die Autobahn, vorbei an Hundertschaften und Wasserwerfern der Polizei. Es geht einen steilen Hang hinunter. Zweitausend weiß gekleidete Menschen setzen sich dann, johlend wie ein Schwarm Möwen, auf die Gleise des Stromkonzerns RWE, die den Braunkohle-Tagebau Hambach mit Kraftwerken verbinden. Unterdessen liefern sich Mitstreiter einen regelrechten Kampf mit der Staatsmacht um besetzte Baumhäuser im Forst. Bis in die New York Times schafft es der Aufstand der Umweltschützer.

50.000 demonstrieren in München gegen "eine Politik der Angst"

Ein Herbsttag in München, es regnet in Strömen. Ein Protestzug schiebt sich durch die Landeshauptstadt. Trachtler sind dabei, Nonnen, viele, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Der Königsplatz gleicht einem Menschenmeer. Die Organisatoren sprechen von 50.000 Demonstranten, die Polizei sagt, es sind 25.000 – am Ende ist die genaue Zahl egal, denn klar ist: Es sind viele. "Ausgehetzt: Gemeinsam gegen eine Politik der Angst", heißt ihr Motto. Sie demonstrieren gegen die zur Pöbelei verkommene Sprache von Politikern wie Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt. Für den Soundtrack dieses Tages sorgt die Band "Dreiviertelblut". "Es regnet und es wird kalt, i spür’, wie d’Welt auseinanderfallt", heißt es in ihrem Song "Mia san ned nur mia".

Freitagvormittag auf dem Augsburger Rathausplatz. Trillerpfeifen schrillen. 1500 Schüler drängen sich zusammen. "Taten statt Worte", fordern sie – und zwar laut. Dass sie gerade in der Schule sitzen müssten und ihnen im schlimmsten Fall ein Verweis droht? Egal! In ganz Bayern schwänzen Kinder und Jugendliche den Unterricht, um für Klimaschutz zu demonstrieren. "Es gibt keinen Plan B für unsere Welt und deshalb stehen wir hier", ruft Veranstalter Flo ins Mikro. Motiviert werden die Teilnehmer von der 16-jährigen schwedischen Schülerin Greta. Sie gilt als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation, seit sie den ganz Großen bei der Weltklimakonferenz trotzig entgegentrat: "Niemand ist zu klein, um den Unterschied zu machen."

Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg kämpft für den Klimaschutz. Auch viele deutsche Schüler nehmen sie zum Vorbild.
Foto: Steffen Trumpf, dpa

Was steckt hinter der Aufmüpfigkeit bei Demonstrationen?

Vier Orte, vier Anliegen – und doch stehen sie für einen gesellschaftlichen Wesenszug, den man den Deutschen lange abgesprochen hat: Politische Einmischung durch Ungehorsam und Widerstand. England hat seine Sozialrebellen, in Frankreich fackelt das Volk schon mal Barrikaden ab. Und in Deutschland? Da schienen die wilden Jahre vorbei. Die Deutschen, so das gängige Vorurteil, retten lieber erst mal sich selbst, als gleich die ganze Welt in Angriff zu nehmen. Protestfaul, lautete die Diagnose. Ausgelöst durch lang anhaltenden und damit irgendwie auch lähmenden Wohlstand. Doch inzwischen munkelt selbst Finanzminister Olaf Scholz über die zunehmende Renitenz und den Trend zur Konfrontation: "Es gibt auch in Deutschland ein nicht zu unterschätzendes Gelbwesten-Potenzial", sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende kürzlich in einem Interview und warnte: "Solche Entwicklungen sollte niemand ignorieren." Gibt es eine Renaissance der Demo?

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Schon im Jahr 2013 prognostizierte der Sozialwissenschaftler Franz Walter: "Spätestens zwischen 2015 und 2035 werden sich hunderttausende hoch motivierter und rüstiger Rentner mit dem gesamten Rüstzeug der in den Jugendjahren reichlich gesammelten Demonstrationserfahrungen in den öffentlich vorgetragenen Widerspruch begeben." Das Altern der Republik werde also keineswegs zu Gleichgültigkeit in den öffentlichen Angelegenheiten führen. Walter sollte recht behalten. Omas gegen Rechts, Unteilbar, Ausgehetzt, Pulse of Europe, Pegida, Wir sind Chemnitz. Gegen Stromtrassen, für bessere Bildung, gegen Feinstaub. Allein in Berlin, der deutschen Protesthauptstadt, sind Jahr für Jahr um die 5000 Kundgebungen angemeldet – das sind im Schnitt mehr als 13 pro Tag. Sogar die früher als unpolitisch geltende Schlagersängerin Helene Fischer schloss sich dem Anti-Rechts-Slogan "Wir sind mehr" an. Der Politik, so scheint es, will man die alleinige Deutungshoheit nicht mehr überlassen. Misstrauensgesellschaft nennt die Wissenschaft das, was sich in der Meuterei der Masse entlädt.

Protest ist laut Philipp Gassert ein Signal für Krisen

"Protest ist immer ein Indikator von Krisen in der Gesellschaft. Er macht auf Defizite der gesellschaftlichen Debatte, auf Probleme und Fragen, die uns alle beschäftigen, aufmerksam", sagt Philipp Gassert. "Er ist eine Notbremse." Der Historiker und Protestforscher von der Universität Mannheim hat mit dem Buch "Bewegte Gesellschaft" die erste umfassende Untersuchung der deutschen Protestkultur seit 1945 ausgearbeitet. Erst wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass ihre Belange von den politischen Repräsentanten nicht genügend beachtet würden, gingen sie auf die Straße. "Darin sehe ich auch die wichtigste Funktion von Protest."

Wenn die Deutschen schon mal demonstrieren, dann meist bei den ganz großen Themen, etwa beim Anti-Braunkohleprotest im Hambacher Forst für die Zukunft des Planeten. Oder es sind Dinge vor der Haustür, Bauvorhaben oder Mieten. In Frankfurt am Main hieß es bei einer Demo von 5000 Leuten "Keine Profite mit der Miete" und "Miethaie zu Fischstäbchen". Sprüche wie zu Sponti-Zeiten. "Protest lebt von der radikalen Vereinfachung, von der Zuspitzung, er braucht keinen Kompromiss", sagt Gassert. "Nur so ist er wirksam."

Die Politik kann nicht wegschauen

Doch was heißt überhaupt wirksam? Können die so angestoßenen Demonstrationen, wie Die Zeit andeutet, in eine "globale gesellschaftliche Bewegung" münden? Dass Großaktionen nicht schnellen Erfolg bedeuten, mussten Teilnehmer der Anti-Waffen-Proteste in den USA 2018 erleben. Um ihre Organisation March For Our Lives ist es ein Jahr nach der Gewalttat stiller geworden. Der Stern zitierte David Hogg, der den Schulüberfall miterlebte, mit der Meinung, Veränderungen dauerten länger, als ihnen lieb sei. Ähnliches erzählt der Jung-Aktivist Anand Chitnis, 15, aus Rockville, Maryland: "Leider ist der Schwung hinter der Bewegung March For Our Lives definitiv abgeklungen." Doch im US-Parlament sehe er einen Wandel. Und genau an diesem Punkt gibt ihm auch der Experte recht. "Wenn man Demonstrationen daran messen würde, ob sie ihr eigentliches Ziel erreicht haben, wäre das Ergebnis äußerst frustrierend", sagt Philipp Gassert. Denn das missglücke fast immer: "Die Friedensbewegung der 80er Jahre hat nicht verhindert, dass die Nato-Raketen stationiert wurden. Stuttgart 21 wird gebaut. Atomkraftwerke wurden nicht abgerissen."

Doch gerade mit dem langen Blick des Historikers sagt Gassert auch: Proteste versetzen die etablierte Politik in Bewegung. "Nehmen Sie Pegida: Natürlich haben diese Demonstranten die Politik gezwungen, über die deutsche Einwanderungspolitik nachzudenken", sagt Gassert. Zwar habe es Pegida nicht durchsetzen können, dass die Grenzen geschlossen wurden – doch die Politik musste ihre Agenda erklären und an vielen Punkten sogar korrigieren. "Und so hat auch die Friedensbewegung der 80er Jahre die Debatte über Krieg und Frieden enorm geprägt." Bundeskanzler Helmut Kohl habe damals gewusst, dass er die Aufrüstung mit Kurzstrecken- und atomaren Mittelstreckenwaffen nicht gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung durchsetzen könne. Aus der Umweltbewegung entstand sogar eine Partei. "Demonstrationen gehen nicht spurlos an der Gesellschaft und an der Politik vorüber", glaubt Gassert. Sie verändern die politische Kultur. Und das selbst bei Akteuren, die mitunter verächtlich auf Demonstranten blicken. "Die CSU ist geradezu ein Meister darin, Protestbewegungen dadurch auszubremsen, indem sie sich deren Agenda zu eigen macht", sagt der Wissenschaftler. Umarmung ist eben auch in Bayern eine bewährte Strategie.

Als 2018 der AfD-Parteitag in Augsburg stattfand, protestierten zahlreiche Menschen.
Foto: Ulrich Wagner

Welchen Einfluss haben soziale Medien?

Aussterben werden Proteste daher auch in Zukunft nicht – sie werden mal stärker sein und mal schwächer. Doch sie sind stets mehr als nur die sporadische Hitzewallung eines Teiles der Bevölkerung. "Protest hat seine Konjunkturen", sagt Historiker Philipp Gassert. "Straßendemonstrationen gibt es seit hunderten Jahren." Und doch gibt es da etwas, das heute anders ist. Die Demonstranten haben ein Werkzeug, das frühere Generationen nicht hatten: das Internet und die sozialen Medien. "Natürlich haben die sozialen Medien vieles verändert: Demos lassen sich sehr schnell organisieren, die Geschwindigkeit hat zugenommen. Früher gab es Telefonketten, heute WhatsApp", sagt Gassert. Aber ist es nicht auch so, dass das Internet zum Straßenfeger mutieren kann? Dass es eben reicht, einen Hashtag zu setzen oder ein "Je sui Charlie"-Banner über das Facebook-Profilbild zu legen? Dass die virtuelle Wut so viel Energie aufsaugt, dass für echten Protest schlicht keine Kraft mehr vorhanden ist? Nein, sagen Experten. Das Netz wirke eher wie ein Beschleuniger, um die Massen zu mobilisieren. Denn wenn Unzufriedene über die Verständigung im Netz erkennen, dass es genügend Gleichgesinnte gibt, dann sinkt auch die Schwelle, im wahren Leben zu sagen: Ich gehe mit meinem Anliegen vor die Tür, ich bin Teil einer Gruppe – das schafft Identität, dient der kollektiven Selbstvergewisserung der gemeinsamen Grundwerte.

Ein Ersatz für reale Demonstrationen können soziale Medien daher nicht sein. "Wenn Menschen trotz schlechten Wetters, trotz Gegendemonstranten, trotz drohender Polizisten auf die Straße gehen, steigert das die Überzeugungskraft", sagt Gassert. Die Gesellschaft erkenne diesen körperlichen Einsatz und den Mut zum Risiko an. Protest braucht die Inszenierung, die Masse, die Symbole. Aber auch für die Demonstranten selbst sei das Gemeinschaftserlebnis wichtig, es motiviert und stärkt und verbindet. Hinzu kommt: Große Demonstrationszüge ziehen Kameras fast magisch an, die Botschaft wird medial gestreut und erzielt maximale Reichweite. Der britische Historiker Timothy Garton Ash sagte kürzlich in Berlin, als er die Ursachen der Krise liberaler Demokratien analysierte: "Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit."

Wer geht eigentlich auf die Straße?

Ohne Protest, so scheint es, keine Demokratie. Aber macht das den Protest auch automatisch demokratisch? Wer ist es, der da auf die Straße geht, der ein Mehr an Aufmerksamkeit einfordert? Es sind nicht die Marginalisierten, die Schwächsten, die Opfer, die Arbeitslosen, die ihre Interessen auch einmal mit robuster Ansprache in der Arena der gesellschaftlichen Auseinandersetzung verteidigen. Protest ist eine Form der politischen Kommunikation und es ist das Bildungsbürgertum, das Netzwerke knüpfen kann, selbstbewusst in Kameras und Mikrofone spricht und weiß, wie man ein Bündnis auf die Beine stellt. Die Erklärung ist beinahe banal: Wer schon als Kind gelernt hat, mit seinem Tun Dinge zu verändern, wird seine Interessen hartnäckiger verfolgen als jener, dessen Leben von Scheitern und Brüchen bestimmt ist. "Allein deshalb tummeln sich etliche Mittelschichtszugehörigkeiten mit akademischen Zertifikaten in Protestgruppen, aber kaum Personen aus dem sogenannten Prekariat", erklärt Soziologe Franz Walter. Die Deutung, dass Demonstrationen ein Kampf von "denen da unten" gegen "die da oben" sind, ist also gewagt. Eher wird die politische Teilhabe noch stärker von Menschen genutzt, die ohnehin schon Einfluss haben.

Junge Leute marschieren durch die Augsburger Innenstadt, um gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu demonstrieren.
Foto: Bernd Hohlen

Es ist nicht die einzige Einschränkung: Protest braucht nicht nur Mut und Selbstbewusstsein. "Die Voraussetzung schlechthin für Aktivität und Protest ist Zeit", analysiert Franz Walter. "Insofern findet man in der Trägergruppe des Protests auffällig viele Hausmänner, Teilzeitangestellte, Freiberufler, Schüler, Pastoren, Lehrer und – ganz besonders Vorruheständler, Rentner und Pensionäre." Idealerweise zieht der Partner am selben Strang. "Ansonsten, so zeigt die Geschichte auch von allerlei Bürgerinitiativen, können Ehen und Beziehungen erheblich leiden, gar daran zerbrechen", so Walter. Gründen sich Familien, kommen Kinder zur Welt oder stehen Karriereschritte an, ebbt die Bereitschaft zum Protest entsprechend ab. Die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen ist deshalb in den Demonstrationszügen im Durchschnitt am geringsten vertreten. Dafür ist die Gruppe der Rentner stark angewachsen. Sie ist es auch, die mit dem Bewusstsein aufgewachsen ist, dass Rebellion zu einem selbstbewussten Bürgertum gehört. Anders als die Vorgänger-Generation, die im autoritären System des Dritten Reiches sozialisiert wurde.

Gewalt lehnen die Deutschen ab

Dass dieser Befund erstaunlich ist, weiß auch der Historiker Philipp Gassert. Denn nach den großen deutschen Revolutionsbewegungen sei das deutsche Bürgertum über Jahrhunderte nicht mehr auf die Straße gegangen. Der öffentliche Protest galt als das Mittel von Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Arbeiterschaft. Noch bei der 68er-Bewegung war der Anteil der bürgerlichen Mitte überschaubar. "Geändert hat das erst die Friedensbewegung in den 80er Jahren", sagt Gassert. Auf einmal marschierten Kirchenvertreter mit, die Landbevölkerung, ältere Menschen. "Das hat für eine wachsende Verbürgerlichung des Protestes gesorgt." An einer Demonstration teilzunehmen, sei nicht mehr unerhört gewesen – im Gegenteil: Protest gilt als Ausweis einer selbstbewussten Klasse, die sich von der Politik nichts gefallen lässt.

Doch eine rote Linie wird in Deutschland – anders als etwa in Frankreich – gerade aufgrund dieser Entwicklung ganz strikt gezogen: Gewalt ist verpönt, wer Steine fliegen lässt, verabschiedet sich vom Boden des gesellschaftlich Anerkannten und Akzeptierten. "Ausschreitungen bringen das Anliegen der Demonstranten sofort in Misskredit", sagt Philipp Gassert. "Damit ist die gute Sache erledigt."

Welche Menschen auf die Straße gehen, lesen Sie hier: Protestkultur: Wer demonstriert hier – und warum?

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