Erstmals seit 150 Jahren droht Mekka-Absage
Wegen der Ausbreitung des Coronavirus appelliert Saudi-Arabien an Muslime in aller Welt, keine Vorbereitungen für die Pilgerfahrt zu treffen.
Die Grillen zirpen an der Kaaba in der Großen Moschee in Mekka – ein Geräusch, das normalerweise von den Stimmen tausender Pilger übertönt wird, die den heiligsten Ort des Islam das ganze Jahr hindurch besuchen. Doch nun steht der saudische Minister für die Pilgerfahrt Hadsch, Muhammad Saleh bin Taher Banten, fast allein vor einem hell erleuchteten, aber gespenstisch leeren Innenhof der Moschee.
Zuletzt wurde die Pilgerfahrt Mitte des 19. Jahrhunderts abgesagt
Vor den Kameras des Staatssenders Al Ekhbariya erläutert der Minister, wie Saudi-Arabien in der Coronavirus-Pandemie mit der Hadsch umgehen will, die im Juli ansteht. Natürlich sei sein Land in der Lage, für die Sicherheit der Pilger zu sorgen, sagt der Minister. Doch er fügt hinzu: "Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, die die ganze Welt getroffen hat." Deshalb rufe Saudi-Arabien die Gläubigen in aller Welt auf, bis auf Weiteres keine Reisevorbereitungen zu treffen. Zum ersten Mal seit Mitte des 19. Jahrhunderts könnte die Pilgerfahrt – die größte Menschenansammlung der Welt – in diesem Jahr ausfallen.
Die Pilgerfahrt gehört zu den Grundpflichten der Muslime – jeder Gläubige soll einmal in seinem Leben daran teilnehmen. Rund 2,5 Millionen Pilger aus aller Welt besuchten Mekka bei der Hadsch im vergangenen Jahr. Damit die heiligen Stätten nicht völlig überlaufen werden, erhalten die einzelnen Länder Pilgerkontingente. Schon in normalen Zeiten bringt der Ansturm das saudische Gesundheitssystem an seine Grenzen.
So brauchte fast jeder zweite Pilger bei der Hadsch im Jahr 2013 medizinische Hilfe, wie die Weltgesundheitsorganisation in einem Bericht festhielt. In Zeiten einer Pandemie wäre eine solche mehrtägige Massenveranstaltung, bei der sich die Menschen um die Kaaba und andere heilige Orte drängen und in Zelten übernachten, ein ungeheures Risiko. Saudi-Arabien stoppte deshalb bereits die Umrah, die sogenannte kleine Pilgerfahrt außerhalb der Hadsch-Saison. Die Behörden haben in den heiligen Städten Mekka und Medina ganztägige Ausgangssperren verhängt. Alle internationalen Flüge von und nach Saudi-Arabien sind gestoppt.
Für Saudi-Arabien wäre die Pilgerfahrt-Absage ein finanzieller Verlust
Möglicherweise trug die Umrah vor ihrer Unterbrechung bereits zu einer Weiterverbreitung des Coronavirus in der Region bei. In der Türkei wurden mehrere hundert Umrah-Pilger laut Presseberichten nach ihrer Rückkehr aus Saudi-Arabien vor einigen Wochen positiv auf das Virus getestet. Saudi-Arabien selbst zählt derzeit knapp 2400 Infektionen und 29 Todesfälle.
Das ist im internationalen Vergleich recht niedrig, doch die Zahl der Ansteckungen verdoppelt sich etwa alle sieben Tage. In Krankenhäusern in Mekka werden mehrere Pilger behandelt, die sich während der Umrah infizierten. Rund 1200 Besucher aus verschiedenen Ländern sitzen in der heiligen Stadt fest, weil sie wegen der Unterbrechung des Flugverkehrs nicht mehr nach Hause kommen.
In der 1400-jährigen Geschichte der Hadsch hat es schon oft Unterbrechungen wegen Krieg oder Krankheiten gegeben. Mitte des 19. Jahrhunderts musste die Pilgerfahrt nach Berichten arabischer Medien ebenfalls wegen Seuchen mehrmals ausfallen: Damals wurde die Hadsch über Jahre abgesagt, weil Pest und Cholera in Arabien wüteten. Doch selbst während der weltweiten Grippe-Epidemie 1918 und der beiden Weltkriege fand die Hadsch statt. Das islamische Rechtssystem Scharia erlaube es, die Pilgerfahrt wegen der Seuchengefahr auszusetzen, berichtete die saudische Zeitung Arab News unter Berufung auf Experten.
Für Saudi-Arabien wäre eine Absage der Pilgerfahrt jedoch ein finanzieller Verlust. Rund zwölf Milliarden Dollar verdient das Land jedes Jahr an den Pilgern. Gerade jetzt könnte Riad diese Einnahmen gut gebrauchen, denn der Haushalt des Königreichs leidet bereits an den Folgen des Preisrutsches beim Öl. Offiziell hat Saudi-Arabien noch keine Entscheidung über die Hadsch getroffen, und bis Juli könnte sich die Lage noch ändern. Doch die Aussage von Minister Taher Banten vor der verwaisten Kaaba deutet darauf hin, dass die Grillen die Große Moschee auch im Sommer für sich haben könnten.
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