Dürfen Kfz-Kennzeichen einfach so gescannt werden?
Im Fall der vermissten Rebecca in Berlin kam das Verfahren zum Einsatz. Wie das Scannen von Auto-Kennzeichen abläuft und was erlaubt ist.
Wer an einer vielbefahrenen Straße mal versucht Autos zu zählen, wird schnell die Übersicht verlieren. Wenn man sich jetzt eine Autobahn mit mehr als zwei Spuren pro Fahrbahn vorstellt, dann wird einem schnell klar, das ist schier unmöglich. Deswegen greift die Polizei auf sogenannte automatisierte Kennzeichenerkennungs-Anlagen (AKE) zurück.
Das Gerät scannt die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos und erfasst Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort wieder gelöscht. Zeigt das System eine Übereinstimmung mit einem von den Beamten gesuchten Kennzeichen an, überprüft ein Polizist den Fall und veranlasst gegebenenfalls die Verfolgung.
Aktuell setzte die Polizei Brandenburg das Verfahren ein. Der Schwager der vermissten Rebecca gilt als dringend tatverdächtig. An zwei Tagen im Februar, kurz nach dem Verschwinden der 15-Jährigen, unternahm der Schwager unerklärliche Fahrten auf der A12 zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Die Polizei kam durch die Auswertung von einem automatischen Kennzeichenerfassungssystem auf seine Spur.
Innenministerium: Bundespolizei dürfte Kennzeichen scannen
Doch was ist eigentlich erlaubt? Darf die Polizei einfach so die Daten sammeln? Das deutsche Innenministerium sagt: "Das BMI ist davon überzeugt, dass der Einsatz der automatisierten Kennzeichenerfassung ein wichtiges Hilfsinstrument für die Arbeit unter anderem der Bundespolizei sein kann." Dank des Bundespolizeigesetzes sei man rechtlich abgesichert. Doch noch befinde man sich im Vergabeverfahren.
Zu den rechtlichen Grundlagen und dem praktischen Einsatz von Kennzeichenlesegeräten in den Bundesländern kann das BMI keine Auskünfte geben. In einigen kommt das System zum Einsatz. Doch vor einem Monat entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass das nicht immer verfassungskonform sei.
In Bayern, Hessen und Baden-Württemberg würde gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen, heißt es in den Beschlüssen (Az. 1 BvR 2795/09 u.a.). Der Freistaat Bayern nutzt die AKE seit 2006 und betreibt nach eigenen Angaben inzwischen 22 stationäre und sechs mobile Anlagen. Demnach fahren im Monat durchschnittlich rund 8,5 Millionen Fahrzeuge vorbei.
Bayern, Hessen und Baden-Württemberg nutzen das System bereits
Die Polizei Hessen verwendet das System laut Innenministerium nur noch vereinzelt an der A3 nahe der Stadt Limburg. 2017 seien mehr als eine halbe Million Kennzeichen erfasst worden, dabei habe es 5129 Treffer und 344 Kontrollen gegeben. Die Polizei in Baden-Württemberg ließ vom Mai bis November 2017 in einem Pilotversuch immer wieder Kennzeichen erfassen, hauptsächlich um Wohnungseinbrecher aufzuspüren.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren. Es sei nicht auszuschließen, dass über längere Zeit Bewegungsprofile entstünden.
Die neuen Entscheidungen gehen darüber noch hinaus. 2008 hatte der Erste Senat angenommen, dass nur dann Grundrechte berührt sind, wenn die Daten nicht sofort gelöscht werden. Jetzt gehen die Richter davon aus, dass das immer der Fall ist - schon der Scan an sich sei freiheitsbeeinträchtigend. "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden", heißt es in einem der Beschlüsse.
Bayern muss das Polizeigesetz nachbessern
Im Einzelnen gibt es unterschiedliche Beanstandungen. Bayern etwa habe gar keine Gesetzeskompetenz, um den Abgleich unmittelbar zum Grenzschutz zu erlauben, das ist Sache des Bundes. Außerdem müssen die Kontrollen dort verpflichtend dokumentiert werden. Zur Schleierfahndung dürfen die Scans in allen drei Ländern nur mit Grenzbezug und nicht auf allen Durchgangsstraßen eingesetzt werden. Baden-Württemberg und Hessen müssen künftig die Fahndungsdaten enger eingrenzen, mit denen beim konkreten Einsatz abgeglichen wird.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte den Kennzeichen-Abgleich als wichtiges Instrument der Polizei im Kampf für mehr Sicherheit. Man werde das Gesetz nun den Vorgaben anpassen. Auch das hessische Innenministerium erklärte, die Technik werde nicht grundsätzlich infrage gestellt. Baden-Württemberg will den Beschluss gründlich und sorgfältig auswerten und "die erforderlichen rechtlichen Änderungen zu gegebener Zeit vornehmen". (AZ mit dpa)
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