Checkpoint Charlie: Ein anderes Wort für Freiheit
Einem Vater und seinem Sohn ist vor 30 Jahren die Flucht gelungen. Diesen Moment hatte Hans Georg Schneider herbeigesehnt. Eingezwängt im Dunkel eines Kofferraums, Seite an Seite mit Sohn Christoph, am Grenzübergang zwischen Ost und West, dem Checkpoint Charlie, wagten sie die Flucht in die Freiheit. Von Martina Bachmann
Von Martina Bachmann
Berlin. Hans Georg Schneider hat diesen Moment herbeigesehnt. Tagelang, monatelang, jahrelang. Diesen Moment, der ihm die Freiheit beschert. Nur jetzt keine Geräusche machen, eingezwängt im Dunkel eines Kofferraums, Seite an Seite mit Sohn Christoph, am Grenzübergang zwischen Ost und West, dem Checkpoint Charlie. Hunde bellen. Soldaten verhandeln. Schneider drückt eine Hand auf den Mund seines kleinen Sohnes. Er bangt, er hofft. Dann endlich knallt die Autotür. Der amerikanische Fluchthelfer gibt ruckartig Gas. Er rast mit den beiden Schneiders in ein neues Leben.
30 Jahre liegt die Flucht mittlerweile zurück. Schneider feierte 2007 seinen 66. Geburtstag, Christoph ist 37. Die Zeit, in der Menschen ihr Leben aufs Spiel setzten, um aus der sozialistischen DDR in die demokratische BRD zu flüchten, scheint längst vergessen. Checkpoint Charlie, die Stelle, an der es vor drei Jahrzehnten für die Schneiders um Freiheit oder mehrere Jahre Gefängnis ging, ist ein Touristenmagnet. Schülergruppen drängeln sich dort, Besucher aus aller Welt lassen sich mit Models in Uniform ablichten. Hans Georg Schneider schaut nachdenklich aus dem Fenster des angrenzenden Museums: "Es hat mich immer wieder bewegt, dass die Mauer gefallen ist. Das ist so großartig, so unglaublich."
Damals, in den siebziger Jahren, schien diese Einheit Deutschlands undenkbar. Familie Schneider lebte in Potsdam, in einem Neubauviertel, besaß sogar ein Auto. Vater Schneider arbeitete als Oberarzt an einer Hautklinik. Eigentlich fehlte es ihnen an nichts. Doch mit dem System der DDR konnte der Mediziner nichts anfangen. Eine einzige Heuchelei und Lügerei sei das damals gewesen. Und ausgerechnet er sollte die Mitarbeiter des Krankenhauses auf dieses System trimmen. "Schule der sozialistischen Arbeit" habe man das damals genannt, erzählt Schneider. Doch er sei wenig überzeugend gewesen. Nach seinen Vorträgen hätten Kollegen zu ihm gesagt: "Oberarzt, an den Mist haben Sie ja selber nicht geglaubt."
Nein, die DDR war für Schneider nicht der richtige Staat. So fängt er an zu überlegen, zu tüfteln: Wie komme ich hier raus? Der Familienvater versucht es mit gefälschten Attesten. Diese bescheinigen seiner im Westen lebenden Mutter eine derart schlechte Gesundheit, dass "mit baldigem Ableben zu rechnen ist". Doch die DDR kennt kein Mitleid: Schneider darf nicht ausreisen.
Er kundschaftet die ungarische Grenze aus. Er berät sich mit seiner Frau Ebba. Er berät sich mit Kollegen, die bereits in den Westen geflüchtet sind. Nur einfach weg, raus aus diesem Lügenstaat. Schließlich findet die Familie die Lösung. Ein Major der US-Army wird als Fluchthelfer beauftragt. 42 000 Westmark kostet die Flucht von Vater und Sohn im Kofferraum. Im Mini-Gepäck: Unterhosen, Socken und ein Fotoapparat. Ebba Schneider bleibt mit dem zweiten Sohn Steffen zunächst zurück. Mehr als ein Jahr lang wird sie immer wieder von der Stasi verhört. Dann bezahlen die Schneiders 56 000 Westmark an die DDR. Danach dürfen Ebba und der zweite Sohn ausreisen.
Seit rund 29 Jahren ist die Familie nun im Westen vereint, seit 25 Jahren lebt das Ehepaar Schneider in Mönchengladbach. Obwohl sie stets gegen das DDR-System waren, fühlen sich die Schneiders doch noch immer als Ossis unter Wessis. Denn selbst so viele Jahre nach der Wiedervereinigung sagt Hans Georg Schneider: "Das wird noch mal so lange dauern, bis Deutschland zusammenkommt."
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