
Martin Schulz gibt alles im Wahlkampf – obwohl er selbst nicht antritt


Wie Martin Schulz unermüdlich für Europa trommelt. Dabei steht der ehemalige SPD-Vorsitzende, der früher als "Mister Europa" galt, gar nicht zur Wahl.
Die Reise beginnt in den Tiefen des Weltalls, führt zu Synthesizer-Sphärenklängen vorbei an Myriaden von Sternen und Sonnen, Planeten und Kometen. Langsam kommt auf der gewaltigen Kuppel des Planetariums im Berliner Trend-Stadtteil Prenzlauer Berg die Erde in Sicht. Der Blaue Planet.
Zunächst ist er von Weitem nur zu ahnen, doch bald lassen sich Ozeane von Kontinenten unterscheiden. Schließlich zeigt sich, erkennbar am italienischen Stiefel, Europa. Dann steht die Erde am künstlichen Firmament still. Und darunter erscheint: Martin Schulz. Der Mann aus Würselen, der vor nicht allzu langer Zeit der hellste Stern am SPD-Himmel war.
Umjubelter Kanzlerkandidat, mit hundert Prozent gewählter Parteivorsitzender. Wegen Schulz traten Tausende neu in die SPD ein, die in Umfragen der Union dicht auf den Fersen war. Doch der Höhenflug des Martin Schulz endete mit einem tiefen Absturz. Im Herbst 2017 wurde er vom schwarzen Loch des schlechtesten SPD-Ergebnisses aller Zeiten bei einer Bundestagswahl verschluckt. Die SPD ließ ihn fallen, er verlor den Parteivorsitz an Andrea Nahles, durfte nicht Außenminister werden.
Typisch Schulz: Ein flammendes Plädoyer für Europa
Heute ist der 63-Jährige nur noch ein einfacher Abgeordneter, ein Hinterbänkler, ohne herausgehobene Aufgabe in Fraktion oder Partei. Doch an diesem Abend, unter der Kuppel des Planetariums, blitzt ein Hauch des „Schulz-Hypes“ wieder durch, der 2017 monatelang in Deutschland herrschte.
Schulz tut das, was er kann wie kaum ein anderer Politiker. Er hält ein derart flammendes, leidenschaftliches Plädoyer für die europäische Idee, dass die rund 300 Zuhörer immer wieder euphorisch applaudieren. Schon im Bundestagswahlkampf glänzte Schulz in seinen Reden dann am meisten, wenn es um Europa ging. Und das hat er nicht verlernt. „Es ist Kampfeszeit angesagt in der Europäischen Union in diesem Wahlkampf“, heizt Schulz das Publikum an. Immer wieder steigert sich seine Stimme von leise zu laut, vom langsamen, fast einschläfernden Singsang zu stakkato-artigen Ausrufen.

Es gebe in der EU durchaus Reformbedarf, so Schulz: „Es geht um ein sozialeres Europa, um ein demokratischeres, um ein transparenteres Europa.“ Gleichzeitig sei Europa als Garant für Frieden, Stabilität und sozialen Ausgleich ohne Alternative. Nur Europa könne die Auswüchse des Kapitalismus eindämmen. Doch rechte Populisten versuchten mit allen Mitteln, die europäische Idee zu zerstören: US-Präsident Donald Trump, der ungarische Premier Viktor Orban, die deutsche AfD. Dagegen, so der SPD-Mann, gelte es, mit aller Kraft zu kämpfen.
Martin Schulz gibt alles in diesem Europawahlkampf, obwohl es für ihn persönlich nichts zu gewinnen gibt am 26. Mai. Denn er selbst steht gar nicht auf der Liste, zum ersten Mal seit 1994. Dabei ist Schulz der „Mister Europa“ der deutschen Sozialdemokratie. Bevor er Kanzlerkandidat wurde, saß er 23 Jahre im Europaparlament, war von 2012 bis 2017 dessen Präsident. Doch von den Plakaten der SPD für diese Europawahl lächelt als Spitzenkandidatin Katarina Barley, die Bundesjustizministerin.
80 Wahlkampftermine macht Schulz bundesweit
Auch wenn er in die Wahlkampfstrategie der SPD nicht wirklich eingebunden ist, absolviert Martin Schulz derzeit täglich mehrere Auftritte. Immerhin einen Wagen mit Fahrer hat ihm Parteichefin Andrea Nahles zur Verfügung gestellt. Mehr als 80 Termine im gesamten Bundesgebiet lassen sich so deutlich leichter bewältigen. Und ob in Lörrach, Bamberg oder Uelzen, Schulz trommelt unermüdlich für die EU und gegen rechte Populisten.
Schulz’ Engagement reicht dabei über die SPD hinaus. Vergangene Woche startete er mit einem neuen Verein seine eigene Europa-Kampagne. Die Initiative „Tu was für Europa“ will ausdrücklich überparteilich sein. Zu den Gründern gehören neben Schulz die Grünen-Politikerin Franziska Brantner und Fernsehmoderator Klaas Heuer-Umlauf, zur Auftaktveranstaltung kamen viele Prominente, darunter Schauspieler Daniel Brühl und die Kulturpolitikerin Monika Grütters.
Ziel des Vereins ist es nach eigener Darstellung zunächst, möglichst viele Menschen für die Europawahl zu mobilisieren. Aber auch nach dem Urnengang sind Aktionen zur Stärkung des europäischen Gedankens geplant. Koch- und Chorwettbewerbe etwa, die Internet-Kampagne „myeurope“, Werbeaktionen in Zügen der Deutschen Bahn. Geht es nach Schulz, sollen Fußballstars bald ein sichtbares Zeichen für Europa setzen: mit einem Emblem auf dem Trikot, in der Bundesliga oder bei einem deutsch-französischen Länderspiel.
Ideen gibt es viele – und bereits einige finanzkräftige Partner aus der Wirtschaft. Etwa die Allianz-Versicherung, die Deutsche Bank, den Handelsriesen Rewe und die Lufthansa. Die große Euphorie beim Schulz-Verein wird dem Vernehmen nach nur davon getrübt, dass es um die eigene digitale Erreichbarkeit nicht zum Besten steht. Denn wer im Netz die Adresse tu-was-für-europa.de eingibt, kommt direkt auf eine Seite der CSU, auf der zur Unterstützung des Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, aufgerufen wird. Der überparteiliche Verein von Marin Schulz ist dagegen unter do-something-for-europe.com zu finden.
Die Zuhörer würden Schulz wählen
Geschäftsführer Alfonso Pantisano gibt sich auf Nachfrage betont gelassen: „Unser Projekt ist auf fünf Jahre angelegt und soll auf weitere europäische Länder ausgedehnt werden. Deshalb wollten wir von vornherein eine englischsprachige Internet-Adresse.“ Im kosmischen Maßstab, der in einem Planetarium gilt, wirken solche Probleme klein. Martin Schulz, daran lässt er keinen Zweifel, kämpft für das große Ganze, für die Zukunft Europas. Wenn dieser Kampf auch seiner eigenen Zukunft nutzt, ihn aus der politischen Versenkung wieder hinaufführt zu den Sternen, wird ihm das aber durchaus nicht unrecht sein.
Das Publikum im Planetarium ist am Ende jedenfalls restlos begeistert. Dem frenetischen Applaus nach zu urteilen, würden die meisten Zuhörer wohl nicht zögern, dem SPD-Mann bei der Europawahl am 26. Mai ihre Stimme zu geben. Wenn Martin Schulz denn zur Wahl stünde.
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