Der Fall Maaßen ist nur ein Beispiel von vielen: Ein Jahr nach der Wahl befindet sich die Große Koalition im Dauerstreit. Hat sie die Bodenhaftung verloren?
Sie wackeln noch heute, so heftig hat das Ergebnis der Bundestagswahl vor einem Jahr CDU, CSU und SPD erschüttert. Abgestraft vom Wähler, versuchen die drei angeschlagenen Volksparteien seither verzweifelt, verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen. Doch so entsteht immer mehr der Eindruck, dass in Berlin Politiker regieren, die gar nicht regieren wollen, zumindest nicht miteinander.
Seit zwölf Monaten taumelt das Land von einer Hängepartie zur nächsten. Und viele Bürger könnten verzweifeln angesichts der Unwilligkeit mancher Volksvertreter, Verantwortung zu übernehmen. Zuerst ließ FDP-Chef Christian Lindner eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und Liberalen platzen. Dann begann die SPD einen langen, verlustreichen Kampf gegen sich selbst. Bis sie sich doch noch durchrang. Zum Regieren. Es soll Parteien geben, die genau deswegen überhaupt erst bei Wahlen antreten. Dabei ließen Wahlergebnis und Jamaika-Aus praktisch keine andere Möglichkeit.
Band zwischen Merkel und Seehofer ist längst zerschnitten
In den Koalitionsverhandlungen nutzte die SPD diese Tatsache dann und setzte den Ton, der für diese in Wahrheit gar nicht mehr so große Koalition so verhängnisvoll werden würde: Entweder wir bekommen unseren Willen oder wir machen nicht mit. Sechs Minister, viel sozialdemokratische Politik im Regierungsprogramm – und trotzdem zerfleischt sich die Partei weiter über die Frage, ob die Opposition die bessere Alternative gewesen wäre.
In der Union schwelt unterdessen bis heute der ungelöste Konflikt zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Immer wieder zeigt sich, dass das Band zwischen der CDU-Chefin und CSU-Chef Horst Seehofer in Wirklichkeit längst zerschnitten ist. Auch Seehofer stellt, wenn es ihm um seinen Kurs bei Sicherheit und Migration geht, den Fortbestand der Koalition infrage. Der Dauerstreit nervt viele Menschen nur noch. Und er überschattet die Tatsache, dass die meisten Minister emsig ihre Aufgaben anpacken.
Doch Regieren ist mehr als nur das Abarbeiten eines Koalitionsvertrags. Regieren bedeutet auch: Reagieren auf das, was am Verhandlungstisch keiner vorausgesehen hat. Und wenn die Regierung jedes Mal ins Wackeln gerät, wenn ein politischer Sturm aufzieht, verlieren die Bürger Geduld und Vertrauen. Das ist gefährlich in diesen aufgewühlten Zeiten, in denen viele Gewissheiten ins Wanken geraten, in denen Globalisierung und Migrationsströme für gewaltige Herausforderungen sorgen.
Große Koalition taumelt von einer Hängepartie zur nächsten
Mit einfachen Antworten auf komplizierte Fragen hat es die AfD geschafft, stärkste Oppositionspartei zu werden. Es sind deswegen keine Weimarer Verhältnisse, die in Deutschland herrschen. Aber die Große Koalition muss jetzt alles dafür tun, um endlich zu einem Zustand der Stabilität zu finden. Sonst beschleunigt sich der Niedergang der Volksparteien weiter.
Dass es den Menschen heute in Deutschland wirtschaftlich so gut geht, ist genau diesen Volksparteien zu verdanken. SPD und Union, ob zusammen oder getrennt, haben in den vergangenen Jahrzehnten die Weichen vernünftig gestellt. Doch es scheint, als ginge bei vielen Politikern nach Jahren des Regierens das Gespür dafür verloren, was die Bürger wirklich umtreibt – die Affäre Maaßen ist dafür nur der jüngste Beweis. Wo eine kompromisslose Position auf die andere trifft, kann am Ende nur ein fauler Kompromiss herauskommen. Ein Kompromiss, den kaum ein Wähler versteht und der das Ansehen der Politik weiter beschädigt. Tröstlich ist im Moment nur eines an der bizarren Maaßen-Affäre. Immerhin besaßen die Beteiligten die Größe, eine unglückliche Entscheidung zu überdenken – und zu korrigieren.
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Das demokratische Wechselspiel, die inhaltliche Bedeutung für Regierung und Opposition im Parlament, das war nach den letzten Wahlen, angeblich nichts wert.
Die Kanzlerin wusste zwar nicht, was sie nach ihrer Abwahl politisch ändern wollte: aber Kanzlerin wollte sie bleiben. Und selbst der Bundespräsident hängte sich sehr weit aus dem Fenster, indem er von der SPD eine weitere GroKo annahmte.
Nun hat die in Umfragen sichtbare Zustimmung des Wählers als Bürger nach der letzten Wahl um weitere 7 % abgenommen. Davon ca. 5 % zu Lasten von CDU/CSU. Daraus resultierend sollte man doch annehmen können, dass diese greifbare Unzufriedenheit des Bürgers an seiner Regierung irgendwann Nachdenken erzeugen würde.
Dem ist aber nicht so. Wehrhafte Demokraten, die dafür eintreten, dass mit diesem Staat kein Schindluder getrieben wird werden untergejubelt, wie z.B. der Fall Chemnitz/Maaßen es vorführt.
Wie soll ein Zustand des Vertrauens politisch entstehen können, wenn Grundlage dieser Koalition eine abgewählte Kanzlerin ist, die das Misstrauen nach 13 Jahren Regierungszeit in sich trägt, ein bayerischer Parteivorsitzender, dessen Partei um13 % hinter dem letzten LTW-Ergebnis zurückliegt. Mit anderen Worten: der seine Partei extrem geschädigt hat.Und einer Parteivorsitzenden, die sich immer noch im sozialdemokratischen Suchmodus befindet.
Das, was dieses Land gebraucht hätte, war ein politischer Neuanfang, sich gründend in unserer wehrhaften Demokratie und seinen Überzeugungsmöglichkeiten. Und kein Tarnen und Täuschen und Tricksen egomanischer Art.
Nicht einer Meinung mit dem Kommentator bin ich in Sachen „uns gehts ja so gut“.
Ja, Herr Junginger, die Basis für die staatliche Gemeinsamkeit haben Parteien mit erarbeitet. Und das hat auch ein Zustimmungsergebnis beim Bürger erzeugt. Nur: dem ist nicht mehr so.
Zu viele Bürger sind seit dem Kanzler der Bosse in Mindeststandards gezwungen. Und selbst diese Mindest-Standards werden zu oft nicht eingehalten.
Die Infrastruktur ist ähnlich erbärmlich wie unter dem Ehrenwort-Kanzler. Eine Finanzkrise ist jeder zeit wieder möglich. Seit Jahrzehnten verweigern sich Politiker Aufgaben wie Steuerreform, Rentenreform für die Zukunft, einem ausreichenden Personalschlüssel bei Polizei, im Schulwesen, usw.
Diese Versäumnisse sind längst sichtbar und zeitigen Folgen.
Im Fall Chemnitz/Maaßen ist festzuhalten, dass wir verantwortliche Menschen brauchen, die sich FÜR unsere Demokratie einsetzen. Ist das so schwer zu verstehen? Sichtbar. Und die ihre eigengewählte Verantwortlichkeit nicht in Jahrzehnten bemessen.