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Foto: David-Wolfgang Ebener, dpa
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„Atomkraft? Nein danke“ – dieser Slogan beschäftigt seit Jahrzehnten die Deutschen. Jetzt gibt es mitten in der Energiewende eine neue Initiative: Atomkraft? Ja bitte.

Energie
10.09.2020

Atomkraft: Experten drängen auf den Ausstieg aus dem Ausstieg

Von Stefan Lange, Christian Grimm

In Deutschland regt sich Widerstand gegen das Ende der Kernenergie. Die Befürworter des Atomstroms haben den Klimawandel als Argument an ihrer Seite.

Vor 45 Jahren machte ein gelber Aufkleber mit dem Spruch "Atomkraft? Nein danke" Furore. Das Logo mit der lachenden Sonne in der Mitte avancierte zum Symbol der Anti-Atomkraftbewegung. Wer es damals benutzte, wurde häufig als "Öko" verlacht und sah sich hämischer Kritik ausgesetzt. Im Jahr 2020 ist die Lage eine andere. Der Atomausstieg ist beschlossene Sache und wird bereits umgesetzt. Ganz Deutschland hat sich mit dem Gedanken angefreundet oder sich zumindest damit abgefunden, dass die Kernenergie hierzulande keine strahlende Zukunft mehr hat. Fast jedenfalls, denn es regt sich Widerstand.

Pro-Kernkraft-Demos : Neuer Verein Nuklearia ist für "moderne" Atomenergie

So setzt sich der Verein Nuklearia "für eine moderne und sichere Kernenergie" ein und hat am vergangenen Samstag eine Reihe bundesweiter Pro-Kernkraft-Demos gestartet. Nach dem Auftakt beim einst heiß umkämpften Atomkraftwerk (AKW) Brokdorf in Itzehoe treten die Kernkraft-Befürworter am kommenden Samstag beim Kernkraftwerk Emsland in Lingen an. Am 19. September steht das Atomkraftwerk Isar im bayerischen Niederaichbach auf dem Plan. Der Atommeiler Neckarwestheim im baden-württembergischen Gemmrigheim soll am 4. Oktober den vorläufigen Abschluss der AKW-Werbetour bilden.

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Foto: Malte Christians, dpa
Foto: Malte Christians, dpa

Demonstranten mit Gasmasken stehen am AKW Brokdorf.

Nuklearia wurde nicht etwa von irgendwelchen Weltfremden gegründet. Der Vorstand des Vereins ist hochkarätig besetzt: Als Beisitzerin fungiert Anna Veronika Wendland, Jahrgang 1966. "Ich gehöre zur Generation Anti-AKW. Doch ich habe mich nach langen Aktivistenjahren in der Anti-AKW-Bewegung für einen anderen Weg entschieden", schreibt die Osteuropa- und Technikhistorikerin auf der Nuklearia-Internetseite. Wendland, Mutter von drei Kindern, hat mehr als sieben Jahre lang mit Feldstudien in Kernkraftwerken in Osteuropa und Deutschland gearbeitet. Ihre Habilitationsschrift hat den illustren Titel: "Atomgrad. Kerntechnische Moderne im östlichen Europa".

Wendland hat vor zwei Monaten eine bemerkenswerte Fusion mit dem Atomkraftkritiker Rainer Moormann vollzogen. Zusammen mit dem Wissenschaftler, der von 1976 bis 2013 am Forschungszentrum Jülich unter anderem zur Sicherheit von kerntechnischen Anlagen arbeitete, veröffentlichte sie einen Aufruf mit dem Titel "Warum wir die deutschen Kernkraftwerke jetzt noch brauchen".

Zum Schurz der Umwelt über Neubau von Kraftwerken nachdenken

Das 13-seitige Papier ist nicht etwa eine Ode an die Atomkraft. Wendland und Moormann setzen die deutsche Kernenergie vielmehr ins Verhältnis zum Klimanotstand. Sie kommen dabei zu dem Ergebnis, dass es im Kampf gegen die Erderhitzung enorm helfen würde, "die noch am Netz befindlichen sechs deutschen Kernkraftwerke (KKW) möglichst unter Staatsregie mit strengen Auflagen weiterlaufen zu lassen". Stattdessen sollten im selben Umfang besonders klimaschädliche Braunkohle-Kapazitäten zeitgleich stillgelegt werden, "was die deutschen CO2-Gesamtemissionen um circa 10 Prozent senken würde", wie beide vorrechnen. Notfalls müsse zusätzlich zum Ausbau der erneuerbaren Energien "über einen Neubau von Kernkraftwerken" nachgedacht werden, schreibt das Autorenteam. Nämlich dann, wenn bis 2030 die nötige Großspeicher-Technologie nicht in Sicht ist.

Diese Argumentation bildet im Wesentlichen die Debatte ab, wie sie auch in Teilen der Bundestagsparteien geführt wird. Die Atomkraft als Brückentechnologie in der Klimakrise – dieser Gedanke ist naheliegend. Bei der Union beispielsweise wird er aber nur von einer Minderheit verfolgt. Die konservative Werteunion regte bereits an, den Atomausstieg zu verschieben und stattdessen früher aus der Kohle auszusteigen, wurde aber vom Führungspersonal bei CDU und CSU umgehend zurückgepfiffen.

Jürgen Trittin nennt die Diskussion um Kernkraft eine "Geisterdebatte"

Für die Grünen-Spitze ist die Sache klar. "Nur weil überflüssig gewordene Kohlekraftwerke nicht stillgelegt werden, muss man nicht weiter Atommüll produzieren. Das ist eine Geisterdebatte", sagte der heutige Abgeordnete und frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin unserer Redaktion. Atomkraft sei, betonte Trittin, gefährlich, teuer und tauge nicht für den Klimaschutz. Mit fünf Prozent Anteil an der Weltenergie sei sie "schlicht zu unbedeutend".

Den wohl mächtigsten Gegner hat die "Atomkraft ja bitte"-Fraktion in den Betreibern selbst. Der Energiekonzern RWE erklärte auf Anfrage kurz und bündig, man betrachte das Thema "schon seit Jahren als erledigt". Auch Guido Knott, Chef der Eon-Atomtochter Preussen Elektra, will den Schalter nicht mehr umlegen. "Wir konzentrieren uns auf den sicheren Betrieb unserer drei noch laufenden Kraftwerke Brokdorf, Grohnde und Isar 2 bis zu den gesetzlich festgeschriebenen Terminen und werden diese dann sicher, zügig und technisch innovativ zurückbauen", sagte er unserer Redaktion. Fünf weitere Anlagen befänden sich bereits im Rückbau. "Ein Weiterbetrieb der Kraftwerke", schloss Knott kategorisch aus, "das ist für uns keine Option."

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