Experte zum Absturz der Sozialdemokraten: Die SPD hat keine populäre Figur
Die SPD ist in einer tiefen Krise. Den französischen Sozialisten geht es noch schlechter. Ein Experte erklärt die spanische PSOE von Pedro Sánchez zum Vorbild.
Umzüge sind immer anstrengend. Verbessert man sich, hilft die Vorfreude auf das neue Heim, die Strapazen wegzulächeln. Wird das künftige Domizil bescheidener, überwiegt Melancholie. Und es gibt Umzüge, die ein bisschen einer Beerdigung gleichen: So war es, als die stolze Parti Socialiste (PS) im Spätsommer 2018 ihren Stammsitz in der noblen Pariser Rue Solférino verlassen musste. Sie brauchte das Geld. Heute empfängt die Partei, die bei der Europawahl vor Wochenfrist nur noch knapp über sechs Prozent kam, ihre Gäste im tristen Ivry-sur-Seine vor den Toren der glamourösen Hauptstadt. Was für ein Symbol des Niedergangs.
Links des Rheins beobachtet die deutsche SPD seit Jahren fassungslos den ungebremsten Fall der Schwester und Brüder in Frankreich. Wie konnte es so weit kommen? Schließlich stellte die PS mit François Hollande bis 2017 noch den Präsidenten der Republik. Für Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, haben die fünf Jahre, die Hollande als Präsident regierte, viel mit dem Absturz der PS zu tun: „In Frankreich ist ein Niedergang der Glaubwürdigkeit der gesamten politischen Klasse zu verzeichnen. Die Sozialisten wurden besonders abgestraft, weil sie die letzte Regierung vor Emmanuel Macron geführt haben.“ Der blutleere, uninspirierte Politikstil, den der Mann mit den traurigen Augen den Franzosen zumutete, wirkt nach. Hollands halbherzige Reformversuche blieben stecken, während sich die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Bürger, die ihn ins Amt gewählt hatten, Jahr für Jahr verschlechterte.
Die traurige Bilanz: Ausgerechnet unter einem Sozialisten hatte sich die ohnehin schon tiefe Spaltung im Lande zu einem Graben vertieft. Nicht zuletzt in den fünf Jahren, in denen die PS regierte, entwickelte sich die Wut, die sich ab November 2018 in den Gelbwesten-Protesten entlud. Auch in Frankreich zeigte sich: Wütende Bürger, die sich benachteiligt und abgehängt fühlen, wählen heute viel eher Rechts- oder Linkspopulisten als Sozialdemokraten oder moderate Sozialisten.
Die Franzosen sind sehr unzufrieden mit ihrer Volkswirtschaft
Für direkt vergleichbar hält Jun die Situation in Frankreich und Deutschland nicht. Die Franzosen seien sehr unzufrieden mit der Schwäche ihrer Volkswirtschaft. „Das ist in Deutschland längst nicht so ausgeprägt. Ein wichtiger Unterschied.“ Tatsächlich ist das überkommene Parteiensystem in Frankreich nahezu pulverisiert. Schließlich sind die Konservativen ebenfalls fast in der Versenkung verschwunden. Auch in Deutschland ist viel in Bewegung geraten. Doch Union, FDP, Linke und vor allem die Grünen sind ja noch da – wie auch die SPD. Nur gibt es für die Sozialdemokraten seit vielen Jahren nur eine Richtung: Es geht abwärts.
Verständlich, dass die schlingernde Partei Ausschau hält nach befreundeten Parteien in Europa, die Akzente setzen und vor allem: Wahlen gewinnen. So wie die spanische PSOE. Mit dem Partei- und Regierungschef Pedro Sánchez an der Spitze beweist sie, dass die Sozialdemokratie heutzutage noch erfolgreich sein kann.
Sanchez ist durch zwei Wahlsiege gestärkt
Erst gewann der 47 Jahre alte Sánchez Ende April die nationale Parlamentswahl und verteidigte sein Regierungsamt. Einen Monat später triumphierte Spaniens charismatischer Premier erneut – dieses Mal in der Europawahl, bei der er mit 33 Prozent weit vor allen anderen spanischen Parteien lag. Dank seines Europawahlerfolgs machte Sánchez die spanischen Sozialisten, die 20 Mandate eroberten, zur stärksten nationalen Gruppe in der europäischen Fraktion der Sozialdemokraten. Der Aufstieg des redegewandten Ökonomen begann im Juni 2018 mit seinem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy.
Ein Coup, den ihm vor gar nicht langer Zeit nicht viele zugetraut hätten. Noch im Herbst 2016 schien seine politische Karriere am Ende zu sein, als er nach innerparteilichen Attacken und einer Abstimmungsniederlage als PSOE-Generalsekretär zurücktrat. Doch er kam wieder. Als Ministerpräsident einer Minderheitsregierung zeigte Sánchez sein Talent, über Parteigrenzen hinweg den Dialog zu suchen und Allianzen zu schmieden.
In Frankreich wurde den Sozialisten ihre Zeit an der Regierung zum Verhängnis, in Spanien – davon ist der Politikwissenschaftler Jun überzeugt – kam ihnen zugute, dass sie viele Jahre eben nicht den Ministerpräsidenten stellten: „Ein Vorteil für die spanischen Sozialisten ist, dass sie dort lange in der Opposition saßen. In dieser Zeit ging es der Volkswirtschaft sehr schlecht.“ Heute leide die konservative Volkspartei (PP) darunter, dass sie lange regierte und in einige Skandale verwickelt war.
Was kann die SPD von der spanischen PSOE lernen?
Was kann die SPD von der spanischen PSOE lernen? Uwe Jun ist eher skeptisch: „Die SPD kann in ihrer Situation eigentlich nicht allzu viel Erkenntnis aus dem Erfolg von Sánchez und den Sozialisten ziehen.“ Vielleicht aber solle sie genau beobachten, „wie Sánchez sehr pragmatisch Politik macht und sich bemüht, seine Partei für ein breiteres Themenspektrum zu öffnen“.
Das Problem bleibt aber: Die SPD hat derzeit keinen Pedro Sánchez. „Die SPD verfügt seit Gerhard Schröder nicht mehr über eine solche Figur“, sagt Jun. Doch ohne einen Politiker, der über Parteigrenzen hinweg populär ist, ist es für jede Partei schwer, neue Wählerschichten zu begeistern – das zeigt sich in vielen EU-Mitgliedsländern. Insbesondere für eine SPD, der die traditionellen Anhänger wie Arbeiter und Angestellte Stück für Stück weggebrochen sind.
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .
Die Diskussion ist geschlossen.
Vielleicht sollte der mündige Wähler zuerst lernen Ideen und Porgramme zu wählen und nicht Personen!
Wenn das denn mal reichen würde. Ja, Ideenlosigkeit ist auch ein Problem der beiden dicken Parteien. Das viel größere ist aber, dass sie selbst bei den Ideen nicht ihr Wort halten, die sie selbst propagieren. Erinnert sich noch jemand an den SPD-Coup, als sie meinten, dass die Mehrwertsteuer auf gar keinen Fall angehoben wird, und am Ende haben sie mit der Union zusammen die MwSt sogar noch weiter angehoben, als es die Union vorher allein fabuliert hatte? Wenn man den Wähler so veräppelt und mit seinen Problemen hängen lässt, ist es auch schon egal, was im Programm stand. Daran halten sie sich ja schon lange nicht mehr.