Im Laufe der Corona-Krise zeigen sich zunehmend alte und neue Bruchlinien im Land. Warum ist das so? Und: Braut sich da was zusammen?
Krisen, so heißt es oft, können Gesellschaften zusammenbringen, Gemeinsinn stiften. Und am Anfang der Corona-Krise mag sich mancher wieder dieser Illusion hingegeben haben, als viel von Solidarität die Rede war und von #zusammenzuhause und so weiter. Leider ist aber eher das Gegenteil der Fall: Krisen spalten, lassen mindestens Risse innerhalb von Gesellschaften deutlich hervortreten – in sozialer, wirtschaftlicher, aber auch in weltanschaulicher und diskursiver Hinsicht.
In dem Maße, in dem die Bilder aus Italien verblassten und die Fieberkurve der Fallzahlen flacher wurde, änderte sich jedenfalls auch hierzulande rasch wieder die Tonlage. Dass die drastischen Maßnahmen, welche die Politik angesichts der ungewissen Ausgangslage ergriffen hat, relativ schnell hinterfragt und diskutiert wurden, ist dabei für eine funktionierende Demokratie ebenso erfreulich normal wie überlebensnotwendig. Dass sich nun der Ton aber vernehmbar verschärft und ausgerechnet jene diese Demokratie zu verteidigen vorgeben, die mit ihr nicht viel am Aluhut haben, ist besorgniserregend.
Ein Drittel der Demonstranten sind besorgte Bürger
Eine gewisse „Staatsferne“ attestierte die Polizei den Demonstranten in Stuttgart, wo die bislang bundesweit größte Anti-Corona-Kundgebung stattfand. Der Teilnehmerkreis: ein Drittel Esoteriker und Verschwörungstheoretiker, ein Drittel Rechts- und Linksextreme sowie ein Drittel besorgte Bürger. Es ist dieser Mix, der beunruhigen muss. Denn wenn Menschen, die vielleicht schlicht Angst um ihre Existenz haben, neben Neonazis oder paranoiden Flachweltlern protestieren, schwappen die kruden Thesen über und breiten sich – wie in den sozialen Netzwerken – immer weiter Richtung heimischen Küchentisch und Mitte der Gesellschaft aus.
Davon abgesehen, dass auf den meisten Kundgebungen das Mindestabstandsgebot ignoriert und damit ausgerechnet unter Berufung auf das Grundgesetz Grundrechte anderer missachtet wurden. Überhaupt scheinen da einige die Verfassung wieder für sich entdeckt zu haben, nur: Grundrechte sind kein persönlicher Wünsch-dir-was-Katalog, sondern müssen demokratisch gegeneinander abgewogen werden. Das passiert ständig, findet Ausdruck im Gesetz und wird im Alltag auch von den meisten akzeptiert. Und liegt der Gesetzgeber falsch, so wird er von Gerichten korrigiert – wie ja auch zuletzt angesichts einiger Verordnungen geschehen.
Die Politik muss ihre Arbeit transparenter machen
Grundsätzlich funktionieren diese Demokratie und die Gewaltenteilung also, auch wenn das derzeit wieder zunehmend bestritten wird, der Ton an den Flüchtlingsherbst 2015 erinnert und Virologen gar Morddrohungen erhalten. Doch was ist zu tun? Wenn jemand an Echsenmenschen, die große Weltverschwörung oder Adolf Hitler als Lichtgestalt glaubt, so ist dem wohl nicht mehr zu helfen. Dem Rest aber muss sich Politik besser erklären, und sie muss dabei der Versuchung widerstehen, es sich zu einfach zu machen und das Geschäft der Populisten zu betreiben. Wenn ein Armin Laschet sich etwa mokiert, dass Virologen alle paar Tage ihre „Meinungen“ ändern, so hat er nicht nur Wissenschaft nicht verstanden, sondern erhöht noch das Misstrauen und die Zweifel an denen „da oben“. Er und seine Amtskollegen müssten stattdessen transparenter machen, warum was geschieht. Denn ein Teil des Unmuts rührt ja daher, dass vielen gerade vieles inkonsistent vorkommt, etwa warum Freizeitparks wieder öffnen dürfen, während Kitas noch auf Notbetrieb sind, vom Fußball ganz zu schweigen.
Ohne diese Transparenz aber werden noch mehr Menschen auf die Straßen gehen, wird die Polarisierung voranschreiten. Dabei sollte zuletzt doch eines klar geworden sein: Das Virus eindämmen, den Schaden begrenzen, das geht nur – halbwegs – gemeinsam.
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Ich glaube, daß die aktuelle Politik transparent genug ist. Sie scheint auch denen transparent zu sein die sie, ich sags mal freundlich, nicht so ganz richtig finden. Und wenn diese das dann kund tun, dann kommt sofort: die Politik muß mehr erklären. Warum geht das in manche Köpfe nicht rein, daß über 80 000 000 Deutsche nicht im Gleichklang harmonieren. Ist übrigens nicht nur in Deutschland so.
Nicht nur Politik muss sich hier besser erklären, sondern auch Medien wie etwa Ihre Zeitung haben hier den Auftrag, die Dinge sachlich
und neutral darzustellen und aufzuklären und sich nicht durch Berichte und/oder Kommentare zum Sprachrohr bestimmter
Interessensgruppen zu machen. Denn auch das trägt zum Entstehen von neuen Bruchlinien und zur teilweisen Eskalation der
Situation bei. So leicht wie Sie wohl meinen, kommen Sie hier aus der Sache nicht raus.
100% Zustimmung. Es trägt wenig zur Verständigung bei, andersdenkende mit paranoiden Flachweltlern gleichzusetzen. Autoren von Zeitungsartikeln sollten niemals glaube, sie hätten ein Monopol auf die Wahrheit.
Dass diese Krise die Gesellschaft eher spaltet als eint, hat sehr viel mit Egoismus und mangelnder Denkfähigkeit zu tun. Man kann es auch Dummheit nennen … Jetzt höre ich ihn ganz deutlich, den Aufschrei der sogenannten besorgten Bürger … Auch in ihrer Zeitung wurde sehr früh lamentiert, dass die Grundrechte auf der Strecke bleiben bla bla bla … nun, die Geister, die man rief, kriegt man jetzt nicht mehr in die Flasche. Dass Grundrechte eingeschränkt wurden, stimmt natürlich. Aber es gab auch Grund dazu. ICh meine, die Medien hätten nicht nur die Pflicht, den Finger auf Wunden zu legen, sondern zur neutralen Information, z. B. über die betreffenden Artikel im Grundgesetz und den inhalt des Infektionsschutzgesetzes, auf denen die getroffenen Maßnahmen beruhen. In den letzten Wochen hat man sich aber eher statt Information darauf beschränkt, täglich eine andere traurige Geschichte zu präsentieren oder Politikern ein Forum zu geben, die vor allem an ihrem eigenen Profil flicken.
Dass die Politik sich ständig erklären muss, ist nicht allein das Problem … auch der sog. "besorgte" Bürger (worüber auch immer er sich sorgt) muss sich informieren, bevor er sich auf den Rathausplatz stellt und sich mit allen möglichen dubiosen Zeitgenossen gemein macht.
Es hat in erster Linie mit unterschiedlichen Interessenslagen zu tun. Die einen haben Angst um ihre Gesundheit, ihr Leben, die anderen um ihre Existenz. Das sind die großen Gegenpole.Dazwischen befinden sich die, die der Beschränkungen überdrüssig sind und sehen, dass andere schon wieder was dürfen, was ihnen noch verwehrt bleibt und das obwohl sich objektiv kein Grund dafür erkennen lässt. Wenn es einfach der ist, dass man nicht alles auf einmal wieder hochfahren will, dann wird man in der Tat gute Überzeugungsarbeit leisten müssen, warum dieses nun wieder erlaubt ist und jenes nicht. Und noch schlimmer wiegt der Zugriff oder Nichtzugriff der Polizei. Polizisten, die vor wenigen Wochen noch einen einsamen Leser auf einer Parkbank mit einem saftigen Ordnungsgeld belegten, zucken bei Massenaufläufen die Schultern. So etwas fördert Unmut und das Gefühl der Ungleichbehandlung.
Dazu kommt unser föderales System, und dass das GG die Zuständigkeit der Seuchenbekämpfung den Länder auferlegt hat und diese Teile an die örtlichen Gesundheitsämter delegiert haben. Ob das so gut und zielführend ist, darf bezweifelt werden. Wenn nun die Presse über die Entmachtung der Kanzlerin schwadroniert, völlig ignorierend, dass diese ohnehin mehr erreicht hat als man von ihr erwarten durfte in ihrer völligen Kompetenzlosigkeit, dann ist das auch autoritätsuntergrabend.
Natürlich sind die Gegebenheiten von Bundesland zu Bundesland ggf. unterschiedlich und bedürfen verschiedener Behandlung und Richtlinien. Aber warum soll das nicht federführend die Bundesregierung mit den Ländern absprechen können und wieso können dann einzelne Kommunen ohne besonderen Anlass ganz andere Vorgaben machen? Wieso durfte Jena eine Maskenpflicht verordnen, ohne dass es eine solche im Land gab und aufgrund der Fallzahlen vor Ort eine besondere Notwendigkeit dazu? DAS ist Missbrauch von Grundrechten. Das führt zu Unverständnis, zu Widerstand. Wie überhaupt die ganze Maskenchose als exemplarisch gelten kann für die Widersprüchlichkeit der Argumentation wie der Anordnungen von Wissenschaft und Politik.
Weil man zunächst schlicht keine Masken hatte, sprach man ihnen die Wirksamkeit ab. Als dann die Fallzahlen abnahmen, die Lage sich verbesserte, die Regierung aber auch sah, dass es eine gewissen Bereichtschaft sie zu tragen gibt, Bürger sich sogar selbst mit welchen ausstatteten, sieh da - auf einmal waren sie das Mittel der Wahl zu einer sinnvollen weiteren Bekämpfung der Ausbreitung des Virus. Wochenlang ging es wunderbar in den Supermärkten, die Zahlen reduzierten sich trotzdem, auf einmal müssen die Verkäuferinnen den ganzen Tag mit den Masken herumlaufen. Und da wundert man sich, dass die, denen das zu blöd erscheint, Leute auffordern, den Mundschutz, Mundschutz sein zu lassen?
Es wird Sommer. Und da trägt sich das nicht wirklich angenehm. Eine durchgängige stimmige Linie und man wäre eher dazu bereit gewesen, aber so? Die 'Hygienevorschriften' für einen Lokalbesuch sind zum Piepen komisch. Als ob die Viren, die man am Tisch ausatmet (an dem man keine Maske tragen muss) in einem geschlossenem Raum - aber auch im Freien - nicht binnen Kürze im ganzen Lokal verteilt sein könnten auch ohne direktes Anniesen, - husten, -hauchen. Muss die Luft nur feucht genug sein und durch Luftbewegung mitgenommen werden, wenn der Kellner kommt zum Beispiel. Man konnte lesen, dass man sich beim Gehen mehr als 5 m hinter einer anderen Person halten solle (wann immer das auch möglich sein könnte) damit man nicht in die Atemluft desjenigen hineingeriete. Aber im Lokal ist das dann alles kein Problem mehr. Genau.
So könnte man endlos weiter fortfahren.
Frau Reichenauer,
dumm sind die, die die Anderen für dumm halten. Eigentlich sind doch Sie der "besorgte Bürger" der es nicht aushält wenn ein paar Menschen demonstrieren. Eine Demokratie misst daran wie sie mit Anderstdenkenden umgeht!