Die Ukraine ruft Merkel zu Hilfe
Die Kanzlerin soll im sich zuspitzenden Konflikt mit Russland eine Vermittlerrolle übernehmen. Präsident Poroschenko fordert sogar deutsche Kriegsschiffe.
Die erste Reaktion war Panik. Angst, dass die Renten nicht mehr ausbezahlt werden, dass in den Geschäften Lebensmittel fehlen, dass Väter und Söhne an die Front ziehen müssten. Kaum hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nach dem Zwischenfall nahe der Krim, wo die russische Küstenwache am Sonntag drei ukrainische Schiffe samt Besatzung festsetzte, das Kriegsrecht in seinem Land ausgerufen, klingelte bei Jewgeni Sacharow ständig das Telefon. Der Direktor der Menschenrechtsgruppe Charkiw beruhigte die Senioren mit seiner sonoren Stimme. „Die Menschen sind angespannt, aber von den Folgen des nun angewandten Gesetzes merkt man im Alltag bislang nichts“, sagt der Menschenrechtler.
Charkiw ist eine von zehn Regionen, die vom 30-tägigen Kriegsrecht betroffen ist. Der Schritt versetzt das Land in Alarmbereitschaft. Soldaten können in den Gebieten an der Grenze zu Russland und des nicht anerkannten Möchtegern-Staates Transnistrien in der Republik Moldau zwangsweise einquartiert, Fahrzeuge, Unternehmen und Wohnraum beschlagnahmt werden.
Professionalisierung der Soldaten in der Ukraine
Die Polizeiaufgaben gehen ins Militär über, das erweiterte Rechte bekommt und so auch Ausgangssperren verhängen kann. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Die sonst noch möglichen Maßnahmen wie eine eingeschränkte Pressefreiheit, Internet- und Telefonkontrollen, Demonstrationsverbote, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit oder die Umstellung von Fabrikproduktionen zu militärischen Zwecken wurden nicht in Kraft gesetzt. „Alle in der Ukraine hoffen, dass die Freiheitsrechte tatsächlich wie versprochen nicht eingeschränkt werden“, sagt Sacharow.
Die Ausrufung des Kriegsrechts sorgte bereits dafür, dass Reservisten sich bereits freiwillig für einen möglichen Einsatz melden. „Jetzt packen viele ihre Rucksäcke“, sagte Poroschenko. Martialisch drohte er Richtung Russland. „Das sind nicht die Avatare und Deserteure von 2014, das sind ausgebildete Kämpfer mit Erfahrung in der Ostukraine.“ Denn als vor vier Jahren der russisch-ukrainische Konflikt mit der Besetzung der Krim begonnen hatte, war die ukrainische Armee vollkommen marode.
Gerade die Professionalisierung der Soldaten habe Poroschenko dazu bewogen, gerade jetzt vom Kriegsrecht Gebrauch zu machen, heißt es bei Beobachtern. Davor war er selbst bei der Annexion der Krim oder während der Kämpfe in der Ostukraine zurückgeschreckt. „Poroschenko glaubt eine starke Unterstützung hinter sich, die USA, die EU“, sagt der Charkiwer Menschenrechtler Sacharow mit seiner sonoren Stimme. „Die Reaktion des Westens aber war nach dem Zwischenfall im Schwarzen Meer eine eher zurückhaltende, weil der Aktion etwas Künstliches anhaftet.“
Ukrainischer Botschafter: Es muss gehandelt werden
Das bekam nun auch Poroschenko zu spüren, als er jetzt bei der Bundesregierung um militärische Unterstützung bat: „Wir brauchen eine erhöhte Präsenz von Kriegsschiffen aus Deutschland und verbündeten Ländern im Schwarzen Meer als Botschaft der Abschreckung gegen Russland“, forderte er. Aus Berlin kam postwendend eine Absage. „Es gibt keine militärische Lösung“, stellte Kanzlerin Angela Merkel klar. Eine Lösung werde es nur im Gespräch geben, betonte Merkel. Sie werde deshalb das Thema beim G20-Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 großen Industrie- und Schwellenländer mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ansprechen. Die Ukraine mahnte Merkel, „klug zu sein“. Zugleich bekräftigte sie die Bereitschaft, mit Frankreich im sogenannten Normandie-Format weiter mit Moskau und Kiew zu sprechen. Die Erfolge seien bisher aber „sehr, sehr gering“. Merkel wird in dem hochkochenden Konflikt eine mögliche Vermittlerrolle zugesprochen. „Angela, lasst uns Angela einbeziehen!“, sagte sogar US-Präsident Donald Trump. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte, es dürfe nicht nur Floskeln geben, es müsse gehandelt werden. „Das kann nur die Kanzlerin!“
Klar ist, dass Merkel bei dem G20-Gipfel in Buenos Aires ein intensives Gespräch mit Putin führen wird und sich ebenso am Rande des Treffens mit Trump austauscht. Möglicherweise fällt ihr dabei noch eine weitere Vermittlerrolle zu: Donald Trump droht weiter mit der Absage seines mit Spannung erwarteten Treffens mit dem russischen Präsidenten Putin, das für Samstag geplant ist. Sollte es platzen, dürfte das den gesamten Gipfel massiv belasten.
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