Finstere Zeiten im Kohlerevier: Wo Klimapolitik auf Angst trifft
In der Lausitz verteidigt Umweltministerin Schulze den Kohleausstieg. Doch in der gebeutelten Region sieht man die Klimapolitik der Bundesregierung als Bedrohung.
Im Schatten der mächtigen Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe bereiten mehrere hundert Kohlekumpel Svenja Schulze einen eisigen Empfang. Demonstrativ und schweigend drehen sie der SPD-Politikerin den Rücken zu. Die Bundesumweltministerin ist für die Bergleute und Kraftwerksmitarbeiter im Kohlerevier Lausitz eine Reizfigur, die wie kaum eine andere für den Beschluss der Bundesregierung steht, bis spätestens 2038 vollständig aus der Kohlestromerzeugung auszusteigen. Doch die Maßnahme, die den Klimawandel abbremsen soll, stößt hier auf erbitterten Widerstand. "Nicht auf unserem Rücken", so steht es auf den Warnwesten, die mehrheitlich orangefarben sind. Von der französischen Gelbwesten-Bewegung wollen sich die Protestierenden distanzieren. Und trotzdem zeigen, wie wütend sie auf die Politik der Bundesregierung sind, wie sehr sie um die Zukunft ihrer Region fürchten. Die gehört schon jetzt zu den strukturschwächsten im ganzen Land.
Hinkt der Osten Deutschlands bei der wirtschaftlichen Entwicklung generell hinterher, sind die Probleme hier besonders gravierend. Arbeitsplätze sind rar, die Löhne niedrig, die Bevölkerung schrumpft. Nicht nur geografisch gilt die sächsisch-brandenburgische Lausitz an der Grenze zu Polen als "Osten des Ostens". Der Kraftwerksstandort Schwarze Pumpe etwa gehört zum Städtchen Spremberg im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße. Im aktuellen Prognos-Zukunftsatlas landet dieser auf Rang 397 von 401 Landkreisen und kreisfreien Städten. Viele Bewohner fürchten, dass ihre Heimat vor noch schwereren Zeiten steht. "Wenn die Kohle geht, sterben alle Dörfer", steht auf einem Transparent.
Die Sorge ist groß, dass die Region noch weiter abfällt
Svenja Schulze verteidigt den von der Kohlekommission ausgehandelten Kompromiss wacker: "Ich stehe als Umweltministerin dafür, dass wir aus der Kohle aussteigen. Unser Planet verträgt einfach nicht mehr CO2." Sie verweist auf Zukunftstechnologien wie die riesige Stromspeicheranlage, zu deren Spatenstich sie gekommen ist, und dass davon künftig auch der Standort Schwarze Pumpe profitiere. Den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen werde über das Strukturstärkungsgesetz mit 17 Milliarden Euro unter die Arme gegriffen. Damit die Hilfen schneller ankommen, werde die Regierung auch in der Sommerpause arbeiten, verspricht Schulze. Durch die Reihen der Demonstranten geht ein hämisch-bedauerndes Raunen. "Politiker, die in der Sommerpause was arbeiten? Na dann wird ja alles gut", ätzt eine Frau mit Stoppelfrisur.
Uwe Teubner ist Betriebsratschef beim Kraftwerksbetreiber Leag, einem Konzern in tschechischem Besitz. "Für uns ist die Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung eine Bedrohung", sagt er. In der Region sei die Sorge groß, "dass wir wieder hinten runterfallen".
Mit Aufstieg und Niedergang kennen sie sich hier aus. Schwarze Pumpe etwa, das war einmal der größte Braunkohleveredelungsbetrieb der Welt – und eine der berüchtigtsten Dreckschleudern der DDR. Aus der Lausitzer Braunkohle entstanden Briketts, Koks, Gas und Strom, Schwarze Pumpe bildete das Rückgrat der Energieversorgung des Arbeiter- und Bauernstaats. Rund um die Kraftwerke entstanden zahlreiche Industriebetriebe, tausende von Arbeitern zogen zu. Raubbau an der Umwelt und stinkende Abgase waren die Kehrseite des Erfolgs, der schwarze Staub wurde nicht gewischt, sondern mit Eimer und Schaufel beseitigt, erinnern sich Ältere. Doch nach der Wende wurde die örtliche Industrie fast komplett abgewickelt. Zehntausenden blieb nichts anderes übrig, als ihre Heimat zu verlassen, wenn sie Arbeit finden wollten.
Wie soll man die eigenen Kinder ernähren, wie das Haus abzahlen?
Zwei jüngere Frauen, die vor dem Kraftwerk demonstrieren, fürchten, dass genau das nun auch ihren Familien blüht. Wenn mit der Kohleindustrie der letzte Großarbeitgeber der Region verschwinde, dann würden auch bei zahlreichen weiteren Betrieben die Lichter ausgehen. Rund 3000 Arbeitsplätze hängen nach offiziellen Angaben im Revier direkt an der Kohle, 8000 weitere bieten Zulieferer und Dienstleister. Von den hohen Löhnen der Branche profitieren aber auch der Einzelhandel oder das Baugewerbe.
Die beiden Verwaltungsmitarbeiterinnen des Kraftwerks, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, sind 31 und 28 Jahre alt. Wenn 2038 in der Lausitz die Kohle-Ära endet, werden sie um die 50 sein, also noch lange zu arbeiten haben. Die jüngere der beiden Frauen hat drei kleine Kinder und sorgt sich, ob es für sie künftig in der Region noch eine Perspektive gibt. Ihre Kollegin sagt, sie habe mit ihrem Mann gerade ein Haus gebaut: "Doch seit der Kohleausstieg feststeht, fragen wir uns, wie lange wir die Kreditraten noch stemmen können. Wir wünschen uns eigentlich Kinder, aber bei diesen Vorzeichen fragen wir uns, ob wir wirklich eine Familie gründen sollen."
Mit den jugendlichen Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung und erst recht mit den Politikern in Berlin gehen die beiden Frauen hart ins Gericht: "Die wissen doch gar nicht, dass es uns gibt, denen fehlt jeder gesunde Menschenverstand."
Bei den Europa- und Kommunalwahlen im Mai haben die beiden gar nicht gewählt, sagen sie. Aus Protest der AfD ihre Stimme zu geben, das wollten sie nicht. Die Rechtspopulisten sprachen sich im Wahlkampf dafür aus, die Kohleproduktion fortzusetzen – bis alle Vorräte erschöpft sind. So erreichte die AfD bei der Europawahl etwa in Spremberg 33 Prozent. CDU und SPD folgten mit 18 und 14 Prozent weit abgeschlagen. Die Linkspartei hat fast elf Prozent erreicht, die Grünen holten hier gerade mal vier Prozent.
"Die AfD macht gezielt Stimmung und nutzt die Verunsicherung der Menschen, ein eigenes Konzept für den Klimaschutz aber hat sie nicht", sagt Thomas Zenker. Der stattliche, energische Mann mit Halbglatze und silberweißem Vollbart ist Bürgermeister von Großräschen, einer Kleinstadt im benachbarten Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Damit ist Zenker qua Amt Experte für den Strukturwandel. Denn bis 1999 wurde auch in Großräschen Braunkohle gefördert, doch nach der Sprengung des Förderturms verschwanden auch alle anderen Industrieunternehmen, die Arbeitslosigkeit kletterte auf fast 50 Prozent. Großräschen schrumpfte von 14.000 auf 9000 Einwohner. "Diese Erfahrung hat mit den Menschen etwas gemacht, das darf sich nicht wiederholen", sagt er.
Aus den Kohlegruben sind künstliche Seen geworden
Zenker steht auf der neu gebauten Uferpromenade und deutet auf den fast 800 Hektar großen See. "Hier wurde früher die Kohle im Tagebau gefördert, doch ab 2007 wurden die Flächen geflutet", sagt er. Am Ufer wächst sogar Wein, zehntausend Flaschen werden pro Jahr gekeltert. Noch ist der See nicht für den Bootsverkehr freigegeben, gebadet werden darf erst recht nicht. Das Wasser aus den Kohlegruben ist sauer und muss regelmäßig mit Kalk behandelt werden.
Großräschen ist Teil einer neuen Seenlandschaft aus mehr als 25 ehemaligen Tagebaulöchern, deren Sanierung längst noch nicht abgeschlossen ist. Aus dem Revier, einst Sinnbild für den Umweltfrevel der untergegangenen DDR, soll ein Natur- und Tourismus-Paradies werden. Wobei der Bürgermeister nicht allein auf die Urlauber setzen will. "Wir schaffen Lebensqualität, das wirkt sich aus", sagt er. Aus ganz Deutschland seien Leute zugezogen, angelockt von Wohnungen mit Seeblick, neue Betriebe hätten sich angesiedelt, bald soll ein "Co-Working-Space" Kreative anlocken. Ganz in der Nähe entwickelt eine junge Firma innovative Methoden zur Reparatur von Windrädern, die überall in Brandenburg die Landschaft prägen. "Wir haben wieder Mut geschöpft, und nur mit Mut kann Strukturwandel gelingen", sagt der Bürgermeister.
Auf Erfolgsgeschichten wie diese verweist Umweltministerin Schulze auf ihrer Rundreise durch die Lausitz immer wieder. Ausdrücklich betont sie, dass es sich nicht um eine Wahlkampftour handelt. Auch wenn ihr Parteifreund Dietmar Woidke bei den Landtagswahlen Anfang September massiv um seine Wiederwahl als brandenburgischer Ministerpräsident bangen muss. Nicht wenige in der gebeutelten SPD sind sogar der Meinung, dass Schulzes Besuch Woidke eher schadet als nutzt. "Viele Menschen im Osten interessieren sich mehr dafür, ob sie in Zukunft noch Arbeit haben, die Miete und die Stromrechnung bezahlen können, als für den Klimaschutz", sagt ein hochrangiger Genosse aus den neuen Bundesländern. Der jüngste Vorstoß der Ministerin für eine CO2-Steuer auf Sprit, Heizöl und Erdgas komme gerade im ländlichen Brandenburg mit seinen vielen Pendlern alles andere als gut an.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Wolf. Für Svenja Schulze "eine streng geschützte Art", wie sie bei einem Treffen mit Schäfern betont. "Entnommen", also abgeschossen dürften nur Tiere werden, die etwa dem Menschen zu nahe kommen. Auf einem ehemaligen Gelände der "Nationalen Volksarmee" in Doberlug-Kirchhain lässt sie sich demonstrieren, wie hohe Elektrozäune und zottelige weiße Pyrenäen-Berghunde die Schafe vor Klauen und Zähnen der Wölfe schützen, die vor rund 20 Jahren nach Brandenburg zurückgekehrt sind. Schäfer sagen, es sind nicht die Wölfe, sondern eher die niedrigen Lammfleisch- und Wollpreise auf dem Weltmarkt, die ihnen das Leben schwer machen.
Heute leben in Deutschland 75 Wolfsrudel. Obwohl für den Menschen nach Forschermeinung kaum eine Gefahr ausgeht, lösen die Raubtiere in ländlichen Regionen viele Ängste aus. Die wiederum die AfD bereitwillig aufnimmt. Im Bundestag forderten die Rechtspopulisten "spezifische Obergrenzen für Wolfspopulationsdichten", sie wollen "Genehmigungsverfahren zum regulierenden Eingriff in die Wolfspopulation" beschleunigen. Schulze dagegen sieht in der Rückkehr des Wolfes "einen Erfolg des Artenschutzes". Die SPD-Frau sagt: "Was uns jetzt gelingen muss, ist, das Zusammenleben zu organisieren, einen Ausgleich der Interessen zu schaffen." Sie meint das Zusammenleben zwischen Wolf und Menschen. Doch es scheint, als könnte der Ausgleich der Interessen zwischen Politik und Bevölkerung, zwischen Klimaschützern, Kohlekumpels und Pendlern mindestens genauso schwierig werden. Zumindest im "Osten des Ostens".
Die Diskussion ist geschlossen.