Europäische Antreiber
100 deutsche und französische Abgeordnete bilden eine gemeinsame Versammlung. Worum es heute in Paris geht
Es gibt nicht viele Ereignisse in der Politik, die den Begriff „historisch“ verdienen. Am Montag wird in den deutsch-französischen Beziehungen ein Kapitel aufgeschlagen, das dieser Kategorie zuzurechnen ist. In Paris treten jeweils 50 Abgeordnete aus Deutschland und Frankreich erstmals zur deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung zusammen. Mit ihrer weltweit wohl einmaligen Initiative verfolgen die Volksvertreter beider Länder auch das Ziel, Druck auf ihre Regierungen zu machen.
Treffen beider Seiten auf parlamentarischer Ebene gab es in der Vergangenheit viele. Neu ist, dass die parlamentarische Versammlung eine breite Zuständigkeit hat und beispielsweise über die Einhaltung des Élysée-Vertrags von 1963 und des neuen Aachener-Vertrags wachen wird. Die Parlamentarier werden zudem mit Argusaugen die Arbeit der deutsch-französischen Ministerräte und die Umsetzung ihrer Beschlüsse verfolgen. Die Versammlung darf Beschlüsse fassen und dem Bundestag und der Assemblee nationale zuleiten, damit sie dort bei Bedarf umgesetzt werden.
Im Grunde genommen geht es also darum, die Kontrollfunktion des Parlaments für beide Länder zu vereinen. Das Gremium werde „gerade auch schwierige und kontroverse Themen aufgreifen und unsere Regierungen antreiben“, sagte der designierte Co-Vorsitzende Andreas Jung (CDU) unserer Redaktion. Das gelte bei der Entwicklung eines einheitlichen Wirtschaftsraums genauso wie beim Klimaschutz, der Entwicklung eines deutsch-französischen Zukunftswerks oder einer Strategie für künstliche Intelligenz. Dampf machen will die Versammlung auch bei einem zentralen europäischen Vorhaben, nämlich dem Aufbau einer EU-Armee. „Die deutsch-französische Brigade könnte dann einmal Kern einer europäischen Armee werden“, sagte Jung.
Jung ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Als Co-Vorsitzender wird er gemeinsam mit der französischen Abgeordneten Sabine Thillaye von der Regierungspartei La République En Marche die Versammlung leiten. Diese soll die Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten abbilden, weshalb von CDU/CSU 17 Abgeordnete benannt sind, von der SPD elf, jeweils fünf von Grünen und Linken, sechs von der FDP und noch einmal sechs Abgeordnete von der AfD – obwohl die Alternative für Deutschland bei der Abstimmung im Bundestag nahezu geschlossen gegen das Projekt gestimmt hat.
Womöglich ist den Rechtspopulisten die Zielsetzung der Versammlung ein Dorn im Auge. Denn sie soll „in Zeiten von My-country-first-Ideologien, Brexit-Trauerspiel und Populismus allerorten ein starkes Bekenntnis zu Europa und eine klare Absage an jede Form von Nationaltümelei und Eigenbrötlerei“ sein, erklärt Jung. „Überall in Europa trommeln vor den Europawahlen die Populisten und wollen das Rad zurückdrehen“, stellt er fest und will deshalb mit seinen Parlamentskollegen „den europäischen Gedanken auch gegen widerstrebende Kräfte verteidigen“.
Von der Versammlung in Paris sollen „starke Impulse für die EU“ ausgehen, sagt Jung. „Wenn sich Skepsis breitmacht, liegt das nicht zuletzt daran, dass die EU in den großen Fragen oft als zu schwach empfunden wird“, erklärt der Konstanzer. Am Vormittag werden unter anderem Reden der Präsidenten des Bundestages und der Nationalversammlung, Wolfgang Schäuble und Richard Ferrand, erwartet.
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