Europa will keine Zugeständnisse mehr machen
Bundeskanzlerin Merkel warnt im Zusammenhang mit den neuesten Brexit-Entwicklungen vor schweren Schäden. Die Wirtschaft ist entsetzt.
Angela Merkel weiß, dass wieder einmal alle Augen auf sie gerichtet sind. In Berlin, vor allem aber in Brüssel, wo ihre langjährigen Erfahrungen als Lotsin in schwerer europäischer See in diesen Tagen gefragt sind. Doch auch die Bundeskanzlerin ist erst einmal ratlos. Es war keine wirkliche Überraschung, aber am Ende doch ein Schock: Der von EU und britischer Regierung mühsam über Monate ausgehandelte Austrittsvertrag fiel im Unterhaus durch.
"Wir wollen den Schaden – es wird in jedem Fall einen Schaden geben durch den Austritt Großbritanniens – so klein wie möglich halten. Deshalb werden wir natürlich versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden", sagt Merkel am Mittwoch. Es sei allerdings jetzt an der britischen Seite, "uns zu sagen, wie es weitergeht". Nur eines ist klar: Sie lehnt eine Neuverhandlung des Austrittsvertrags ab.
Undiplomatischer ist Außenminister Heiko Maas: Unmissverständlich fordert der Sozialdemokrat die konservative britische Premierministerin Theresa May auf, ihre Position möglichst schnell zu klären. "Die Zeit der Spielchen ist jetzt vorbei." Bislang hätten die Abgeordneten des Unterhauses nicht klar gemacht, was sie wollen – lediglich, was sie nicht wollen. "Das ist nicht ausreichend." Auch von Nachverhandlungen hält Maas nicht viel: "Wenn man noch mehr hätte anbieten können, hätte man das schon vor Wochen tun müssen." Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagt: "Man hat ja vonseiten der EU und auch von deutscher Seite alles angeboten. Es war klar: Es gibt keine Rosinenpickerei, aber es sind vernünftige Angebote gemacht worden."
"Sollten nicht spekulieren, welche Art Brexit wir haben werden"
Groß ist das Entsetzen bei der deutschen Wirtschaft. "Von vielen Firmen hören wir, dass sie sich vor Lieferengpässen fürchten und Angst davor haben, dass es um den 29.März herum nicht beherrschbare Zustände geben wird", sagt Jana Lovell von der IHK Schwaben. Von einem "Worst-Case-Szenario" spricht Achim Berg, der Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Bei einem ungeregelten Brexit drohe Europa ein "Datenchaos".
Die pharmazeutische und die chemische Industrie schlagen Alarm, dass es nicht nur zu wirtschaftlichen Problemen, sondern auch zu medizinischen Engpässen auf der britischen Insel kommen könne, wenn Ende März der freie Warenverkehr zum Erliegen komme. "Chemie und Pharma brauchen dringend Übergangslösungen bei einem ungeordneten Brexit", sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann.
Auch EU-Politiker sehen jetzt ausschließlich Großbritannien am Zuge. "Ich glaube, wir sollten jetzt nicht spekulieren, welche Art Brexit wir haben werden", sagt EU-Kommissionsvize Frans Timmermans im Europaparlament. "Wir werden abwarten müssen, was im Unterhaus passiert, in Großbritannien." Ähnlich äußern sich führende Europaabgeordnete. "Bitte, bitte, bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt", appelliert der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), an das britische Parlament.
Dass die Briten erneut über den Brexit abstimmen könnten, hält der britische Botschafter Sebastian Wood nicht für wahrscheinlich. "Im Moment sehe ich keine Mehrheit im Parlament für ein zweites Referendum", sagte er im ZDF-Morgenmagazin.
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