Nach der verheerenden Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe hat Japan einen der schwersten Atomunfälle seiner Geschichte erlebt. In der Anlage Fukushima 1 wurden durch eine Explosion am Samstag ein Reaktorgebäude teils zerstört sowie zunächst eine massiv erhöhte Radioaktivität gemessen, wie der Fernsehsender NHK berichtete. Die Behörde für atomare Sicherheit schloss eine Kernschmelze nicht aus.
Laut NHK wurden bei der Explosion am Nachmittag (Ortszeit) das Dach und Mauern eines Reaktorgebäudes zerstört. Fernsehbilder zeigten weißen Rauch über der Anlage. Vier Mitarbeiter der Anlage wurden demnach leicht verletzt. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo waren die Strahlungen in Fukushima in einer Stunde so hoch wie die zugelassenen Grenzwerte eines Jahres.
Zuvor hatten die Agenturen Kyodo und Jiji berichtet, dass in einem Reaktor der Anlage Fukushima 1 womöglich eine Kernschmelze im Gang sei. Nach Einschätzung der Behörde für atomare Sicherheit "könnte sich dort eine Kernschmelze vollziehen", hieß es. Kyodo hatte zudem gemeldet, dass in der Nähe von Fukushima 1 radioaktives Cäsium entdeckt worden sei.
Der Betreiber Tokyo Electric Power (Tepco) widersprach diesen Angaben. Es werde versucht, den Kühlwasserstand zu erhöhen, um die Temperatur im Reaktor wieder senken zu können, sagte er. Nach der Explosion in dem Akw schloss die Betreiberfirma auch schwere Schäden am Sicherheitsbehälter des Kraftwerks aus. Regierungssprecher Yukio Edano sagte am Samstag unter Berufung auf die Firma zudem, der Grad der Radioaktivität nahe der Anlage sei nach der Explosion wieder gesunken. Zuvor hatte bereits die Behörde für Atomsicherheit erklärt, Schäden am Sicherheitsbehälter des Reaktors seien unwahrscheinlich.
Ministerpräsident Naoto Kan rief die Bevölkerung zur Ruhe auf und erklärte, die Regierung werde alles tun, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. "Kein einziger Mensch wird gesundheitliche Probleme haben", sagte er auf einer Pressekonferenz. Das starke Erdbeben und den anschließenden Tsunami bezeichnete Kan als eine "nie dagewesene nationale Katastrophe".
Aus Sicherheitsgründen dehnten die Behörden den Evakuierungsradius um das schwer beschädigte Atomkraftwerk indes deutlich von zehn und 20 Kilometer aus. Die Regierung habe angeordnet, dass alle Menschen in diesem Umkreis das Gebiet verlassen müssten, berichteten japanische Medien. Zuvor waren bereits 45.000 Bewohner aufgefordert worden, die Region um Fukushima 1 zu verlassen.
Durch das Erdbeben waren in Fukushima 1 und 2 die Kühlsysteme der Reaktoren beschädigt worden. Landesweit schalteten sich elf Atomanlagen durch das Erdbeben automatisch ab. Beim Herunterfahren müssen jedoch die Kühlsysteme anspringen, um die dabei entstehenden hohen Temperaturen zu senken. Eine Kernschmelze kann zu einer unkontrollierten Kettenreaktion und zum Austritt starker Radioaktivität führen. Tepco veranlasste, dass an insgesamt fünf Reaktoren, in denen der Druck zu hoch war, Ventile geöffnet und radioaktiver Wasserdampf freigesetzt wurde.
Japanische Fernsehsender riefen die Menschen auch in der weiteren Umgebung von Fukushima 1 auf, die Fenster geschlossen zu halten und Klimaanlagen auszuschalten. Zudem empfahlen Experten, einen Mundschutz zu tragen, so wenig Haut wie möglich der Luft auszusetzen und kein Leitungswasser zu trinken.
Das Erdbeben der Stärke 8,9 hatte den Nordosten Japans am Freitag erschüttert und einen bis zu zehn Meter hohen Tsunami ausgelöst. Bis zum Samstagmorgen ging die Polizei von fast 1400 Toten und Vermissten aus. Mit den 40 Helfern des Technischen Hilfswerks (THW) machte sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums auch kurzfristig ein Strahlenschutzexperte mit auf den Weg nach Japan. Das Team sollte am Samstagabend vor Ort eintreffen.
10.000 Menschen vermisst
Nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan werden nach einem Medienbericht in einer Hafenstadt im Nordosten Japans noch 10.000 Menschen vermisst. Wie der öffentlich-rechtliche Sender NHK am Samstag berichtete, handelt es sich um den Ort Minamisanriku in der nordöstlichen Präfektur Miyagi. Laut der Nachrichtenagentur Kyodo würde damit mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 17.000 Menschen in der Stadt vermisst.
Das Beben der Stärke 8,9 hatte am Freitag einen Tsunami ausgelöst, der die japanische Küste kurze Zeit später erreichte. Die Flutwellen hatten in einigen Gegenden ganze Häuser und Autos fortgespült. Nach bisherigen Angaben der Behörden gab es durch die Naturkatastrophe in ganz Japan 1400 Todesopfer und Vermisste. afp