Nach dem Zapfenstreich: So geht es für von der Leyen in Brüssel weiter
Ihre Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin hat Ursula von der Leyen nach einer Zitterpartie im Juli geschafft. Nun erwarten sie heikle Wochen in Brüssel.
Ihr Übergangsquartier an der Rue de la Loi 175 hat sie längst bezogen, seit Wochen schon wirbelt die gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel hinter den Kulissen. Nach dem Großen Zapfenstreich zum Abschied als Bundesverteidigungsministerin gab die CDU-Politikerin am Freitag per Tweet auch offiziell das Signal: "Ich werde nun mit aller Kraft für Europa kämpfen." Die Kraft wird sie brauchen. Es werden schwierige Wochen vor ihrem geplanten Amtsantritt am 1. November - sofern der überhaupt pünktlich klappt.
EU-Krisen: Von der Leyen muss zunächst weitgehend machtlos zusehen
Zum einen hat die 60-Jährige nun die zähe, aber außerordentlich wichtige Aufgabe, sich aus den Personalvorschlägen der EU-Staaten eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen - ein Kollegium von Kommissaren, mit dem sie der Europäische Union in den nächsten fünf Jahren neuen Schub geben will. Zum anderen hat sie im Kampf um ihre - letztlich äußerst knappe - Wahl im EU-Parlament im Juli enorme Versprechungen gemacht, vieles davon schon für die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit, etwa einen "neuen Grünen Deal" und eine Initiative für Mindestlöhne für alle Arbeitnehmer in Europa.
Das alles muss sie nun einstielen, ohne dem noch amtierenden Kommissionschef Jean-Claude Juncker politisch in die Quere zu kommen. Gleichzeitig muss sie bang und vorerst weitgehend machtlos die Krisen in der EU mit anschauen. Bringt eine Neuwahl in Italien einen feindseligen EU-Kritiker ins Amt des Ministerpräsidenten? Stärken die Wahlen in Österreich und Polen die europäische Rechte? Und: Kommt am 31. Oktober, einen Tag vor ihrem möglichen ersten Arbeitstag, der Chaos-Brexit?
Von der Leyen muss nun ihr Kollegium von Kommissaren zusammenstellen
Der Ausgang des schier endlosen Streits über den britischen EU-Austritt könnte indirekt Einfluss haben, ob von der Leyen überhaupt schon an dem Tag starten kann. Denn der britische Premier Boris Johnson will keinen Kandidaten für die neue Kommission benennen - als Zeichen der Entschlossenheit, die EU ohne Wenn und Aber am 31. Oktober zu verlassen. Nur, falls sich in London der Wind doch drehen und der Brexit in letzter Minute verschoben werden sollte, stünde Großbritannien ohne Kommissar da.
Auch andere Staaten haben bisher keinen Kandidaten am Start - oder vielmehr, keine Kandidatin, denn von der Leyen will eine zumindest zur Hälfte aus Frauen bestehende Kommission. Vorschläge fehlen aus Belgien, das nach der Parlamentswahl im Mai weiter an der Regierungsbildung puzzelt, und eben aus dem krisengeschüttelten Italien. Die Frist zur Nominierung läuft noch bis zum 26. August.
Aber selbst wenn aus allen übrigen 26 bleibenden EU-Staaten Anwärter benannt sind und von der Leyen die Aufgaben verteilt hat, wartet eine hohe Hürde: Anhörungen in den Ausschüssen des EU-Parlaments und eine Art Zeugnis für jeden einzelnen der Nominierten. Geht der Daumen der Abgeordneten runter, dürften Nachnominierungen und neue Anhörungen fällig werden. Am Ende muss nämlich das Plenum die neue Kommission insgesamt noch einmal in einer Abstimmung absegnen.
Bis die neue Kommission ihr Amt antreten kann, führt weiter Juncker
Im Parlament erwartet mancher eine ähnliche Zitterpartie wie bei der Wahl von der Leyens, die nur eine hauchdünne Mehrheit bekam. Viele Abgeordnete hätten immer noch die Faust in der Tasche, weil keiner der Spitzenkandidaten zur Europawahl Kommissionschef wurde, sagt ein Insider. Und bei manchen Parlamentariern sei die Neigung groß, die Kandidaten der EU-kritischen Quertreiber abzustrafen, etwa die Nominierten der rechten Regierungen in Ungarn oder Polen.
Deshalb sei es "extrem unwahrscheinlich", dass von der Leyen und ihre Kommission wirklich Anfang November starten könne, sagt der Kenner. Weihnachten sei als Zieldatum immer noch sehr optimistisch. Bis die neue Kommission als Ganzes bestätigt ist und ihr Amt antreten kann, führen weiter Juncker und Co. die Geschäfte. (Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa)
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