Die SPD rückt verzagt nach links
Die SPD will mit einem Beschluss ihr Hartz-IV-Trauma endgültig abstreifen. Doch teure Sozialreformen könnten arbeitenden Anhänger erst recht verprellen.
Dass aus einem verzagten Arsch kein fröhlicher Furz kommt, wusste schon Reformator Luther. Bei der SPD von heute bestätigt sich das. Wie soll aus einer völlig verängstigten, verstörten und traumatisierten Partei eine optimistische, zukunftsgewandte Programmatik kommen? Mit einem deutlichen Linksruck und der klaren Abkehr von den Sozialreformen des letzten SPD-Kanzlers Gerhard Schröder wollen die Genossen die Gunst der Wähler zurückgewinnen, die sich in Scharen abgewandt haben. Mehr Mindestlohn, mehr Rente für Geringverdiener, mehr Geld für Kinder aus armen Familien, dafür weniger Druck auf Arbeitslose, die es bei der Jobsuche an Initiative fehlen lassen. Fehlen lassen es auch die Sozialdemokraten – am Nachweis der Finanzierbarkeit all der Wohltaten. Ausgerechnet jetzt, wo SPD-Finanzminister Olaf Scholz ein 25-Milliarden-Euro-Haushaltsloch erklären muss.
Manche der kostspieligen Ideen zur Reform des Sozialstaats stammen aus der SPD-Mottenkiste, andere sind noch unausgegoren. Zusammengerührt hat das Konzept die wackelnde Vorsitzende Andrea Nahles, offenbar unter dem Eindruck der eigenen Furcht. Die Panik vor dem endgültigen Absturz in die Bedeutungslosigkeit ist verständlich angesichts unterirdischer Umfragewerte. Schließlich steht die Europawahl vor der Tür und auch beim Blick auf die vier Landtagswahlen in diesem Jahr ist den Genossen bange.
Die Versprechen der Sozialdemokratie
Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das Reformpapier, über das die SPD-Spitze am Sonntag einstimmig angenommen hat, atmet den Geist der Verzagtheit. Ganz offensichtlich soll es Menschen ansprechen, die der Überzeugung sind, dass die Zukunft schrecklich wird, dass Digitalisierung und Globalisierung unsere Arbeitsplätze hinwegfegen werden, allenfalls Billigjobs zurücklässt. Ihnen verspricht die Sozialdemokratie: Wählt uns, und euer unausweichlicher Absturz wird wenigstens gut abgefedert.
Es wäre indes ein großer Fehler, würde die SPD von ihrer eigenen Verfasstheit auf die Stimmung der großen Mehrheit der Bundesbürger schließen. So viele Menschen wie nie stehen in Lohn und Brot, allenthalben wird über Fachkräftemangel diskutiert. Digitalisierung und Globalisierung werden die Arbeit zwar grundlegend wandeln, ausgehen wird sie uns wohl noch lange nicht. Und ausgerechnet jetzt legt die SPD den Schwerpunkt darauf, Nichtarbeit möglichst erträglich zu gestalten? Es muss doch darum gehen, möglichst viele Menschen in möglichst gute, einträgliche Arbeit zu bringen.
Die SPD ist traditionell die Partei derer, die arbeiten, die Leistung bringen. Wer arbeitet, soll mehr Geld zum Leben zur Verfügung haben als jene, die ausschließlich von Transferleistungen leben. Schröders Hartz-IV-Reformen haben das Prinzip etabliert, dass es besser ist, dass Menschen auch weniger attraktive Jobs annehmen, als dauerhaft auf staatliche Zuwendung angewiesen zu sein. Das bringt Härten mit sich. Es ist deshalb ja gar nicht falsch, darüber zu diskutieren, wo die Hartz-IV-Reformen ihrerseits Reformbedarf aufweisen.
Linksruck: Die arbeitende Bevölkerung denkt anders
Nun verlangt die SPD zwar nicht das bedingungslose Grundeinkommen, von dem viele im linken Lager träumen, sie bewegt sich aber in diese Richtung. Wenn etwa Sanktionen abgebaut werden sollen, droht das bewährte Prinzip des Förderns und Forderns aufzuweichen. Wer aber Leistungen in Anspruch nehmen will, für die andere von früh bis spät hart arbeiten, dem ist zuzumuten, seine Termine im Jobcenter auch wahrzunehmen oder Fortbildungen zu besuchen. Hier, das haben wohl führende Sozialdemokraten nicht verstanden, geht es um das Gerechtigkeitsempfinden großer Teile der Erwerbsbevölkerung.
Im Spannungsfeld zwischen Fachkräftemangel und Zuwanderung, Digitalisierung und Globalisierung wünschen sich die allermeisten Bürger mitnichten noch mehr Umverteilung. Sondern endlich einmal eine fühlbare Entlastung ihrer Einkommen von Steuern und Abgaben. Mit einer pessimistischen Politik, die auf der Angst vor schlechten Zeiten beruht und eigene Erfolge kleinredet, wird es die SPD schwer haben, zurück in die Erfolgsspur zu finden.
Die Diskussion ist geschlossen.
"So viele Menschen wie nie stehen in Lohn und Brot, allenthalben wird über Fachkräftemangel diskutiert."
Dass Millionen für einen Lohn arbeiten, der kaum für Brot und Miete reicht, stört den sicher ordentlich bezahlten und ziemlich realitätsfern argumentierenden Kommentator nicht. Genauso wenig wie das Gejaule nach einer Bedürftigkeitsprüfung aus der rechten neoliberalen Unions- und FDP-Ecke wenn es um eine steuerfinanzierte Aufstockung von Hungerrenten für Menschen, zum großen Teil Frauen geht, die jahrzehntelang im Niedriglohnbereich gearbeitet und in die Rentenkasse zahlten. Sehr moderat sind die Kommentare der deutschen Rechtspresse, wenn es um wettbewerbsverzerrende staatliche Subvention von Billiglöhnen für sog. Aufstocker geht. "Ich zahle Ihnen 6,20 Euro. Den Rest holen Sie sich bei Vater Staat". So oder ähnlich klang es bei Einstellungsgesprächen. Von einer "Bedürftigkeitsprüfung" bei solchen Unternehmern war nie etwas zu hören. Die Aufstocker wurden übrigens auch nach Einführung des mit vielen Tricks häufig unterlaufenen Mindestlohnes kaum weniger.
Ein "Gemeinwesen", in dem der Staat tatenlos zusieht, wie der eine 4200 Euro Altersbezüge tagtäglich einstreicht und der andere Flaschen sammelt, verdient diesen Namen nicht und zerbricht völlig zu recht.
Deutschland hat ein gewaltiges Gerechtigkeitsproblem. Endlich eine massive Diskussion über den Wert von Arbeit - aus welchen Gründen auch immer - angestoßen zu haben, ist das Verdienst der SPD.
>> Dass Millionen für einen Lohn arbeiten, der kaum für Brot und Miete reicht ... <<
Das liegt weniger am Lohn und schon gar nicht an den Lebensmittelpreisen, sondern an stark steigender Wohnungsnachfrage und damit entsprechend steigenden Mieten. Wer ohne Obergrenze Leute ins Land lässt, muss eben auch ohne Obergrenze Wohnungen bauen - mach mal SPD!
https://www.t-online.de/leben/familie/id_85144750/bevoelkerungszahl-in-deutschland-wohl-auf-neuem-hoechststand.html
>> Ende 2018 lebten in Deutschland nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes 83 Millionen Menschen. Das sei ein Höchststand seit der Wiedervereinigung, der trotz eines Geburtendefizits durch Zuwanderung erreicht worden sei. Ende 2017 lag die Bevölkerungszahl bei 82,8 Millionen Menschen. <<
Und wieder 200.000 mehr...
Herr PETER P.
Es wäre schon viel gewonnen, würde sich Bayerns rechte Regierung an die eigene Verfassung, insbesondere an Art. 161 Abs. 2
halten:
"Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen."
Im Übrigen: Gibt es für Sie eigentlich ein Problem, an dem nicht die Flüchtlinge schuld sind?
Wenn erhöhte Bodenwerte weggesteuert werden, müssen auch verminderte Bodenwerte steuerlich ermäßigend wirken. Zu schwierig?
Und nochmals: Wer ohne Obergrenze Leute ins Land lässt, muss eben auch ohne Obergrenze Wohnungen bauen und nicht irgendwelche dämlichen Bienen-Volksbegehren veranstalten.
Und die Asylbewerber sind garantiert nicht daran schuld - unterstellen Sie mir das nicht; diese Menschen sind schlau und kommen gezielt nach Deutschland - die schätzen ein sehr gutes Sozialsystem, über das in rotgrünen Kreisen ständig gemeckert wird.
Es gibt verschiedene Konzepte von Gerechtigkeit.
Vor allem Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit, aber etwa auch Chancengerechtigkeit.
Was gerecht ist, drüber gibt es demnach sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Ein weiteres kommt hinzu: Politikansätze, die nur auf Gerechtigkeit oder nur auf Wachstum setzen, sind einseitig.
Das wusste übrigens auch der letzte Kanzler der SPD.
Gerhard Schröder stand deshalb für Innovation und (!) Gerechtigkeit.
Damit bewegte er sich auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft.
Sie versucht, wirtschaftliche Leistungskraft mit sozialem Ausgleich zu verbinden.
Volksparteien sollten in der Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik auf zwei Beinen stehen!
"Ein weiteres kommt hinzu: Politikansätze, die nur auf Gerechtigkeit oder nur auf Wachstum setzen, sind einseitig.
Das wusste übrigens auch der letzte Kanzler der SPD."
Was den Wachstumsfetischismus betrifft stimme ich Ihnen zu. Mit Gerechtigkeit hatte Putins Gasableser nicht so viel am Hut.
Sollte man mal arbeitslos werden beispielsweise weil das Unternehmen pleite geht oder sich nach Osten bewegt weil dort die Lohnkosten niedriger sind finde ich es gut wenn ich dann länger nach einem neuen passenden Arbeitsplatz suchen darf. Nach harten stressigen Jahren die schlecht bezahlt sein können kann ich jeden Arbeitnehmer verstehen der sich auch mal etwas bei der Jobsuche Zeit lassen will. Wenn einem dann das Jobcenter sofort Druck macht weil man so schnell wie möglich wieder in Arbeit sein soll damit die Statistik für die CSU stimmt finde ich es ebenfalls gut wenn man diese Sanktionen entschärft. Stattdessen plädiere ich für bessere Kontrollen der Unternehmer was derern Steuerbezahlungen betrifft. Hier soll es ja nach letzten Berichten nicht zum besten bestellt sein. Immer auf die Arbeitnehmer eindreschen und ihnen Unmoral vorzuwerfen finde ich schlecht. Die ganz großen Schäden werden und wurden von Banken , Politikern und Unternehmern gemacht. Auch von Reichen die Steuerhinterziehung begehen. Die Strenge des Staates darf sich auch mal gerechtigkeitshalber auf die Reichen und die Unternehmer konzentrieren. Da lässt sich sowieso mehr für den Staat holen.Ein guter Arbeitgeber der gut bezahlt wird immer seine Arbeitskräfte finden. Er darf sie sich auch gerne selber anwerben. Ein guter Job ist alle mal besser als mies bezahltes Hilfsgeld vom Staat.
Gerechtigkeitslücken soll man schließen, an welcher Stelle sie sich auch immer auftun. Der Kommentar befasst sich aber speziell mit der Sozialpolitik der SPD, und da stellt sich schon die Frage, was die Triebfeder des Handelns ist. Wenn ich mich beispielsweise an die Mütterrente erinnere, so war es die SPD, die verhinderte dass eine Gerechtigkeitslücke vollständig geschlossen wurde, d. h. Müttern von vor 1992 geborenen Kindern werden nach wie vor geringere Erziehungszeiten in der Rentenversicherung angerechnet.
Zwar bin ich mir nicht sicher, ob meine Enkelkinder die Einleitung in einem Schulaufsatz zitieren sollten, ich jedenfalls habe sie gerne gelesen und stimme dem Kommentator insgesamt zu.